Ein Kaiser, der den Frieden will

Schlager-Grandseigneur Roland Kaiser genießt nach schwerer Erkrankung seinen zweiten Karrierefrühling. Und lebt nach dem Motto: Geben ist seliger denn Nehmen

von Musik - Ein Kaiser, der den Frieden will © Bild: Sony Music

Die Geschichte hat etwas von einem Märchen. Filmleute würden aus Roland Kaisers Leben vermutlich einen Zweiteiler machen. Im ersten Teil entwickelt sich der Held von Findelkind zum berühmten Sänger, dem Frauenherzen nur so zufliegen. Im zweiten wird es düster, der Star erkrankt schwer, ehe er ein grandioses Comeback feiert. Ein Drama mit großen Gefühlen und Happyend.

Beginnen müsste der Film mit einer Einstellung, in der der kleine Roland - er heißt zu dem Zeitpunkt noch Ronald Keiler - auf dem Schoß von Willy Brandt sitzt, während seine Pflegemutter, die ihn allein großzieht, das Büro des damaligen Berliner Bürgermeisters putzt. "Zumindest hat sie behauptet, dass es so war", sagt Kaiser beim Interview mit einem leichten Schmunzeln. Geprägt hat es ihn auf jeden Fall: "Ich bin und bleibe ein SPD-Kind."

Geboren wurde er 1952 in Berlin. Die Mutter war 17 und legte ihn nach der Geburt vor einem Kinderheim ab. So kam er zu einer über 50 Jahre alten Ersatzmama, die ihn mit viel Herz großzog, wenn auch sonst wenig da war. Einfache Verhältnisse, Klo am Gang. Dass er deshalb gierig darauf war, Karriere zu machen, verneint Kaiser: "Ich habe nicht davon geträumt, reich zu werden. Es reichte, mal ein Innenklo zu haben."

Man landet nun mal im Bett

Den ersten Job hatte er in der Werbeabteilung eines Autohauses. Der Bruder eines Kollegen managte zu der Zeit einen heute vergessenen Schlagersänger. Der Mann, aus dem wenig später Roland Kaiser werden sollte, sagte spontan: "Was diese Sänger machen, ist doch nicht so schwer." Ein Vorsingen wurde arrangiert, bei dem prompt ein Dreijahrevertrag bei einer Plattenfirma raussprang. Aus Ronald Keiler wurde Roland Kaiser: "Zu der Zeit machten alle auf international und nannten sich Roy Black oder Chris Roberts. Ich wollte das Gegenteil davon. Deutscher als Roland Kaiser geht kaum."

Der Nachname war keineswegs anmaßend gemeint. Kaiser konnte damals auch nicht ahnen, dass er zu einem Großen der Branche werden und 90 Millionen Platten verkaufen würde. Es dauerte auch noch ein paar Jahre, ehe er seine wahre Bestimmung fand: Wo andere Schlagersänger von Sehnsucht nach Liebe künden, geht es in seinen Liedern meist um körperliches Verlangen. Manches, was er über die Jahre sang, war hart an der Grenze zur Anzüglichkeit. "Santa Maria", einer seiner größten Hits, ist im Grunde die Schilderung einer Entjungferung. Meist aber beschränkte er sich darauf, verschiedene Formen der Anbahnung zu besingen.

"Ich bin in der Hinsicht ziemlich direkt", sagt er. "Im Leben läuft man, anders als in vielen Songs, nicht nur die ganze Zeit den Strand entlang und erzählt sich von Liebe. Irgendwann landet man im Bett. Ich habe aber immer versucht, Plumpheiten zu vermeiden. Eine gewisse Eleganz soll noch bleiben."

Wenn man die Werke nachfolgender Generationen und diverser Ballermann-Sänger zum Vergleich heranzieht, ist Kaiser nicht nur ein Verführer mit Anstand, sondern ein Dichter. Die Tageszeitung "taz" hat über ihn geschrieben, er sei "ein Philosoph, gefangen im Körper eines Schlagersängers". Er liebt das Spiel mit der Sprache, in den frühen Jahren schrieb er viele seiner Texte selbst. Als Ex-Werber war ihm klar, wie wichtig starke, einprägsame Einzeiler sind. So entstanden einige Titel, die man nicht mehr vergisst, etwa die Seitensprung-Fantasie "Manchmal möchte ich schon mit dir".

Dass heute "tanzbare Popschlager ohne Brenndauer und ohne viel Inhalt" die Schlagerwelt dominieren, wurmt ihn. "Textlich sind wir derzeit eher mäßig unterwegs, da muss ich mich leider mit einbeziehen. Früher hat der Schlager viel stärker die Dinge reflektiert, die um ihn herum passiert sind." Als Vorbild empfindet er in der Hinsicht Udo Jürgens: "Er war der Letzte mit genialen Texten. Nehmen wir 'Griechischer Wein'. Gastarbeiter laden einen Mann ein, in seinem eigenen Land bei ihnen in ihrer griechischen Kneipe zu Gast zu sein. Die Idee ist großartig. Wie man etwas in der Art noch mal hinkriegen könnte, überlege ich mir seit Jahren. Nur haben wir in der Gesellschaft so viele Strömungen, das lässt sich nur mehr schwer auf einen gültigen Schlagertext bringen, der das Zeug hat, populär zu sein, und gleichzeitig ein bisschen den Finger hebt, ohne besserwisserisch zu werden."

