"Ein iPhone erfindet man
eben nicht alle Tage"

Zuerst war er Rapper, dann Skilehrer und schließlich langjähriger Manager bei Apple. In seinem neuen Buch "App Store Confidential" packt Insider Tom Sadowski zum Ärger von Apple über das Geschäft des App Stores aus. News.at hat ihn gefragt, wie sektenhaft Apple ist und welche App-Trends uns bevorstehen.

von App-laus - "Ein iPhone erfindet man
eben nicht alle Tage" © Bild: iStockPhoto.com

Herr Sadowski, mit der Veröffentlichung Ihres Buches haben Sie sich keine Freunde bei Apple gemacht: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge zwischen Ihnen und Cupertino?
Der Verlag und ich haben überraschenderweise wenige Tage vor Veröffentlichung eine Abmahnung bekommen, seitdem aber nichts mehr gehört. Mittlerweile halten wir die Wahrscheinlichkeit einer einstweiligen Verfügung für gering, da inzwischen schon mehr als vier Wochen vergangen sind. Auszuschließen ist es freilich nicht, dass Apple noch etwas unternehmen wird.

Wissen Sie schon, welche Geschäftsgeheimnisse Sie verraten haben sollen?
Das weiß ich leider bis heute nicht. Es ist ja so, dass der Verlag und ich von zwei Großkanzleien jeweils eine Abmahnung bekommen haben. Da steht tatsächlich der Vorwurf des Geheimnisverrats im Raum, ohne ihn allerdings zu konkretisieren. Wir haben bis heute keine Informationen dazu bekommen.

Hat das mit der Geheimniskrämerei zu tun, für die Apple bekannt ist?
Ich war ja 10 Jahre bei dem Unternehmen, daher kenne ich das ganz gut. Ich denke, dass man unabhängig vom Inhalt grundsätzlich einfach nicht möchte, dass ein ehemaliger Mitarbeiter ein Buch veröffentlicht. Ich hatte das als mögliches Szenario im Vorfeld ja schon vorhergesehen, weshalb wir die Inhalte genau geprüft haben, um Rechtskonformität sicherzustellen. Wir haben unsere Hausaufgaben also gemacht.
Uns hat vor allem das Timing der Reaktion wenige Tage vor Veröffentlichung überrascht, sie stand ja schon seit Dezember fest. Und Apple hat massive Geschütze aufgefahren mit Prozessvollmachten aus den USA, aus Europa und aus Deutschland. Da atmet man erst einmal tief durch. Vielleicht war der Glaube da, dass diese Drohung zur Zurückhaltung des Buches groß genug sein würde. Wir haben aber immer dran geglaubt, dass nichts im Buch steht, was Rechte verletzt und deswegen sind wir auch nicht eingeknickt.

Bessere Werbung kann man sich unterm Strich gar nicht vorstellen, oder?
Es ist total absurd gelaufen. Ich habe in der Woche vor der Veröffentlichung sogar noch ein paar ranghohe ehemalige Kollegen angerufen, um sie freundlicherweise darauf aufmerksam zu machen, dass ich durchaus ein Szenario kommen sehe, in dem das Thema extrem hochkochen kann. Das hat alles nichts genützt und so ist eben passiert, was passiert ist. Natürlich hat das auch extreme Aufmerksamkeit für das Buch gebracht.

Was war denn Ihre Intention?
Das Buch hat ja einen autobiographischen, anekdotischen Touch. Die ehrliche Geschichte dahinter ist, dass ich im März letzten Jahres mitten in der Nacht mit einer Art Inhaltsverzeichnis im Kopf aufgewacht bin und begonnen habe, das für mich persönlich runterzuschreiben – und gar nicht, um ein Buch zu veröffentlichen. Irgendwann war ich dann an einen Punkt gelangt, wo ich gemerkt habe, dass der Inhalt für die Allgemeinheit, die sich nicht so mit dem App-Business auskennt, sehr spannend sein könnte und sicherlich auch für junge Gründer, die im Buch komprimierte Tipps und Tricks finden.

