Markus Hinterhäuser:
"Ich habe keinen Masterplan"

Am 20. Juli startet die zweite Saison des Salzburger Festspielintendanten Markus Hinterhäuser.

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Salzburger Festspiele - Markus Hinterhäuser:
"Ich habe keinen Masterplan"

Im Interview mit der APA spricht er über die Statik des "großen Konstrukts" Festspiele, die Semantik der Neuen Musik und die Tektonik des Marktes, über Eitelkeit und Gelassenheit, über kommunikative Zuneigung zu besonderen Momenten, sein seelisches Koordinatensystem und die Ablehnung des Quotendenkens.

"Passion, Ekstase, Leidenschaft" sind das heurige Festspielmotto. Wie sehr sind diese Begriffe auch auf dem Menschen und Künstler Markus Hinterhäuser wichtig?
Markus Hinterhäuser: Das Festspielprogramm kann gar nicht frei von subjektiven Kriterien des künstlerisch Verantwortlichen sein, aber meine private Konstitution, mein, wenn Sie so wollen, seelisches Koordinatensystem, fließt in programmatische Überlegungen nicht mit ein. Es geht um ein Zusammenspiel von künstlerischen Kräften. Wenn wir unsere inhaltliche Gestaltung in diesem Jahr mit den von Ihnen genannten Begriffen bekräftigen, ist es auch eine Konsequenz aus dem Programm 2017. In entscheidenden Momenten ging es hier um ein Nachdenken über Systematiken der Macht. Wenn wir in diesem Jahr Opern wie "Salome", "Poppea" oder "Pique Dame" zeigen, dann beschäftigen wir uns erneut mit Fragen der Macht, die allerdings weniger systembezogen sind. Hier begegnen wir Mächten, die kein System brauchen, die aus dem Menschen herausbrechen, die alles andere als leicht zu zähmen oder zu domestizieren sind, und die tatsächlich mit Passion, Ekstase und Leidenschaft zu tun haben.

» Ich bin nicht unkompliziert«

Festspielredner Philipp Blom wird zum Auftakt über die Aufklärung sprechen, die die Ratio gegen die Passion gesetzt hat. Sieht man sich die heutige Politik an, scheint das Konzept der Aufklärung ordentlich unter Druck geraten zu sein.
Dass man sich der einen oder anderen wesentlichen inhaltlichen Frage stellt, ist für mich eine Grundbedingung, um diese große Unternehmung für mich selber erklär- und bewältigbar zu machen. Aber man soll die Möglichkeiten einer Institution wie die Salzburger Festspiele auch nicht überschätzen: Wir werden die Welt nicht verändern mit dem, was wir machen. Aber wir wären ganz schlecht beraten, wenn wir der Welt gegenüber keine Meinung, keine Haltung einnehmen und artikulieren würden. Die Fragen der Aufklärung, im Englischen gibt es den unendlich schöneren Begriff des "age of enlightment", gehören gerade heute zu den entscheidenden Fragen, und die ersten Tage der kommenden Festspiele stehen mit der Eröffnungsrede von Philipp Blom und der Aufführung der "Zauberflöte" ganz im Zeichen dieser Thematik.

Rudolf Scholten hat Sie in einer Laudatio kürzlich so beschrieben: "Markus Hinterhäuser ist uneitel, nett und unkompliziert - sagen Menschen über ihn, die ihn nicht kennen. Nett ist er schon." Wie gut fühlen Sie sich dadurch charakterisiert?
Wenn ich das Wort nett im richtigen Sinne verstehe, freue ich mich darüber. Nett im Sinne von harmlos hat er in seiner schönen Laudatio ja wohl nicht gemeint. Ich bin nicht unkompliziert, und wenn man so in der Öffentlichkeit steht, wie ein Intendant nolens volens zu stehen hat, und wenn man dann noch das eine oder andere Mal auf einer Bühne Klavier spielt, lässt sich Eitelkeit, in welcher Form auch immer, wohl nicht ganz aus der Welt schaffen.

"Markus Hinterhäuser baut seine Programme wie ein wundersames Gebäude. Kleineren Säulen gibt er das Gefühl, das statische Zentrum zu sein, großen gibt er Leichtigkeit", so Scholten weiter. Beschreibt das Ihren Bauplan?
Ja, das ist sehr in meinem Sinne erfasst. Ein Festspielprogramm hat sehr viel mit Statik zu tun, also mit Gewichtung. Es gibt tatsächlich Dinge, die man leichter machen muss und Dinge, die einer größeren kommunikativen Zuneigung bedürfen, um sie gewichtiger zu machen.


Dann nutzen Sie doch hier die Gelegenheit, ein bisschen Gewicht zu verlagern.
Die Salzburger Festspiele sind ein großes Konstrukt, sechs Opern, 89 Konzerte, vier Schauspielpremieren plus "Jedermann", jede Menge an Zusatzveranstaltungen und Symposien und und und... Der Blick auf das Gesamte ist mir wichtig, es gibt aber auch Bereiche, die für mich ganz vital mit Festspielen zu tun haben, Kammermusik oder Liederabende, musikalische Formen also, die deutlich mehr Hingabe verlangen, Wunderwerke, die ein tiefes Eintauchen in die Musik ermöglichen.

