Schlaganfall-Experte kritisiert israelische Ärzte: "Hirnblutungen nicht operieren"

Uni.-Prof: Brainin: Maßnahmen waren nicht koordiniert Auch geplanter Eingriff am Herzen äußerst fragwürdig

Scharfe Kritik an den Ärzten, die den israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon behandeln und behandelt haben, übte am Montag der Wiener Neurologe und Präsident des Welt-Schlaganfall-Kongresses, Univ.-Prof. Dr. Michael Brainin vom Donauklinikum in Gugging. "Spätestens seit zwei Jahren weiß man, dass Hirnblutungen nicht operiert werden sollten. Das würde ich keinem meiner Schlaganfall-Patienten jemals vorschlagen", sagte der Mediziner gegenüber der APA.

Außerdem seien die einzelnen medizinischen Maßnahmen bei Sharon "überhaupt nicht koordiniert" gewesen und hätten möglicherweise sogar den schweren Schlaganfall begünstigt. Brainin: "Ich kann und will damit nicht sagen, dass Sharons Zustand dann einen anderen Verlauf genommen hätte, aber aus meiner Sicht wurden zu viele Maßnahmen in schlecht abgestimmter Weise gesetzt." Dazu sei auch der geplante Eingriff am Herzen des israelischen Ministerpräsidenten, der am 4. Jänner einen Schlaganfall und eine Hirnblutung erlitten hatte, zu zählen.

Für die am 5. Jänner geplante Operation habe man nämlich die Dosis jener Blutgerinnungshemmer, die der 77-Jährige seit einem ersten Schlaganfall am 18. Dezember 2005 einnimmt, reduzieren müssen. Brainin: "Dieses Hin-und-Her-Therapieren ist schlecht." Israelische Kardiologen wollten am 5. Jänner ein zwei Millimeter großes Loch im Herzen Sharons schließen. Ein Eingriff, dessen Notwendigkeit Brainin im Gespräch mit der APA als "wissenschaftlich durch nichts haltbar" und deswegen nicht notwendig bezeichnete.

Auch habe er, Brainin, nicht verstanden, dass man Sharon einen Tag vor der Operation und nach der neuen Einstellung mit den Blutgerinnungshemmern erlaubt habe, auf seiner Ranch im Süden der Wüste Negev zu bleiben. Von dort war der Ministerpräsident mit einem Krankenwagen am Abend des 4. Jänner in die Jerusalemer Hadassah-Klinik gefahren worden.

Die dort erfolgte anschließende Absaugung der Hirnblutung nannte Brainin, der die Bedingungen in Israel nach mehreren Aufenthalten persönlich kennen gelernt hat, eine "Desperado-Aktion, die nichts bringt". Brainin: "Warum also musste sie bei Sharon sein? Sharon hat bekanntlich eine Bärennatur. Aber das war selbst für ihn zuviel." Der Mediziner, der auch Präsident der Schlaganfall-Forschungseinrichtung in Österreich ist, könne sich das nur durch den Druck erklären, unter dem Ärzte stehen, wenn es sich um derart hoch gestellte Persönlichkeiten handelt: "Es fällt dann umso schwerer, zu warten."

Wie es nun mit dem israelischen Ministerpräsidenten weitergehe, sei nicht exakt zu prognostizieren. Brainin: "Es kommt jetzt darauf an, wie sein Gehirn reagiert, wenn die Narkose nachlässt." Vor allem sei noch nicht hundertprozentig klar, welche Gehirnhälfte von dem Schlaganfall betroffen gewesen sei. Er habe gehört, dass es sich um die rechte Hälfte handle, damit wäre zum Beispiel das Sprachzentrum nicht beschädigt.

Eines sei aber auch vor Bekanntwerden der genauen Diagnose klar, so Brainin: Sharon sei keinerlei Belastung geschweige denn Entscheidungsbefugnis zuzutrauen. "Und das für nicht absehbare Zeit." Schlaganfall-Patienten seien in der ersten Phase emotional kaum belastbar, sehr labil und unsicher. Man müsse jetzt schauen, dass Sharon seine "geistige Spannkraft" wieder erlange. "Er ist ein schwer kranker Mensch. Eine große Leistung wäre es schon, wenn er äußern kann, was er will und was nicht und wenn er die so genannten activities of daily living bewältigen kann."

Man müsse froh sein, dass Sharon überhaupt überlebt habe. Allerdings: Über den Berg sei der israelische Ministerpräsident damit noch nicht. Brainin: "Nur etwas mehr als 50 Prozent aller Patienten mit Hirnblutungen überleben die folgenden drei Monate."

(apa/red)