»Die Geheimniskrämerei führt zu einer sektenhaften Wahrnehmung«

Ist Apple wirklich so sektenhaft, wie es von außen immer hochgeschaukelt wird? Ist dieses Image gerechtfertigt?
Apple tritt auf Großveranstaltungen nicht wirklich in Erscheinung, es gibt nur die eigenen Keynotes wie etwa die WWDC, was ja eine guten Grund hat: Man hat gelernt, dass die PR-Wirkung einen ganz anderen Hebel hat und das ist wohl auch der Hauptgrund für dieses Verhalten.
Ich glaube, dass die Geheimniskrämerei, die ich ja jetzt auch mit meinem Buch erlebt habe, zu dieser sektenhaften Wahrnehmung führt. Es gibt viele Mitarbeiter bei Apple, für die es das Größte ist, als klassische Apple-Jünger für dieses Unternehmen arbeiten zu dürfen. Es gibt aber auch viele andere wie mich, die selbst nach 10 Jahren noch durchaus in der Lage sind, ihre eigene Sichtweise auf die Dinge zu haben.

Zu jedem Kapitelbeginn in Ihrem Buch zitieren Sie Steve Jobs. Ist es kennzeichnend für das Unternehmen Apple von heute, dass Sie Tim Cook nicht zitieren? Was hat es immer noch mit dieser Jobs-Magie auf sich?
Man redet ja immer gerne von der Apple-DNA und ich glaube, dass es auch heute noch die Steve-Jobs-DNA ist, die man damit meint. Er war visionär für das Unternehmen, war entscheidend für die Ausgestaltung des Produktportfolios und hat damit die Mitarbeiter nachhaltig geprägt, auch mich. Diese DNA gibt es auch heute noch im Unternehmen und ich habe daher versucht, Zitate auszuwählen, die inhaltlich zu den Kapiteln passen. Tim Cook hat nie versucht Steve Jobs zu kopieren, er hat eine eigene Vorgehensweise, das halte ich auch für gut so. Aber gerade, was die Zitierbarkeit betrifft, war er nie so der Visionär.

Es ist unbestritten, dass Steve Jobs ein Querdenker und Stehaufmännchen war. Haben Sie in Ihrer Zeit bei Apple den Eindruck gehabt, dass dieses Vermächtnis nur weitergetragen wird oder dass schon auch weitere Querdenker und Stehaufmännchen an Bord sind?
Ich denke schon, dass das weitergetragen wird. Er hat ein paar Dinge in die Unternehmenskultur gebracht, die es auch heute noch gibt. Beispielsweise das Gefühl und die Erkenntnis, dass Einfachheit ganz entscheidend ist. Nicht nur für das Produktportfolio, sondern für alles, was man macht, angefangen von der E-Mail, die man schreibt, bis zur Präsentation, die man hält. Das sind Werte von ihm, die im Unternehmen immer noch leben. Ich glaube also nicht, dass sich die Unternehmenskultur nach dem Ableben von Steve Jobs maßgeblich verändert hat, das wird auch noch sehr lange weiterleben.

»Steve Jobs würde heute auch Dinge bemerken, die andere jetzt nicht sehen«

Glauben Sie, dass Steve Jobs auf Apple von heute stolz wäre?
Die Zeiten haben sich maßgeblich geändert. Ich hab 2009 bei Apple angefangen, da war das Unternehmen in der Wahrnehmung vieler noch der Underdog. Ich selbst arbeitete noch am PC und hatte ein Blackberry. Die Mac-Penetration war ja nur in der Kreativ-Szene groß, der hohe Anteil in der Businesswelt kam erst viel später.
Die Wahrnehmung hat sich verändert und Apple ist nun das zweitwertvollste Unternehmen weltweit. Das beeinflusst natürlich die Positionierung und auch den Kultfaktor, damit würde sich heute auch ein Steve Jobs beschäftigen müssen. Möglicherweise würde er heute aber auch Dinge bemerken, die andere jetzt nicht sehen.

