Puccini gewinnt, Schnitzler dankt ab

Nach dem furiosen Beginn mit Bartók, Orff, Currentzis und Castellucci konnten die Salzburger Festspiele den hohen Standard zumindest punktuell behaupten.

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Kritiken - Puccini gewinnt, Schnitzler dankt ab

IL TRITTICO

Ein Star und kein Startheater

Welch ein Abenteuer: ein ganzes Opernprojekt um einen Star zu ordnen und damit das Gegenteil von Startheater zu erzeugen! Ohne Asmik Grigorian, die sich -nicht als Erste -die drei Frauenrollen in Puccinis spätem "Triptychon" auf die filigranen Schultern lädt, fehlte dem Abend trotz seiner enormen Vorzüge die Aura des Einzigartigen, die das Publikum vor dem Finale zu Tränen und anschließend zu ekstatischen Reaktionen treibt. Die Grigorian verwandelt sich auf selten erlebte Art ganz und gar, mit Leib, Seele und Stimme. Dass Letztgenannte nicht a priori für Puccinis Kantilene gebaut ist, tut nichts zur Sache: Hier wird Musiktheater in seiner erträumbaren Konsequenz Wirklichkeit.

Dass die (ohnehin selten in ihrer Dreieinigkeit aufgeführten) Einakter in neue Reihenfolge gebracht wurden, entspricht zwar nicht der Intention der von Puccini bemühten "Göttlichen Komödie", ist aber ein dramaturgischer Coup. Erst die ans Absurde streifende Komödie um den Erbschleicher Gianni Schicchi, dann das veristische Gewaltstück "Der Mantel", endlich die Erlösungsapotheose einer gequälten Frauenseele in "Schwester Angelica": Ein ungeheurer Sog entwickelt sich da, und wer meint, es mit musikalischen Leichtgewichten zu tun zu haben, vermag die hoch komplizierten Partituren nicht zu entziffern.

Die sind bei den Philharmonikern und Franz Welser-Möst in idealen Händen: Hier vereinigt sich emphatisches, empathisches Musizieren mit größtmöglicher Klarheit. Das ist so großartig wie Christof Loys Inszenierung. Im Widerstand gegen das Diktat szenischen Mülls, der die Oper als Genre zu ersticken droht, werden hier die puren Wahrheiten in Wort und Klang freigelegt und den Sängern überantwortet. Die tragen -die olympischen Veteraninnen Karita Mattila und Hanna Schwarz ausgenommen - keine spektakulären Namen und sind doch exzellent. Misha Kiria als Schicchi, Roman Burdenko und Joshua Guerrero im Kampf um die Frau: Da fehlt nichts zum großen Abend.

DIE ZAUBERFLÖTE

Der Großvater stört

Die zu würdigende Beharrlichkeit des Intendanten, der den Erstversuch vom Sommer 2018 nicht diskret ins Depot mit den Niederlagen verräumen wollte, hat zumindest konsumierbare Früchte getragen: Lydia Steiers "Zauberflöte" ist in ihrer Anlage jetzt konzentrierter, wacher, weniger zirzensisch aufgedonnert.

© Sandra Then/SF Die Schlange bedroht Tamino und die drei Knaben

Ob die Mühe der Wiederaufnahme dafürgestanden ist, bleibt gleichwohl fraglich, denn man hat am Grunddilemma festgehalten: Die Prosadialoge sind gestrichen, an ihrer Stelle setzt ein Großvater die drei Knaben im bürgerlichen Kinderzimmer über den Gang der Handlung in Kenntnis. Das Libretto wurde dadurch allerdings nicht besser, und das von Roland Koch bemühte Gesichtsmikrofon erzeugt einen Basismisston, der sich verschärft, wenn Orchesterpassagen überschrien werden. Dass es die todesstarre Fuge in der Geharnischtenszene trifft, ist schon ein ernstes Vergehen. Dass die Wasser-und Feuerprobe, ein musikhistorisch beispielloses Wunder minimalistischer Reduktion, mit Kriegslärm niedergedonnert wird, ärgert sehr. Dass aber Paminas Arie in der Schmerzenstonart g-Moll von einer krachenden Drehbühne drangsaliert wird: Das sollte abgestellt werden.

Sarastros Reich, darüber besteht Konsens, ist nicht, was es zu sein vorgibt, sondern ein diktatorisch geführter Schurkenstaat. Deshalb lenkt die Regie die Ereignisse von der Idylle in den Weltkrieg. Das geht auf, verlockt aber die Dirigentin Joana Mallwitz zum tödlichen Fehler: Sie hetzt die Erhabenheitsmusik der Eingeweihten (Harnoncourt erklärte die Diskrepanz zwischen Text und Partitur mit dem gefährlichen "Brustton der Überzeugung"), den Priestermarsch, die Chöre, Sarastros Arien, mit den Philharmonikern pauschal herunter. Damit ist das Werk um seine so radikalen wie identitätsstiftenden Kontraste gebracht. Die Besetzung hat Vorzüge (Regula Mühlemanns Pamina, Michael Nagls Papageno, mit Einschränkung Tareq Nazmis Sarastro) und ein Defizit, Brenda Raes überforderte Königin der Nacht. Mauro Peter als zwar dramatischer, aber auch stumpfstimmiger und forcierter Tamino laborierte hoffentlich bloß an der Tagesunform.

