Rudolf Anschober -
Minister Krisenfest

Schonfrist im neuen Amt des Gesundheitsministers gab es für Rudolf Anschober keine. Doch der grüne Politikprofi beweist in der Corona-Krise eine ruhige Hand und genießt das Vertrauen der "sozial distanzierten" Bevölkerung. Porträt eines unverbesserlichen Optimisten

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Porträt - Rudolf Anschober -
Minister Krisenfest © Bild: Ricardo Herrgott

Agur liebt Spaziergänge am Wiener Donaukanal. Vor allem die U-Bahn-Züge, die alle paar Minuten vorbeirauschen, haben es ihm angetan. Am liebsten würde er jedem einzelnen hinterhersausen. Dass im Zug neuerdings Menschen mit Mund-Nasen-Schutz sitzen, interessiert den Golden Retriever kaum, umso mehr dafür den Mann am anderen Ende der Leine. Denn der heißt Rudolf Anschober, ist Gesundheitsminister und hat mit der österreichischen Bundesregierung den Menschen im Land nicht nur diese Masken, sondern auch noch ganz andere Einschränkungen im Kampf gegen das Coronavirus verordnet.

Zweimal täglich versuche er, seine Runden am Wasser zu drehen, erzählt Anschober bei einem außertourlichen Ausgang mit News. "Das ist ein Ritual, das ich, weil ich diesen wunderbaren Hund habe, seit zehn Jahren regelmäßig mache. Im Moment sind mir diese Spaziergänge besonders wichtig. Der erste im Morgengrauen, das ist meine Ruhephase, in der ich in den Tag hineinkomme. Da unten", deutet Anschober Richtung Wasser, "da ist mein Qigong-Platz." Seit einem Burnout vor acht Jahren gehören die Meditations-und Konzentrationsübungen zu seinem Leben. Eine zweite Runde drehen Hund und Herrl dann spätabends: "Die ist derzeit fast noch wichtiger, weil ich da meine Gedanken runterbringe und-überlege: Was ist gut gelaufen, was hat funktioniert, wo muss man nachbessern? Ja, und durchschnaufen kann ich da auch", erzählt der Oberösterreicher.

Im Krisenmodus

In den ersten Tagen der Corona Krise und des Shutdowns war noch allgemeines Zusammenhalten quer durch alle politischen Lager und gesellschaftlichen Gruppen angesagt. Mittlerweile allerdings wird immer öfter Kritik laut: an unverständlichen (Oster )Erlässen, an vorschnellangekündigten Schutzbestimmungen für Risikopatienten, deren Ausarbeitung dann einen Monat auf sich warten lässt, an mangelnden oderdiffusen Perspektiven für Schul- und Kindergartenkinder, an eilig zusam-mengeschusterten Gesetzen und Verordnungen, die laut Expertenoffensichtlich verfassungswidrige" Passagen enthalten.

Über manchen Lapsus konnte sich der langjährige Politprofi Anschober allein schon durch sein Auf-treten retten. Ruhige und besonnene Kommunikation ist so oder so sein Markenzeichen, in Corona Zeiten wirkt das fast schontherapeutisch in den unzähligen Pressekonferenzen, Interviews und TV Auftritten, die Anschober zurzeit zusätzlich zu seinen Krisensitzungen absolviert. "Manchmal über-rascht es mich selbst, dass ich immer ruhiger werde, je größer die Krise wird", sagt er, "gerade jetzt ist es extrem wichtig, Politik mit ruhiger Hand zu machen." Gelassen nach außen oder auch nach innen im Ministerium, wenn Fehler passieren ganz ehrlich Herr Minister? "Jetzt bist du dran", scherzt er in Richtung seines Pressesprechers, "Agur und ich gehen eine Runde spazieren " Dann antwortet er doch selbst: "Natürlich hab ich auch einen Grant, wenn etwas unrund läuft oder wenn wir Fehler machen auch auf mich selbst. Aber die Grundruhe ist das Entscheidende. Die auszustrahlen, ist eine Persönlichkeitsfrage und vielleicht auch nicht in allen politischen Situationen ideal. Aber jetzt geht es um Ruhe, ohne die Welt rosarot zu färben. Das würde einem eh niemand glauben. Es geht darum, den Menschen Mut zu machen und zu zeigen, dass es auch in der schlimmsten Krise einen Ausweg gibt."