Wie stufen Sie den Innovationscharakter von Apple heute ein?
Ich sag mal so: Ein iPhone erfindet man nicht alle Tage. Heutzutage geht es darum zu verstehen, wie sich Konsumentenbedürfnisse verändern. Wir bewegen uns weg von einer produktorientierten Bedürfnisbefriedigung zu einer serviceorientierten. Das heißt, die jüngere Zielgruppe möchte nicht unbedingt ein Produkt besitzen, sondern einen Zugang zu einer Lösung haben. Das beeinflusst natürlich auch sehr stark die Zukunft und das Setup eines Unternehmens wie Apple.
Das sieht man ja auch schon an den Zahlen: Der Bereich Services ist nach dem iPhone mittlerweile das zweitgrößte Geschäft von Apple. Nur ist es eben nicht so haptisch wie eine Produktinnovation. Selbst wenn in einem App Store also Innovation stattfindet, wie zum Beispiel neue Abo-Modelle, dann ist das in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit nicht so präsent wie ein neuer Produktlaunch. In dem Bereich tut sich dennoch sehr viel Innovatives.

»Die Zeit des Ausprobierens ist vorbei«

Wie wird man heutzutage als Nutzer Herr über das Erlebnis in App Stores? Egal, in welchem Store man sich umsieht, im Vergleich zu Anfangsjahren wirken sie bis an die Decke zugemüllt…
Vor zwei, drei Jahren noch wurde die absolute Zahl an Apps im Store gerne kommuniziert, so als Benchmark. Das machen Unternehmen nicht mehr, weil erkannt wurde, dass es nicht mehr um die Anzahl, sondern die Wertigkeit von Apps geht. Apple hat schon rechtzeitig erkannt, Review-Guidelines zu optimieren, um sicherzustellen, dass man für einen Use-Case keine 20 verschiedenen Me-Too-Angebote hat. Stattdessen sollen neue Produkte reinkommen, die idealerweise Probleme neu lösen.
Rund 65 Prozent der Downloads im App Store werden über die Suche generiert. Das heißt der Nutzer weiß mittlerweile, was er braucht, weil das Geschäft älter geworden ist. Das Szenario des Browsens im App Store ist noch vorhanden, aber vergleichsweise gering. Nutzer geben tendenziell mehr Geld in weniger Apps aus, weil sie gelernt haben, was die Dinge sind, die sie wirklich weiterbringen. Die Zeit des Ausprobierens ist vorbei.

Was würden Sie empfehlen, wie man eine gute von einer schlechten App trennen kann?
Pauschal schwierig zu beantworten, weil es allein schon mehr als 20 Kategorien für Apps gibt. Ein wesentlicher Punkt ist der Fokus der App. Eine gute App fokussiert idealerweise auf die bestmögliche Lösung eines konkreten Problems. Alles, was nicht auf dieses übergeordnete Ziel einzahlt, sollte ausgeklammert werden.
Zweiter Punkt ist eine intuitive Benutzeroberfläche bzw. -erfahrung. Eine gute App ist gefällig im Design. Die App antizipiert die Absicht des Kunden durch eine smarte Menüführung, teilweise auch durch die Nutzung von maschinellem Lernen. Dazu zählen auch Apps, die Gesichts-, Objekt- oder Texterkennung nutzen, wenn es zu den jeweiligen Anwendungsszenarien passt. In manchen Bereichen ist auch die Nutzung von Schnittstellen sinnvoll, damit beispielsweise Daten nicht unnötig eingegeben werden müssen, die schon auf dem iPhone hinterlegt sind.
Und drittens ist es wichtig, dass Entwickler wissen, in welchen Märkten die App angeboten werden sollte. Da ist das Naheliegende nicht immer das Naheliegendste: Der Store hat ja den Riesenvorteil, dass man mit einer Distributionsplattform in aktuell 155 Ländern vertreiben kann. Es ist also wesentlich zu erkennen, wo die App am besten hinpasst, um die sprachliche Lokalisierung entsprechend zu gewährleisten.

