Festspiele 2017 durch
Präsident Van der Bellen eröffnet

Eröffnungsreden kreisten um Macht und Digitalisierung

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat heute, Donnerstag, seine erste Salzburger Festspieleröffnung vorgenommen. Thematisch kursierten die Eröffnungsreden um die Themen Macht und Digitalisierung, musikalisch wurde das Event von Variete-Musik des heurigen Fokus-Komponisten Dimitri Schostakowitsch umrahmt. Die Festspielrede hielt der deutsche Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach.

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Salzburg - Festspiele 2017 durch
Präsident Van der Bellen eröffnet

Hundert Jahre ist es her, dass "Träumer Max Reinhardt" und seine Unterstützer ihre Idee von einem Salzburger Festspielhaus mit der Gründung eines Vereins auf den Weg brachten, erinnerte Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler, die die zahlreichen Ehrengäste aus Politik und Wirtschaft willkommen hieß - zu insgesamt sechs Wochen voller Oper, Theater und Konzerte, für die in der Stadt an der Salzach mehr als 200.000 Karten aufgelegt sind. Gestartet sind die Festspiele traditionsgemäß bereits am vergangenen Wochenende - mit der Premiere des neuen "Jedermann".

»Aufgabe der Politik ist es dann, vom 'Jedermann' ein Stück weit abzurücken«

Der war auch Anhaltspunkt für den Bundespräsidenten: Über Mehrheiten, die sich an ihrer Behandlung von Minderheiten messen lassen müssen, über Starke, die "die Weisheit besitzen, auf den Schwächeren zu achten" und über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sprach er in seinen Eröffnungsworten. "Aufgabe der Politik ist es dann, vom 'Jedermann' ein Stück weit abzurücken" und anstatt einer gnädigen Geste dem Schwachen "ein Anrecht auf Unterstützung" einzuräumen, so Van der Bellen. Im Angesicht von Digitalisierung und der Verlagerung der Diskurse ins Internet seien wir außerdem gefragt, uns nicht in der "Echokammer" einzurichten und in ein "digitales Biedermeier" zu verfallen, sondern auf Empathie und Solidarität zu achten.

Drozda für "neuen digitalen Humanismus

Die Digitalisierung firmierte auch als zentrale Macht in der Rede von Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ), der im Angesicht einer "Metamorphose der Macht" und einer "vierten industriellen Revolution" zwischen Robotik und Big Data für einen "neuen digitalen Humanismus" eintrat. Die Kunst solle dabei "ein Leuchtturm, ein Wegweiser" sein, so Drozda. "Die analogen Welten des Theaters, wie wir sie hier erleben, der Oper, des Konzertes und der Ausstellungen sind Orte der Herzensbildung." Kunst könne der "Entfremdung des digitalen Zeitalters entgegenwirken", weil sie Resonanzerfahrungen ermögliche. "Kunst kann unsere Grundsehnsucht nach einer Welt, die uns antwortet, stillen!"

Haslauers "Plädoyer für die Schönheit"

Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (ÖVP) nutzte seine Rede wiederum für ein "Plädoyer für die Schönheit". Kommerzialisierung und Kitsch, Dekor und "Dauerberieselung" habe viele Menschen längst in die Flucht vor dem Schönen getrieben, habe uns die Schönheit "verdächtig gemacht", beklagte Haslauer, und habe eine Hinwendung der Künste zum Abgründigen und Widerwärtigen hervorgerufen. Doch sei Schönheit vielmehr eine "Haltung", zu der man sich wieder bekennen solle. "Wir müssen die Schönheit wieder bewusst suchen", so Haslauer und "unsere Kinder und uns selbst zur Schönheit erziehen".