REIGEN

Schwindelpackung

Die Idee wäre nicht übel gewesen: Zehn Autoren sollten die zehn Episoden des Originals ins Heute übertragen, um Schnitzlers zentrales Motiv -männliche Sexualität als Instrument der Gewaltausübung -für die Gegenwart zu beglaubigen. Was dem Publikum der kleinen "Szene Salzburg" unter dem Titel "Reigen" unterjubelt wird, ist indes bloß eine Schwindelpackung rückrufbedürftigen Inhalts.

© © Lucie Jansch/SF Dilettantische Leitartikel im Luxusrestaurant

Die Beiträger näherten sich dem Stationendrama in unterschiedlicher Distanz zum Original, ohne von den Mühewaltungen der Kollegen Kenntnis zu haben. Damit fällt auch Schnitzlers titelgebendes Prinzip: die Weitergabe der sexuellen Nutzungsrechte an den nächsten Triebtäter.

Das wäre zu tolerieren, genügten nur die Resultate den Ansprüchen. Auch wüsste man genug anfragbare Dramatiker für solch ein Projekt, Ferdinand Schmalz zum Beispiel, Ewald Palmetshofer oder Kurt Palm. Die für das Festspielprojekt Bemühten fallen indes mehrheitlich nicht in diesen Personenkreis. Auch scheint es nicht um Kunst, sondern um die Abbuchstabierung des "woken" Themenkatalogs nach Diversitätskriterien gegangen zu sein. #MeToo, LGBT, Ukraine, ein bisschen Corona: Mehrheitlich sitzt man vor handwerklich erschütternden Leitartikeln mit mangelhaft verteilten Rollen. Lydia Haiders Text hyperventiliert hoffnungslos hinter dem Vorbild Werner Schwab her. Sofi Oksanen würgt am Themenstau: Der Internet-Troll bedrängt die Essensbotin nicht nur nach #MeToo, sondern ist auch Nazi und Putin-Versteher.

Die Regisseurin Yana Ross verlegt die Ereignisse in ein elegantes Restaurant und scheitert hoffnungslos: Je miserabler die Texte, desto verzweifelter nehmen sich die unmotiviert aufschießenden Einfälle aus. Die Schauspieler, unter ihnen Sibylle Canonica, hätten Genugtuung verdient.

INGOLSTADT

Die Hölle der Provinz

Zwei Schlüsselstücke der klassischen Moderne, tadellos gearbeitet, fesselnd erzählt, sehr gut besetzt. Was konnte da noch misslingen? Die Dramaturgie, dieser unermüdliche Saboteur, macht es möglich: Indem sie Marieluise Fleißers Frühwerke "Fegefeuer in Ingolstadt" und "Pioniere in Ingolstadt" amalgamiert, führt sie eine sehenswerte Aufführung in Überlänge und vermeidbare Wirrnis.

© Matthias Horn/SF Marie-Luise Stockinger und Jan Bülow im Widerstand gegen die ganze Welt

Im oberbayerischen Städtchen Ingolstadt konnte die Handwerkertochter Marieluise Fleißer (1901-1974) die Zerstörungskräfte der Provinz studieren. Brecht brachte sie zum Theater. Sie wurde berühmt und vergessen und in den frühesten Siebzigerjahren stürmisch wiederentdeckt: Ihre Kleinstadtdramen aus der Zwischenkriegszeit haben Kroetz, Turrini, Sperr den Weg zum politischen Theater gezeigt. "Fegefeuer in Ingolstadt" beschreibt die Zerstörung jugendlicher Seelen durch katholische Gehirnwäsche und vergiftetes sexuelles Begehren. Der belgische Regisseur Ivo van Hove setzt das ohne Eskapaden um, in einer halb gefluteten Landschaft aus Schlamm und Schwärze, hart und präzise auf die Atmosphäre, den Text und die Schauspieler konzentriert.

Auch die grausame Komödie "Pioniere in Ingolstadt" ist harter Stoff: Es geht um Militarismus und Frauenverachtung, und van Hove leistet auch hier gute Arbeit. Dennoch wäre es vorzuziehen, man sähe die beiden Stücke, gern in derselben Konstellation, hintereinander statt gleichzeitig. Doch ist es offensichtlich unelegant, einfach tadellos Theater zu spielen.

Die Aufführung hat dennoch große Vorzüge, trotz pandemischer Verschiebungen und Umbesetzungen ist ein nach wie vor beeindruckender Theaterabend gelungen. Vor allem kann das oft in halber Anonymität kümmernde junge "Burg"-Ensemble einmal den Qualitätsnachweis erbringen: Marie-Luise Stockinger, Lilith Häßle, Lili Winderlich, Jan Bülow und (wirklich) alle anderen legen Besuchenswertes vor.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 31+32/2022.