Risikofaktor Olympische
Winterspiele 2026

Innsbrucks Bewerbung um die Olympischen Winterspiele ist ein riskantes Unterfangen

Am Bergisel oberhalb von Innsbruck ragt ein Rasierapparat für Riesen in die Höhe. An kalten Tagen klettern abgemagerte Ameisen die Stufen hinauf und stürzen sich auf langen Plastiklatten in die Tiefe. Unten stehen Tausende Ameisen und klatschen frenetisch. Die meiste Zeit aber ist es ruhig dort oben, nur im Inneren des Rasierapparatekopfes sitzen nicht so dünne Gestalten, schauen auf die Stadt hinunter und versuchen, sich beim Essen das mulmige Gefühl nicht anmerken zu lassen.

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Sport - Risikofaktor Olympische
Winterspiele 2026

Anfang des Jahrtausends baute die britische Architektin Zaha Hadid Innsbrucks Skisprungschanze zu einer der weltweit originellsten Sportstätten um. Jedes Jahr ist sie Schauplatz der Vierschanzentournee, 1953 gewann der Österreicher Sepp Bradl das erste Tourneespringen, im vergangenen Jahr der Norweger Daniel-André Tande.

Nun will Innsbruck wieder das ganz große Spektakel haben. Die Hauptstadtbewohner des österreichischen Wintertourismusbundeslandes Tirol fühlen sich ja seit jeher als Bewahrer des Skisports. Am 15. Oktober findet daher gleichzeitig mit der Nationalratswahl auch eine Volksbefragung in Tirol statt. Die Frage lautet: "Soll sich Innsbruck um die Austragung der Winterspiele 2026 bewerben?“ Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer und Landeshauptmann Günther Platter sind wie das Österreichische Olympische Comité ÖOC dafür. Oppitz-Plörer: "So viele Menschen in Innsbruck und Tirol sind sportbegeistert, der Wunsch nach Olympischen Spielen ist daher aus der Sport-Community gekommen.“

Mitte Juni stellte die Proponentengruppe eine 300.000 Euro teure Machbarkeitsstudie vor. Wenig überraschend beschreibt sie die Stadt Innsbruck als ausgezeichneten Kandidaten. Die zu erwartenden Einnahmen der Veranstaltung werden mit 1,17 Milliarden Euro beziffert. Da sich auch die Kosten für die Spiele und die anschließenden Paralympischen Spiele auf genau 1,17 Milliarden Euro belaufen, handle es sich um ein Nullsummenspiel.

Nullsummen-Spiele

Das würde sich freilich nur ausgehen, wenn die Veranstalter tatsächlich keine neuen Sportanlagen bauen und keine Infrastrukturprojekte und kein olympisches Dorf rund um die olympischen Wettkampfstätten verwirklichen wollten. Genau das versprechen die Proponenten. Genau das gab es noch nie.

Tirols Landeshauptmann Günther Platter wollte zwar keine endgültige Empfehlung für die Bewerbung abgeben, lobte aber die Machbarkeitsstudie als "fundierte Entscheidungsgrundlage“. Die Bevölkerung könne nun "auf Basis umfassender Informationen eine Entscheidung treffen“, sagte Platter. Genau das ist aber mehr als zweifelhaft. Die Machbarkeitsstudie will nämlich glauben machen, dass Innsbruck für die Spiele 2026 keine neuen Sportstätten und auch keine Subventionen der öffentlichen Hand benötige. Das ist aber unrealistisch. Die Kosten für die Sicherheit fehlen ebenfalls in der Machbarkeitsstudie, Tiroler Oppositionspolitiker bezeichneten das Werk daher auch als "Werbeveranstaltung“. Die von ÖVP und Grünen zusammengesetzte Landesregierung kürze "jährlich 1.000 Familien mit mehr als zwei Kindern in Tirol die Unterstützung“, sagte die Landtagsabgeordnete der Liste Fritz, Andrea Haselwanter-Schneider. Platter sei aber bereit, rund 15 Millionen Euro für die Bewerbung lockerzumachen.