»Manchmal überrascht es mich selbst, dass ich immer ruhiger werde, je größer die Krise wird«

In einer Krise wie dieser könne nicht allesperfekt laufen, meint Anschober. "Das Entscheidende ist, dass die Grundrichtung stimmt, dass wir die richtigen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt gesetzt haben und dass die Bevölkerung fantastisch mitmacht." Es folgt das Regierungsmantra dieser Tage: Phase eins sei gutabsolviert, Österreich habe europaweit die beste Entwicklung, doch Phase zwei, nämlich die vorsichtige Öffnung, werde noch viel schwieriger. "Das Schlimmste wäre, wenn uns eine zweite Erkrankungswelle passiert." Und daher, wir bedauern, gebe es weiterhin keinen genauen Fahrplan, etwa, was die Öffnung der Bildungseinrichtungen betrifft. Kleiner Hoffnungsschimmer: Bis zum Wochenende werde überprüft, wies ich die Corona Zahlen nach den ersten Lockerungen entwickeln, diesen Freitag will Bildungsminister Heinz Faßmann endlich etwas konkreter erklären, was "schrittweise Öffnung" der Schulen eigentlich heißen soll. "Wenn wir gutdastehen, werden wir den einen oder anderen Schritt vielleicht sogar offensiver machen können. Mir ist total klar, dass der Bildungsbereich ein zentraler ist", sagt Anschober, während am Donaukanal mehrheitlich Mütter mit ihren Kindern Bewegung an der frischen Luft suchen.

Den ehemaligen Lehrer gefragt: Wie lange ist es Kindern zumutbar, ihre Freunde nicht sehen zu dürfen? "Natürlich ist das ein einschneidendes Erlebnis für uns alle, bei Jugendlichen und Kindern noch stärker, aber auch bei alten Menschen. Ich habe erst am Wochenende zwei neue Kinderbücher durchgeblättert, die genau für diese Krise getextet und gezeichnet wurden. Ich weiß, dass es schwierig ist, aber auch bei Kindern geht es darum, aufzuklären, ohne ihnen Angst zu machen. Ich sehe bei Freundinnen und Freunden, dass die Kinder die technischen Möglichkeiten zur Kommunikation extrem gutnützen. Aber je kürzer wir diese Phase halten können, desto bes-ser." Dass manche Eltern nicht mehr einsehen wollen, dass Baumärkte öffnen konnten und Men-schen jeden Alters dort in der Schlange stehen, während die Kinder zu Hause bleiben, macht dem Minister, der sein Ressort als "Ministerium für Zusammenhalt" führen möchte, Kopfzerbrechen: "Ich appelliere dringend, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen. Was wir jetzt erleben, ist auch ein Akt der Solidarität. Ich erlebe jetzt ein Österreich des Zusammenhalts, dieses Grundgefühl ist deutlich gewachsen. In den letzten 15 Jahren habe ich anderes erlebt, da haben manche politische Gruppen versucht, den Leuten einzureden, dass es ihnen besser geht, wenn es dem anderen schlechter geht. Die Gesundheitskrise jetzt zeigt uns, dass wir voneinander abhängig sind und zusammengehören." Dass rechte Gruppierungen europaweit in Umfragen an Terrain verlieren, ist dem Grün Politiker wohl nicht unrecht, auch wenn er beteuert: "Ich schau zurzeit nicht auf Umfragedaten, dazu fehlt mir die Zeit."