»In diesem Beruf glaubt man unverletzlich sein zu müssen. Ein Fehler.«

Kaiser ist ein reflektierter Zeitgenosse. Im Gespräch kann es passieren, dass er spontan Schriftsteller oder Philosophen zitiert, um einen Gedanken zu unterstreichen. Im Gegensatz zu Udo Jürgens, der sich als Chansonnier verstand, oder Howard Carpendale hat er trotzdem kein Problem mit dem manchmal despektierlich gemeinten Etikett Schlagersänger: "Wenn man ganz sachlich rangeht, ist ein Schlager nichts anderes als ein Hit, den die Mehrzahl der Menschen auf der Straße nachsingen kann. Ich wünschte mir, jeder meiner Songs wäre ein Schlager geworden."

Tiefer Fall, zweites Leben

Nicht alles war ein Hit. In den 90er-Jahren blieben die Erfolge weitgehend aus. Im Jahr 2000 erhielt Kaiser die lebensbedrohliche Diagnose COPD (Chronisch obstruktive Lungenerkrankung), im Volksmund Raucherlunge genannt. Irgendwann kriegte er kaum noch Luft. Obwohl ihm seine Frau riet, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, verschwieg er die Krankheit: "Der Mensch glaubt gerade in diesem Beruf, er müsse unverletzlich sein und den Erwartungshaltungen der Menschen als Hero entsprechen. Das war natürlich ein Denkfehler."

Nach langer Wartezeit bekam er 2010 eine Spenderlunge transplantiert. Die Zeit seither empfindet er als "ein zweites Leben, das mit besonderer Behutsamkeit angefasst werden will. Ich genieße die Konzerte heute mehr als früher. Ich habe sogar einen Hauch von Lampenfieber entwickelt, weil ich mich darauf freue, rauszukommen." Alte und neue Fans freuen sich mit ihm. Zu den "Kaisermania"-Open Airs in Dresden kommen jedes Jahr 50.000 Besucher. Auch der Vorverkauf für das Wien-Konzert lief so gut, dass es in die große Halle der Stadthalle verlegt wurde. Und im Juli feiert im Museumsquartier das Kaiser-Musical "Santa Maria" seine Premiere. "Mit meiner zweiten Karriere kann ich besser umgehen als mit der ersten", gibt der Sänger zu. Würde er heute dem Menschen begegnen, der er in den 80er-Jahren war, "würde ich ihn wahrscheinlich für ein Arschloch halten. Aber wer innerhalb eines kurzen Zeitraums großen Erfolg hat, hält sich eben für den Mittelpunkt der Welt. Eine Zeit lang hielt ich mich für unfehlbar."

Laut gegen Rechts

Inzwischen lebt er frei nach dem Motto "Geben ist seliger denn nehmen". Die Liste seiner Schirmherrschaften für karitative Organisationen und Stiftungen würde den Artikel sprengen. Sozialer Friede ist dem Mann, der 2016 mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, ein Anliegen: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer mehr Menschen haben, die wenig haben. Was in Zukunft an Altersarmut auf uns zukommt, kann man sich noch gar nicht vorstellen. Ich zahle gerne Steuern, und ich würde auch mehr zahlen. Wenn wir immer mehr Menschen zurücklassen, dürfen wir uns nicht wundern, dass die sich politischen Strömungen zuwenden, die uns nicht gefallen."

© Sony Music/Paul Schirnhofer

2015 hielt Kaiser auf einer Anti-Pegida-Demonstration in Dresden eine Rede. Dass ihm das im Internet einen Shitstorm einbrachte, kratzt ihn wenig: "Wenn jemand meint, er wird deswegen nicht mehr in meine Konzerte gehen, dann bleibt er eben zu Hause. Davon wird er nicht sterben, und ich auch nicht." Seine musikalischen Auftritte gehen trotzdem ohne politische Botschaften über die Bühne. Er trennt zwischen dem Privatmann und dem Entertainer, der "die Menschen nach zweieinhalb Stunden mit einem guten Gefühl nach Hause schicken" will.

Im Mai wird er 65. In Anbetracht der Tatsache, dass das Leben mit 66 Jahren anfängt, kein Alter. "Ich singe, solange es die Gesundheit zulässt und die Menschen in die Konzerte kommen", meint der lebenskluge Herr Kaiser pragmatisch. Dann legt sich nochmal ein Lächeln auf seine Lippen: "Ich kann meinem Hobby nachgehen und auch noch gut davon leben. Manchmal komme ich mir vor wie jemand, der mit seiner Eisenbahn spielt."