Ich weiß, Sie sagen immer: Zeitgenössische Werke nachzuspielen ist wichtiger als sie uraufzuführen. Dennoch: Haben Sie Auftragswerke und Uraufführungen für die Jubiläumssaison 2020 im Köcher?
Für mich ist Musik keine Quotenfrage, weder in der vermeintlichen Erfüllung einer Quote noch in der vermeintlichen Nichterfüllung. Für mich ist das, was immer noch als Neue Musik bezeichnet wird, etwas vollkommen Selbstverständliches, und selbstverständlich sollte auch der Umgang damit sein. Wir erfüllen bei Mozart, Beethoven, Schubert oder Mahler auch keine Quote. Ich habe da nichts zu beweisen. Die Salzburger Festspiele sind immer auch ein Festspiel der Moderne gewesen. Gerard Mortier hat in zehn Jahren eine einzige Uraufführung gemacht, Kaija Saariahos "L'amour de loin". Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, ihm deshalb seine Bedeutung als Intendant abzusprechen. Bloß die Statistik zu erfüllen oder anlassbezogen Werke in Auftrag zu geben, ist mir zu wenig, damit kann ich mich nicht anfreunden.

»Jetzt ist es wirklich notwendig, ein großes Werk in Auftrag zu geben«

Es gibt aber nicht so viele Institutionen, die sich das leisten können. Und Neues zu ermöglichen, ist geradezu eingeschrieben in die Genetik der Salzburger Festspiele.
Dagegen habe ich gar nichts. Ich muss nur auf den Moment warten, wo ich auch überzeugt bin: Jetzt ist es wirklich notwendig, ein großes Werk in Auftrag zu geben. Was neue Musik heute sein kann, welcher Semantik sie folgt, welchem Grad an Kompliziertheit oder an kommunikativer Kraft: da ist im Moment einiges in Bewegung und diese Bewegung interessiert mich.

Haben Sie im neuen Staatsopernintendanten dafür einen interessanten Gesprächspartner?
Ich finde Bogdan Roscic sowieso einen interessanten Gesprächspartner. Wir treffen einander hin und wieder, im Sommer in Salzburg vermehrt. Und wir sprechen auch über mögliche Zusammenarbeiten.

Neben den inhaltlichen Bezügen zum Festspielprogramm 2017: Beginnt sich auch personell so etwas wie das Salzburger Festspielensemble der Intendanz Hinterhäuser herauszukristallisieren?
Es gab wunderbare Zeiten, in denen man tatsächlich von einem Festspielensemble reden konnte. Aber man soll sich keiner Illusion hingeben, man sollte auch nicht naiv sein. Die Parameter des Marktes, und die Festspiele sind selbstverständlich ein Teil des Marktes, haben sich tektonisch verschoben. Wir werden "Die Welt von gestern" nicht wieder lebendig machen können. Aber selbstverständlich setze ich auf Kontinuität, was Regisseure, Dirigenten, Sänger und Solisten betrifft. Diese Kontinuität soll dem Ganzen nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine formale Geschlossenheit geben und in letzter Konsequenz auch Identität schaffen. Fünf Jahre sind dafür eine gute Zeit. Die Kriterien, nach denen ich vorgehe, sind auch subjektive Kriterien. Andere würden es anders machen. Aber ich mache es jetzt so!

Sie stehen jetzt vor Ihrer zweiten Saison. Wann entscheidet sich, ob sie über die fünf Jahre hinaus weitermachen?
Ich muss da jetzt den berühmten Wirklichkeitssinn und Möglichkeitssinn von Robert Musil bemühen. Die Möglichkeit besteht, die Wirklichkeit allerdings sieht schlicht so aus, dass das eine Entscheidung des Kuratoriums ist. Die Diskussion darüber wird irgendwann beginnen. Möglicherweise während oder nach diesen Festspielen.

»Ich lerne ständig. Ich habe keinen Masterplan«

Sie wirken so gelassen, obwohl es nur noch wenige Wochen bis zum Start sind. Wenn Sie selber als Festspielkünstler auftreten, was ja gleich am dritten Festspieltag der Fall ist, lässt wenigstens das Ihren Puls schneller schlagen?
Wenn ich als Pianist bei den Festspielen auftrete, bin ich tatsächlich nicht so gelassen. Die Wahrnehmung meiner Person ist in diesem Fall mehr die des auftretenden Intendanten als die des Pianisten. Das erhöht meinen Adrenalinspiegel deutlich. Aber sonst ist meine Gelassenheit nicht gespielt. Ich muss ja für mich ein Überlebenssystem finden, und Daueraufgeregtheit wäre da bestimmt nicht hilfreich. Wir haben das, was wir bei den kommenden Festspielen vorhaben, so gut vorbereitet, wie wir können. Der letzte Sommer war nicht nur schön und glückhaft, sondern hat uns auch gezeigt, dass man durchaus anspruchsvoll mit dem Publikum umgehen kann und muss. Das Höchstmaß an Interesse am kommenden Festspielsommer scheint mir da Recht zu geben. Wir sind wirklich sehr gut verkauft.

Gibt es etwas, was Sie sich vorgenommen haben als Intendant heuer anders zu machen als im vergangenen Jahr?
Ich lerne ständig. Ich habe keinen Masterplan. Das, was ich mache, ist immer sehr abhängig von den Künstlern, und die unterscheiden sich sehr voneinander. Ich bediene ja keine Schalter, die ich einfach umlege. Ich habe im letzten Jahr sehr viel Glück gehabt mit der Entspanntheit, in der unsere Produktionen entstanden. Dieses Glück ist nicht abrufbar - es stellt sich ein, oder es stellt sich nicht ein. Und wenn es sich nicht einstellt, heißt es nicht, dass das ein Unglück ist. Es ist einfach eine andere Herausforderung, auf die ich eine Antwort finden muss. Ich werde genug gefordert sein in den kommenden Wochen. Da tut sich ein riesiges Feld auf für mich, wo ich mich einzubringen habe. Dann werde ich auch nicht immer so gelassen sein.

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