Die Bewerbungsprofis

Das für die Olympia-Befürworter günstige Studienergebnis könnte auch teilweise mit der Autorengemeinschaft zu tun haben. Sie setzt sich aus dem Management Center Innsbruck, Solid Event Management sowie dem Duo Proprojekt und dessen Mutterunternehmen AS+P zusammen. AS+P ist ein weltweit führender Eventconsulter und Sportstättenplaner und orchestrierte unter anderem die (vergebliche) Bewerbung Stockholms um die Winterspiele 2022 (Austragungsort: Peking) und die (erfolgreiche) Bewerbung Katars für die FIFA-Weltmeisterschaft 2022. Die Autorengemeinschaft steht für das Olympische Establishment und Big Business. Diese Männer wissen, wie man der Öffentlichkeit und den politischen und wirtschaftlichen Interessenten Megaevents verkauft. Und das wussten auch das ÖOC und die Politiker Tirols und Innsbrucks.

Olympische Winterspiele sind zwar mehrere Größenordnungen kleiner als die Sommerspiele, gehören aber dennoch zu den weltweit imageträchtigsten Veranstaltungen. Innsbruck und seine Schanze hosteten 1964 und 1976 Winterspiele sowie 2012 die Youth Olympic Games. Die Stadt verfügt also über eine einschlägige Routine und Tradition. Doch abgesehen von der Skisprungschanze sind manche Sportstätten in die Jahre gekommen. Die Eishockeyhalle beispielsweise ist zu klein, zu alt, nicht ausbaufähig, also weit unter dem IOC-Standard. Wo die Eiskunstlaufbewerbe ausgetragen werden sollen, weiß auch niemand. Ausweichquartiere fänden sich in Salzburg, Bozen, Wien, München oder in Vorarlberg (Dornbirn, Feldkirch). Auch die alpinen Rennstrecken von Kitzbühel liegen nicht gerade ums Eck.

Doch geht es in diesem Spiel vorrangig nicht um Sport, sondern um Geld. Und das haben andere in weit größerem Ausmaß zur Verfügung. Innsbrucks Bewerbungsbudget von 15 Millionen Euro wirkt geradezu mickrig. Die erfolglose Bewerbung Salzburgs um die Winterspiele 2014 arbeitete schon vor zwölf Jahren mit rund 13 Millionen Euro. Die Konkurrenten aus Russland (Sotschi) und Südkorea (Pyeongchang) hatten mindestens das dreifache Budget zur Verfügung. Das Spektakel in Sotschi soll sich Wladimir Putin angeblich bis zu 50 Milliarden Dollar haben kosten lassen. Das Budget der Sommerspiele 2008 in Peking soll rund 30 Milliarden Dollar betragen haben, die dortigen Winterspiele 2022 sollen rund 3,5 Milliarden Dollar kosten. Offiziell.

Auch Innsbruck wird sich mit betuchten Gegnern messen müssen. Die Vergabe erfolgt 2019 auf der 132. IOC-Session in Mailand. Sion (Schweiz), Calgary (Kanada), Patagonien (Argentinien), Erzurum (Türkei) und das für 2022 an Peking gescheiterte Almaty (Kasachstan) wollen sich bewerben. Andere renommierte Wintersportorte wie Stockholm, Helsinki, Québec oder das Aostatal in Italien haben ihre Ambitionen bereits gecancelt.

Bürger sagen oft Nein

Die Megalomanie Olympias schreckt die Bevölkerung ab. Immer öfter votieren Bürger bei Volksbefragungen gegen eine Bewerbung, etwa in Bern, Graubünden, München, Hamburg, Wien oder Boston. Innsbruck kann auch damit dienen. Im Oktober 1993 beteiligten sich 45 Prozent der Stadtbewohner an einer Befragung, 73,5 Prozent votierten gegen eine olympische Kandidatur. Im März 1997 gingen überhaupt nur noch 36 Prozent der Innsbrucker abstimmen, von ihnen wiesen 52,6 Prozent die Olympia-Pläne neuerlich zurück.

