Sand im freiheitlichen Getriebe

Nicht nur die Causa Jenewein macht der FPÖ zu schaffen. Herbert Kickl tut sich schwer, die Partei neu aufzustellen.

von Politische Analyse - Sand im freiheitlichen Getriebe © Bild: Privat

"Krise, welche Krise?" Freiheitliche geben sich verwundert, wenn man von einer solchen spricht, und verweisen auf Meinungsumfragen. Im Durchschnitt halten sie 21 Prozent und damit um fünf Prozentpunkte mehr als bei der Nationalratswahl vor drei Jahren. Das klingt beeindruckend, ist in Wirklichkeit jedoch bescheiden: Die Volkspartei ist um ganze 15 Prozentpunkte abgestürzt. Das ist ein Hinweis darauf, dass nur ein Teil der Wähler, die Sebastian Kurz den Blauen einst abgenommen hat, zu diesen zurückkehrt.

Zu denken geben könnte Freiheitlichen auch die Kandidatenliste für die Bundespräsidentenwahl: Ihr Mann, Walter Rosenkranz, ist mit Alexander-Van-der-Bellen-Herausforderern konfrontiert, die inhaltlich sehr ähnlich gestrickt sind wie er, die Coronamaßnahmen genauso ablehnen wie die Sanktionen gegen Russland. Ein Mitbewerber, Ex-"Krone"-Kolumnist Tassilo Wallentin, wird vom Austrokanadier Frank Stronach unterstützt. Da werden Erinnerungen wach: Stronach hat die FPÖ bei der Nationalratswahl 2013 mit einer eigenen Liste wichtige Stimmen gekostet.

Die Partei ist weit entfernt von einer Monopolstellung für Protestwähler rechts der Mitte, eine solche würde sie jedoch benötigen, um es auf Platz eins bringen zu können. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ihr Chef, Herbert Kickl, eher Redenschreiber als -halter ist, dass er die politische Bühne nicht ausfüllt. Zu schaffen macht ihr jedenfalls, dass er dabei versagt, die internen Verhältnisse zu ordnen: Die Causa Jenewein zeigt, dass es nicht nur mit der oberösterreichischen, sondern auch mit der Wiener Landesorganisation mehr Gegen-als Miteinander gibt. Da ist es schwer bis unmöglich, eine bundesweit starke Bewegung zu bilden.

Norbert Hofer wurde von Kickl vor einem Jahr wiederum aus dem Obmannsessel gemobbt, ist als dritter Nationalratspräsident und vor allem als derjenige Funktionär, der -bei der Bundespräsidentenwahl 2016 - das beste Ergebnis der FPÖ-Geschichte erzielt hat, aber noch immer omnipräsent.

Kickl fehlt die Perspektive

Herbert Kickl kann nicht einmal auf die leichte Schulter nehmen, dass er bei den anderen Parteien unten durch ist. Jörg Haider, aber auch Heinz-Christian Strache war das möglich, im Wissen nämlich, dass sich nach Wahlen immer Perspektiven auftun. Davon kann Kickl nicht ausgehen. Das ist seiner Radikalität geschuldet, die er etwa als Innenminister 2018/19 pflegte und die ihn für Mitbewerber untragbar macht, hat vor allem aber mit den Mehrheitsverhältnissen zu tun. Realistisch ist derzeit eine Ampel-oder eine rot-türkise "große" Koalition, nicht aber eine dritte Auflage von Türkis-Blau. Eine solche geht sich nicht aus, dazu würde die ÖVP bei einer Wahl am kommenden Sonntag zu viel verlieren und die FPÖ zu wenig gewinnen.

ZAHL

Budgetärer Crashkurs

Besonders türkise und freiheitliche Politiker haben in den vergangenen Jahren mit Entlastungsversprechen um Wählerstimmen geworben. Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) kündigten an, die Steuer- und Abgabenquote "Richtung 40 Prozent" zu senken. Umso bemerkenswerter ist, dass sie parallel dazu nie dafür sorgten, dass der Staat mit weniger Geld auskommen kann. Grund: Pensionsreformen, die wirklich etwas bringen würden, waren tabu. Sie wären alles andere als populär gewesen. Also hat man die Finger davon gelassen. Das rächt sich.

Staatsausgaben sind vor allem Sozialausgaben. Sie sind zuletzt gestiegen. Und zwar auch gemessen an der Wirtschaftsleistung: Machten sie Anfang der 1990er- Jahre kaum mehr als ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus, handelte es sich in den 2010ern um knapp 30 Prozent und in den Coronakrisenjahren 2020 und 2021 um gut ein Drittel.

Problem: Es ist keine Entspannung in Sicht. Im Gegenteil, die Konjunktur trübt sich ein, die Teuerung macht größere Ausgleichsmaßnahmen nötig. Das bedeutet, dass die Sozialausgaben weiter zunehmen werden. Die Regierung hat sich bereits darauf festgelegt, Leistungen automatisch anzupassen. Insbesondere bei den Pensionen wird das ins Geld gehen, auf sie entfällt etwa die Hälfte aller Sozialausgaben und sie sind bei Weitem nicht nur durch Beiträge gedeckt.

Ehemalige Finanzminister hätten sich damit trösten können, dass zumindest die kalte Progression zu automatisch wachsenden Steuereinnahmen führt und sich die Lage so ein wenig entschärft. Magnus Brunner, der gegenwärtige Amtsinhaber, kann jedoch nicht einmal das: Die kalte Progression soll mit Zustimmung des 50-jährigen ÖVP-Politikers abgeschafft werden. Das vergrößert den Reformdruck für zukünftige Regierungen extrem.

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BERICHT

Van der Bellens Problem

Es ist schwierig geworden, ein Bundespräsident aller Österreicherinnen und Österreicher zu sein. Heinz Fischer, Staatsoberhaupt von 2004 bis 2016, erreichte bei seiner Wiederwahl 2010 ganze 79 Prozent. Amtsinhaber Alexander Van der Bellen ist im Hinblick auf den Urnengang Anfang Oktober weit entfernt davon. In Umfragen werden ihm rund 60 Prozent ausgewiesen. Kein Wunder: Er hat viele Mitbewerber, die sich um eine Kandidatur bemühen. Und als ehemaliger Grünen-Chef liegen seine Wurzeln bei einer Kleinpartei Mitte-links.

Von daher war es alles andere als selbstverständlich, dass er bei der Wahl 2016 eine Mehrheit erreichte. Geschafft hat er es etwa damit, dass er mit einem moderaten "Heimat"-Begriff auch Bürgerliche überzeugte, denen vor der Alternative Norbert Hofer (FPÖ) graute.

Chancenlos blieb Van der Bellen jedoch bei Arbeitern, Menschen mit einem niedrigen Bildungsabschluss nach formalen Kriterien und Pessimisten. Das ist den Wahltagsbefragungen des Sozialforschungsinstituts Sora zu entnehmen. Bei all jenen, die damals glaubten, dass sich die Lebensqualität in Österreich verschlechtere, erreichte er gerade einmal 30 Prozent. Hofer kam in dieser Gruppe auf 70 Prozent.

Das leitet über zur Herausforderung, vor der der Bundespräsident in den kommenden Wochen steht: Pessimisten sind durch Pandemie, Ukraine-Krise und Teuerung zahlreicher geworden. Immer mehr Menschen werden von Abstiegsängsten und sozialen Nöten geplagt. Klar wiedergewählt wird Van der Bellen daher nur, wenn er es schafft, auch sie anzusprechen.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at