Ein Grüner der ersten Stunde

Anschobers politische Laufbahn reicht zurück bis in die 1980er-Jahre. Er ist in Schwanenstadt aufgewachsen, sein Vater war ÖVP-Politiker und Pädagoge, er selbst wird zunächst Volksschullehrer. Und auch politisch engagiert er sich, allerdings nicht bei den in Oberösterreich dominanten Schwarzen. Anschober ist ein Grüner der ersten Stunde. Er dockt zunächst in Schwanenstadt bei einer Vorläufergruppe der heutigen Grünen, der Partei für Umweltschutz und Menschlichkeit, an, ist 1982 bei der Gründung der Alternativen Liste in Graz dabei und ab 1986 Sprecher der Grünen Alternative in Oberösterreich. Eher "Realo" als "Fundi", hielt er sich bei Flügelkämpfen der grünen Anfänge zurück, schon da glaubte er mehr an den Zusammenhalt als an Einzelkämpfertum.

Es ging damals um die Rettung der Hainburger Au, Friedensmärsche und Kampf gegen Atomkraft jeder Art - die Stationierung von Atomraketen in Deutschland, die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf und vor allem: das Atomkraftwerk in Temelin. "Meine allererste Bürgerinitiative hieß ,Notwehr gegen Temelin'", erinnert er sich. Er schmuggelte Bilder der Baustelle aus dem Nachbarland, schrieb investigative Artikel. Dabei machte er aber auch erste Erfahrungen von Machtlosigkeit in der Politik. Das tschechische AKW wurde gebaut. "In einer Demokratie ist es so, dass man nicht alles umsetzen kann, wofür man brennt. Aber zumindest ist uns gelungen, dass es nur zwei und nicht vier Reaktorblöcke gibt und dass Temelin das bestkontrollierte AKW der Welt ist", sagt er heute.

Durchgesetzt hat sich Anschober in der Politik dann doch oft: Er war Nationalratsabgeordneter, wechselte 1997 in den oberösterreichischen Landtag, führte die Grünen dort bei der Wahl 2003 erstmals in eine Landesregierung. Zwölf Jahre lang kann er unter dem schwarzen Landeshauptmann Josef Pühringer grüne Umwelt-und Energiepolitik machen. Doch 2015, im Gefolge der Flüchtlingskrise und einer Wahlschlappe der ÖVP, wendet sich Pühringer Richtung FPÖ. Anschober bleibt zwar aufgrund des Proporzsystems, das alle Parteien ab einer gewissen Größe an der Regierung beteiligt, Landesrat, aber er verliert die Energieagenden und wird für Integration zuständig. Zunächst ist er alles andere als erfreut, doch wird genau diese Aufgabe zu einem neuerlichen Treiber seiner politischen Karriere. Für die Aktion "Ausbildung statt Abschiebung" gewinnt er prominente Unterstützer aus Wirtschaft, Sport, Kultur und Politik -mit Erwin Pröll und Reinhold Mitterlehner bis weit hinein ins schwarze Lager.

Die österreichweite Präsenz, die Anschober so entwickelt, hilft den Grünen bei der Nationalratswahl 2019 bei der Rückkehr ins Parlament. Und es ist nur logisch, dass Grünen-Chef Werner Kogler sich bei den Regierungsverhandlungen auf den langjährigen Weggefährten verlässt. Als Anschober dann im Jänner als Sozial-und Gesundheitsminister angelobt wird, ist wieder zu hören, dass er eigentlich gar nicht so begeistert von dieser Rochade ist. Im APA/OGM-Vertrauensindex liegt er allerdings inzwischen auf Platz zwei hinter Sebastian Kurz -noch vor Bundespräsident Alexander Van der Bellen.