Wie gut Abgründigkeit und Schönheit zusammengehen, stellte unterdessen das Mozarteumorchester unter seinem neuen Chefdirigenten Riccardo Minasi unter Beweis und bespielte die Felsenreitschule mit Verve und Eleganz aus der "Suite für Variete-Orchester", die Lust auf die heurige Festspielschiene "Zeit mit Schostakowitsch" machte. Im Publikum lauschten unter anderem zahlreiche Mitglieder der Bundesregierung, die Expräsidenten Heinz Fischer und Joachim Gauck sowie die Außenminister Jean Asselborn aus Luxemburg, Aurelia Frick aus Liechtenstein und Didier Burkhalter aus der Schweiz.

Schirach warnt vor der "Schwarmintelligenz"

Der deutsche Autor und Strafverteidiger Ferdinand von Schirach hat in seiner Salzburger Festspielrede über die Macht des Volkes eine eindringliche Warnung vor der "Schwarmintelligenz" ausgesprochen. Diese sei, und das werde in sozialen Medien überdeutlich, "am Ende nur ein weiterer Modebegriff für die ganze hässliche Macht des Stärkeren", so Schirach.

Die Macht, an deren Schwelle wir heute stünden, "wurde von den Librettisten der Opern nicht beschrieben". Sie ist eine Erfindung späterer Generationen. "Unsere höchste Autorität, Grundlage unserer Staaten", die "strahlende, menschenfreundliche Idee" - nämlich "Alle Macht geht vom Volke aus" - könne "alles zerstören, was wir sind". Durch Internet und soziale Medien sind Bürger nicht mehr nur Empfänger, "sondern wurden zu sehr mächtigen Sendern". Nie sei es so einfach gewesen, seine Stimme zu erheben und gehört zu werden. Leicht könne man sich eine "BundesApp" vorstellen, die Rousseaus einstige Ideale der ständigen politischen Mitbestimmung des Volkes in unsere heutige Realität umsetzt.

»Rousseau irrte sich, seine Ideen endeten im Terror.«

Die Geschichte aber zeige: "Rousseau irrte sich, seine Ideen endeten im Terror." Im Rückblick erkenne man, dass sich der Volkswillen oft "für das Falsche, Dunkle, Furchtbare" entschieden habe, betonte von Schirach und fragte: "Was tun, wenn die Demokraten einen Tyrannen wählen? Wann soll eine Sachentscheidung über eine Mehrheitsentscheidung gestellt werden? Wann muss sie es?"

Denn nicht die direkte Demokratie habe uns "Siege über uns selbst", über das unethische Tier Mensch, erringen lassen, so Schirach, sondern unsere "Achtung vor unserem Nebenmenschen", die sich schließlich in Magna Carta und Bürgerrechten, in Verfassungen und komplizierten Regelwerken manifestiert hat - "so langweilig das klingt". Diese Siege gelte es zu schützen - nicht nur gegen Tyrannen, sondern auch gegen den "angeblichen Willen des Volkes". Denn: "Der Volkszorn ist unberechenbar, er ist wild und brutal und kann jederzeit aufgestachelt werden, eine kleine Kränkung reicht dafür aus." "Gerade in diesen aufgeregten Zeiten müssten wir also das Recht gegen die Macht stellen".

Premiere von Mozarts "La Clemenza di Tito"

Dass er selbst mit seinem zum Fernsehfilm gewordenen "Terror" ein Stück geschaffen habe, bei dem das Publikum abstimmen darf, obwohl er sich so massiv gegen Volksentscheide ausspricht, erklärte Schirach mit dem Wesen des Theaters. Hier "begegnen wir uns selbst, unseren Reflexen, Gefühlen, Gedanken. Wir ringen mit uns, sind hin-und hergerissen, wir streiten, zweifeln, verwerfen und suchen nach der richtigen Lösung. Das Theater wird so zu einem Forum, auf dem die 'res publica', die öffentliche Sache, verhandelt wird." Erste Verhandlungsrunde in Salzburg ist heute Abend mit der Premiere von Mozarts "La Clemenza di Tito" in der mit Spannung erwarteten Konstellation von Dirigent Teodor Currentzis und Regisseur Peter Sellars.

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