Schwimmendes AKW
sticht bald in See

"Nukleare Titanic" oder "Tschernobyl on ice" tauften Kritiker das schwimmende AKW aus Russland. Jetzt ist es bald soweit: Die "Akademik Lomonossow" sticht noch im August in See, um ihren Betrieb in der arktischen Hafenstadt Pewek aufzunehmen. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) hat das russische AKW-Schiff als sicher eingestuft. Umweltschützer warnen.

von Akademik Lomonosov © Bild: imago images / ITAR-TASS

Für Russland geht es ums Prestige. Stolz verkündete der Eigentümer des AKW-Schiffs, das russische Atomunternehmen Rosenergoatom (zur staatlichen Atombehörde Rosatom gehörend), im April 2019: Die "Akademik Lomonossow" kann ihren Betrieb aufnehmen. Über 10 Jahre dauerte die Fertigstellung des Pilotprojekts. Getestet wurden die beiden Reaktoren des Schiffes in den vergangenen Monaten in der 300.000-Einwohner-Stadt Murmansk. Dort wartet das schwimmende AKW derzeit auf die Weiterfahrt in die sibirische Stadt Pewek, um die Bewohner mit Atomstrom zu versorgen. Das schwimmende Kernkraftwerk selbst ist bewegungsunfähig. Schlepper und Eisbrecher müssen das 144 Meter lange und 30 Meter breite Schiff darum nach Pewek ziehen.

Eigentlich war ein Test der Atomreaktoren in der Millionenstadt St. Petersburg geplant. Für die Umweltorganisation Greenpeace, die damals eine Petition organisierte, wäre das in einer so dicht besiedelten Gegend unverantwortlich gewesen. Unter dem Druck der Umweltschützer und der baltischen Staaten wurden die nuklearen Tests schließlich nach Murmansk verlegt. Kritiker stellt dieser kleine Erfolg nicht zufrieden. Sie warnen vor den Konsequenzen.

Passend dazu: Gefährliche AKWs rund um Österreich.

"Tschernobyl on ice"?

"Allein der Transport nach Pewek ist gefährlich", sagt Jan Haverkamp, Atomenergie-Experte für Greenpeace in Zentral- und Osteuropa gegenüber News.at. Der Brennstoff sei schon bestrahlt worden und daher viel radioaktiver als zuvor. Das Wetter im Arktischen Ozean sei sehr instabil, dadurch könne es zu einem Kabelbruch kommen. Außerdem laufe das Schiff bei Sturm Gefahr, einen Felsen zu rammen. "Wenn der Reaktor beschädigt wird, wird viel (radioaktive Strahlung; Anm. der Red.) freigesetzt und in der Arktis kann nicht so schnell Unterstützung erfolgen", teilt Haverkamp mit. Dass ein Atomkraftwerk auf dem Wasser treibt, schätzt er im Hinblick auf die ohnehin risikobehaftete Atomenergie als zusätzliches, unnötiges Risiko ein.

Abseits der offensichtlichen Gefahren für ein Atomkraftwerk auf hoher See, macht den Umweltschützern ein weiterer Aspekt Sorgen: Das Projekt soll kein Unikat bleiben, wenn es nach Russland geht. Rosatom plant laut russischen Medien eine ganze Produktionsreihe an schwimmenden AKWs. Und Länder wie China, Algerien, Indonesien oder Argentinien sollen bereits ihr Interesse bekundet haben, die schwimmenden AKWs zu mieten.

Wenn es zu einer Kernschmelze mit Austritt kommen würde, wäre die Menge um einiges kleiner als beispielsweise damals in Fukushima oder Tschernobyl. Da sich die Reaktoren eines schwimmenden Kraftwerks nicht mit einem Kraftwerk an Land messen können. Laut Betreiber kann das Reaktorschiff rund 70 Megawatt an elektrischer Energie generieren. Das slowakische Kernkraftwerk Mochovce produziert mit seinen zwei Reaktoren vergleichsweise rund 440 Megawatt. Dennoch bleibt es ein nuklearer Unfall mit Folgen: Die lokale Bevölkerung müsste in Sicherheit gebracht werden und je nach Wetterlage könne sich die radioaktive Strahlung mehrere Kilometer weit verbreiten, wie der Atomenergie-Experte mitteilt. Der Fischbestand nahe Alaska könnte radioaktiv verseucht werden. Für Europa bestünde bei einem Reaktorunfall in Pewek keine Gefahr, dafür sei das Kernkraftwerk viel zu weit entfernt.

Auch problematisch ist, dass die Energie dieser AKWs wiederum "für Aktivitäten verwendet wird, die den Klimawandel vorantreiben, wie die Kohle-, Öl- oder Gasförderung", erklärt Haverkamp.

Luxus für die Crew

Seit einigen Wochen erstrahlt die "Akademik Lomonossow" in Weiß, wie "The Guardian"-Reporter Andrew Roth schreibt. Er ist vor Ort in Murmansk und war unter den Journalisten, die an Bord des Schiffes durften - streng bewacht vom russischen Sicherheitspersonal. Das schwimmende AKW ist ein Prestigeprojekt, das künftige Interessenten anlocken soll. Nicht zuletzt deshalb wartet das Schiff mit einigem Luxus auf: Ein Fitnessstudio, ein Pool und eine Bar (allerdings ohne Alkohol) erwartet die Schiffsmannschaft.

Am 3. Juli vermeldete das Atomunternehmen Rosenergoatom auf Twitter: "Das einzigartige schwimmende Kernkraftwerk 'Akademik Lomonossow', das von Spezialisten des Baltischen Werks (ein Schiffsbauunternehmen in St. Petersburg; Anm. der Red.) gebaut wurde, hat alle Tests erfolgreich bestanden." Die Sicherheitsbedenken der Umweltschützer teilt Rosatom nicht. Es würden andere Reaktoren benutzt werden, als beispielsweise damals in Tschernobyl. Und dann gibt es noch die seit einiger Zeit erfolgreich eingesetzte Flotte an mit Atomenergie betriebenen Eisbrechern, die Güter über den Nördlichen Seeweg (siehe Bild unten) transportieren. Auf dieser Route soll auch das schwimmende AKW zu seinem Bestimmungsort nach Pewek gelangen.

Nördlicher Seeweg
© Mohonu via English Wikipedia Nördlicher Seeweg

Veraltete Reaktoren

"Die Sicherheitsmaßnahmen sind nicht so weit gediehen, wie bei modernen Reaktoren", teilt der Experte mit. Eingesetzt werden dieselben Reaktoren, die derzeit bei der nuklear betriebenen Eisbrecherflotte zum Einsatz kommen. Es gebe keinen sogenannten "core catcher", um schmelzendes Kernmaterial im Fall einer Kernschmelze dauerhaft aufzufangen und zu kühlen. Und die Sicherheitsbehälter der Reaktoren seien ebenfalls nicht mit jenen moderner AKWs zu vergleichen. Die Eisbrecher hätten noch den Vorteil, dass sie besser gegen Eisschollen geschützt und mobil seien. Dem schwimmenden AKW fehlen diese Eigenschaften.

Zudem sind in Zukunft größere Reaktoren auf den schwimmenden Plattformen geplant. Diese hätten zwar den Vorteil, dass sie nicht so veraltet sind, wie die jetzigen, "aber das Risiko bleibt", sagt Haverkamp.