Salzburger Festspiele, Bayreuther Tragödien

Was haben sich manche geängstigt, die Verpflichtung russischer Weltkünstler nach Salzburg werde Tumulte nach sich ziehen! Nichts war, die Festspiele blühen in Hochverfassung. Die Konkurrenz versinkt korrekt in Intrigen

von Heinz Sichrovsky © Bild: NEWS

Was die Salzburger Festspiele seit drei Sommern im Umgang mit pandemisch-epidemischnotorischen Erscheinungen leisten: Das reserviert der amtierenden Intendanz zumindest zwei fettgedruckte Fußnoten in der Kulturgeschichte. Ich beziehe mich dabei nicht einmal auf das (gleichfalls mehrheitlich geglückte) Künstlerische, sondern auf die Leuchtturmfunktion, zu der sich Kunstunternehmen von internationaler Ausstrahlung a priori verpflichten müssten. Leider fehlt es da überwiegend, wie am ersten Pandemiesommer zu studieren war. Die Restriktionen waren unter Bedingungen aufgehoben, aber weder in Bregenz noch in Bayreuth wagte man aufzusperren. Nur in Salzburg traute man sich, und den August 2020 wird keiner, der das Glück hatte, am Schauplatz zu sein, vergessen.

Heuer spielen wieder alle, aber an einer Seitenfront des unheilvollen Krieges geht es gegen Künstler. Die schon an sich bedrohlich schrumpfende Kulturblase, der anzugehören nicht viel weniger als mein Leben ist, wurde auch noch von innen infiziert. Der frühere Staatsoperndirektor Dominique Meyer, der die kommende Spielzeit der Mailänder Scala mit einer "Boris Godunow"-Premiere eröffnet, muss auf zwei ukrainische Sänger verzichten, denen seitens ihrer Regierung untersagt wurde, an einer russischen Oper mitzuwirken. Diese Art Staatsbarbarei ist in den vergangenen fünf Monaten mit Marketing-basierter Niedertracht eine verhängnisvolle Kumpanei eingegangen: Bisher unbeachtete Randerscheinungen meiner Branche -"Blogger","Whistleblower" im Zwergenformat -haben sich als Karrieremodell die Existenzzerstörung russischer Künstler durch Denunziation und Internet-Hetze ausgesucht.

Leuchttürmen des Opportunismus - besonders abstoßend die "Met" in New York, die Anna Netrebko hoffentlich mit Millionen für glatten Vertragsbruch entschädigen muss - folgten weltweit Epigonen, die sich vor dem "Shitstorm" und anderen Irrationalitäten ängstigen. Neben anderen in Russland basierten Künstlern trifft es besonders den griechischen Dirigenten Teodor Currentzis, der mit der Formation "MusicAeterna" ein Kontinente überspannendes Friedensprojekt geschaffen hat. Die jungen Musiker aus 15 Nationen haben zuletzt viele Verträge verloren. In Salzburg allerdings treten sowohl der Dirigent als auch Chor und Orchester auf. Die Angst vor Demonstrationen und internationaler Ächtung war enorm. Und was war? Nichts. Die armen Teufel vor dem Festspielhaus haben ihre Vuvuzelas gegen Van der Bellen, die Impfung und ihr eigenes Lebenselend in Betrieb gesetzt. Aber keinen Hupton lang gegen Currentzis, der drinnen die großartige Bartók-Orff-Premiere verantwortete. Die Besucher spendeten stehend Beifall, die Kritiken waren erstklassig, und der Zulauf ist es für ein Minderheitenprogramm gleichfalls. Damit wird, wie schon 2020, aus Salzburg zum zweiten Mal die Strategie gegen Kleinmut und Niedertracht vorgegeben: ignorieren, nichts weiter. Zumal Currentzis gerade ein von Russland unabhängiges Parallelprojekt präsentiert hat.

Salzburg blüht, täglich treten da die Besten der Besten auf. Bayreuth geht derweil im Chaos unter: Der für den neuen "Ring" vorgesehene Dirigent Pietari Inkinen, der im Vorjahr an der "Walküre" ein schon ikonisches Maß an Unfähigkeit nachgewiesen hat, ist krankheitsbedingt ausgefallen. Ihn vertritt der frühere Chef des Wiener ORF-Orchesters, der "Tristan und Isolde" deshalb an den Linzer Musikdirektor weiterreichen musste. Der Kartenvorverkauf ist eingebrochen.

Um die Verheerungen zu systematisieren, wird in Bayreuth auch noch nach Kräften gegen Thielemann, den überragenden Dirigenten unserer Zeit, gearbeitet. Die Vorwürfe -er habe sich respektlos gegen eine Kontrabassistin geäußert -sind zu albern, um sie zu erwidern. Aber die Konsequenzen sind berauschend. Zwar steht Thielemann in der Spitzenposition, was die Nachfolge Riccardo Mutis bei Chicago Symphony betrifft. Aber es gibt jetzt keine gegenseitigen Ausflüchte mehr, ihn sommers nach Salzburg zu verpflichten. In Mailand übernimmt er 2024 einen neuen "Ring", und wie die Philharmoniker an seinen Händen hängen, wurde in Salzburg soeben an einer unvergesslichen Neunten Bruckner exemplifiziert. An der Staatsoper dirigiert Thielemann in der übernächsten Saison den neuen "Lohengrin" und eine Serie der Strauss'schen "Frau ohne Schatten". Womöglich noch Größeres ist in Arbeit. Womit ich zart ein bald zu vertiefendes Thema streife: Der Vertrag des amtierenden Staatsopern-Musikdirektors Philippe Jordan läuft 2025 aus, und die Leidenschaft der Philharmoniker für seinen Verbleib ist von einer an Unsichtbarkeit reichenden Überschaubarkeit.

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