Könnten progressive Webapps nativen Apps den Rang ablaufen?
Wie die herkömmlichen Webapps haben auch sie sich trotz zusätzlicher Vorteile in der Breite nicht durchgesetzt. Ich glaube, das liegt primär daran, dass das Anspruchsniveau mittlerweile sehr hoch bei den Nutzern ist. Das heißt, dass Performance, Qualität und die Ausnutzung von Funktionalitäten entscheidend sind und da sind native Apps noch ein Stückchen voraus. Solange das so bleibt, glaube ich auch nicht an die Zukunft von Webapps.

Was halten Sie von Loot-Boxen im Gaming-Bereich, also kostenpflichtigen aber zufälligen Inhalten für ein Spiel?
Ich glaube, es liegt in der Verantwortung der großen Plattformen das zu reglementieren. Der App Store hat das zumindest dahingehend schon gemacht, dass die Wahrscheinlichkeit angegeben werden muss, mit der gewisse Inhalte oder Items bezogen werden können. Solche Maßnahmen halte ich für wichtig und sind der einzige Weg das Thema in den Griff zu bekommen, besonders für junge Nutzer. Ob so ein einzelner Schritt in die richtige Richtung ausreicht, ist allerdings zu bezweifeln.

»Wir werden bei Apps eine zunehmende Segmentierung sehen«

Gerade im Gamingbereich ist es bei In-App-Käufen ja so, dass nur recht wenige User für einen Großteil des Umsatzes sorgen. Wie geht die Branche dann damit um, offensichtlich Spielsüchtige auszunutzen?
Spiel ist ja nicht gleich Spiel. Es gibt eine hohe Bandbreite unterschiedlicher Genres, darunter sind viele Spiele unbedenklich. Bei Apple gibt es auch ein Arcade-Abo, wo man Zugriff auf mehr als 100 Premiumspiele hat, das ist sehr familienfreundlich und kommt ohne versteckte Käufe im Spiel aus. Das ist die eine Seite.
Das andere Extrem sind Casinospiele, die einen gewissen Suchtfaktor haben. Fakt ist aber auch, dass der App Store beispielsweise keine solchen Spiele unterstützt: Sie werden nicht gefeaturet und bekommen auch nicht mehr Visibilität. Trotzdem erreichen diese Spiele über andere Kanäle ihre Zielgruppe und sind da auch sehr erfolgreich.

Lässt sich über Streaming und Abo-Modelle hinaus in die Zukunft blicken?
Ich gehe davon aus, dass wir bei Apps eine zunehmende Segmentierung sehen werden. Im Dating-Bereich gibt es neben Generalisten wie Lovoo und Tinder jetzt schon Apps, die beispielsweise einen Schwerpunkt auf Alter oder auf religiöse Herkunft legen. Das wird sich in anderen Bereichen ähnlich entwickeln. Das ist ein bisschen die Folge eines älterwerdenden Marktes.
Einen anderen Trend sehe ich bei Apps in der zunehmenden Globalisierung. Momentan ist der Markt ja noch aufgeteilt in westlichen und asiatischen Raum. Ich glaube also, dass es möglich sein wird, Angebote zu schaffen, die tatsächlich global funktionieren werden. Und das ist die Königsdisziplin, egal in welchem Genre. Wer das schafft, wird zu den Champions von morgen zählen.

Zum Autor: Tom Sadowski war 10 Jahre lang bei Apple als Manager tätig, verantwortete zuletzt das App-Geschäft und zuvor das Marketing für iTunes in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Heute coacht er Startups und berät Unternehmen in ihrer App- und Monetarisierungsstrategie.

© Murmann Verlag

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