Optimist und Humanist

Seine Motive seien über all diese Jahre die gleichen geblieben, sagt Anschober. "Es hat sich absolut nichts bei mir verschoben. Es geht um Zusammenhalt und um Solidarität. Es geht darum, dass man mit Lebewesen positiv umgeht, dass man im anderen einen Freund sieht und nicht einen Gegner, dass man versucht, diesen Planeten ein kleines Stückchen besser zu machen."

Weggefährten bezeichnen Anschober als unerschütterlichen Humanisten und Optimisten. Ob dieses Naturell auch durchschlägt, wenn er heute in der türkis-grünen Koalition eine "ziemliche Teamstimmung erreicht" sieht?"Das hätte ich mir vorher in diesem Tempo nicht vorstellen können, weil ja eh bekannt ist, dass ich mit dem Ergebnis der Regierungsverhandlungen in manchen Bereichen, die mir besonders wichtig sind, nicht zufrieden bin." Mit dem damaligen ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer hat er wochenlang um Zugeständnisse bei Asyl und Integration gerungen. Mit dem Ergebnis, dass viele den Grünen vorwerfen, in diesem Bereich keine deutliche Handschrift hinterlassen zu haben. Heute präsentiert Anschober Seite an Seite mit dem nunmehrigen Innenminister die Corona-Maßnahmen der Regierung.

»Die Regierung hat eine ziemliche Teamstimmung erreicht. Das hätte ich mir vorher in dem Tempo nicht vorstellen können«

Schon machen sich manche Grüne Sorgen, dass die guten Umfragewerte Anschober ins Visier des Koalitionspartners rücken und eifersüchtig an seinem Image gekratzt werde. Seit Umfragen die ÖVP bei 48 Prozent Zustimmung sehen, malen andere zudem Neuwahlgespenster an die Wand. "Ich wundere mich, dass man derzeit überhaupt Sonntagsfragen publiziert", sagt Anschober. "Wir haben derzeit wirklich andere Notwendigkeiten, über die wir nachdenken müssen. Erst wenn die Krise vorbei ist, können wir uns mit all dem beschäftigen, was uns vorher so wichtig war -Stichwort Parteihickhack."

Wäre 2020 ein "normales" Jahr, würden Anschober und Agur jetzt an einem italienischen Strand flanieren. Es gäbe zwar keine U-Bahnen für Agur, aber Italianità. "Ich hatte schon eine schöne Nachtzugkarte in die Maremma", erzählt Anschober. Doch dann kam Corona, "und sie ist leider verfallen. Ich hab nicht einmal daran gedacht, zu fragen, ob ich sie umtauschen hätte können." Sein Herz ist aber bei den italienischen Freunden. "Wenn ich die Blogs von Ärztinnen und Ärzten aus der Lombardei lese, klingen die teilweise wie Reportagen aus Kriegsgebieten. Wir können froh sein, dass es in Österreich keine Totalprivatisierungen und Schwächungen des Gesundheitssystems gegeben hat, unseren Ärztinnen und Ärzten Entscheidungen, wer noch behandelt werden kann, erspart geblieben sind und sie wirklich großartige Arbeit leisten können."

Rund um den hundertsten Tag der türkis-grünen Regierung hätte er, der Land, Leute und Küche Italiens liebt, dort "durchschnaufen" wollen, darüber nachdenken, wohin ihn das politische Leben so treibt. Nun muss er sich hier der Frage stellen, was die Macht der Corona-Gesetze und die Bereitschaft der Österreicher, Einschränkungen in Kauf zu nehmen, mit einem Politiker machen können. Allmachtsgefühle? "Gerade da hab ich das Selbstvertrauen, zu sagen, ich bin der Richtige an diesem Platz. Ich bin da hochsensibel. Das Wichtigste ist, dass all diese Gesetze und Verordnungen ein klares Ablaufdatum haben. Ich werde mich von diesen Machtinstrumenten mit großer Freude verabschieden, weil das bedeutet, dass die Krise überstanden ist."

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 17/20

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