Kostenneutralität für den Steuerzahler, wie sie die Machbarkeitsstudie verspricht, wäre nahezu ein Wunder. Die Ökonomen Bent Flyvbjerg und Allison Stewart von der Universität Oxford haben die Kostenexplosionen von Megaprojekten untersucht. Olympische Spiele sprengen im Unterschied zu Megaprojekten in anderen Sektoren wie Infrastruktur, Dämme oder Bauwesen in 100 Prozent der Fälle ihre finanziellen Rahmen - im Schnitt um 179 Prozent. "Die Fakten zeigen“, schreiben Flyvbjerg und Stewart, "dass die Entscheidung einer Stadt oder Nation für die Austragung von Olympischen Spielen eine der finanziell riskantesten ist. Das mussten viele Städte und Nationen zu ihrem Leidwesen erfahren.“ Jüngstes trauriges Beispiel ist Rio de Janeiro. Die Stadt der Sommerspiele 2016 sitzt auf einem riesigen Schuldenberg, die Sportstätten verrotten ungenutzt, das IOC weigerte sich, weiter beim Schuldenabbau zu helfen.

Die andere Möglichkeit ist, die Winterspiele einem autokratischen Regime wie dem Russland Wladimir Putins zu überlassen. Dort spielt Geld keine Rolle.

"Mehr Bescheidenheit“

Um die Kritik zu beschwichtigen, präsentierte IOC-Präsident Thomas Bach vor rund zwei Jahren die "Olympische Agenda 2020“. Die Spiele sollen bescheidener, billiger, umweltverträglicher werden. Auf der 130. außerordentlichen IOC-Session Anfang Juli in Lausanne beschlossen die Mitglieder, unter ihnen ÖOC-Präsident Karl Stoss, einstimmig, den Bewerbungsprozess für die Winterspiele 2026 zu vereinfachen. Stoss machte flugs Eigenwerbung: "Diese Vereinfachungen sind ein starkes Signal - und ganz im Sinne einer potenziellen Innsbrucker/Tiroler Bewerbung. Wir wollen leistbare, nachhaltige Spiele!“

Das haben noch immer alle Bewerber behauptet. Eingehalten hat das Versprechen, siehe die Oxford-Studie, kein Veranstalter. IOC-Präsident Bach warb um das Wohlwollen der Demokratien: "Ich möchte feststellen, dass wir Bewerbungen von traditionellen Wintersportorten in Europa und Amerika für den Kandidatur-Prozess 2026 absolut begrüßen.“ Und er versprach eine Erhöhung des IOC-Körberlgeldes. Bach hat Los Angeles schon auf diese Weise geködert. Die US-Stadt kriegt 1,8 Milliarden Dollar und nimmt die Sommerspiele 2028, sodass Paris die Spiele 2024 erhält.

Olympische Spiele sind beileibe nicht nur ein Sportspektakel, sondern Mittel zur Pflege der eigenen Wichtigkeit, wie es Putin handhabte, oder zum Suggerieren von Weltoffenheit durch Pekings Kamarilla. Innsbruck 2026 ist ein Tourismus-Werbevehikel für Tirol, das sich als "das Wintersportland Nummer eins der Alpen“ positioniert. Mittels der olympischen "TV- und Online-Übertragungen prominent ins mediale Schaufenster“ gerückt werden, schreibt die Tirol Werbung. Und die Österreich Werbung ergänzt: "Vor allem die Imageeffekte, die mit der Austragung derartiger Großevents verbunden sind, sind für das Tourismusmarketing interessant.“ Kein anderes Werbemittel erreiche garantiert selbst entlegene Märkte.

Wintersport im Wandel

Dabei hätte Tirol gar keine Werbung nötig. Im aktuellen EU-Tourismusranking liegt das Land auf Platz 15, die kanarischen Inseln sind Tabellenführer. 2016 zählte Tirol mehr als 45 Millionen Gästeübernachtungen, das ist rund ein Drittel des österreichischen Gesamtaufkommens. Und die Zahlen steigen verlässlich von Jahr zu Jahr.

Doch Tirols Konzentration auf den Skisport wird sich nicht halten können. Der Wintertourismus befindet sich in einem grundlegenden Transformationsprozess. Nach Angaben eines Insiders, der sich auf Rücksicht auf sein Geschäft mit den Wintersportorten bedeckt hält, sinken die Werbeausgaben in den Skitourismus seit Jahren kontinuierlich. Die Zahl der Skifahrer und der verkauften Ski sinkt, die Kosten steigen. Der Klimawandel zwingt Liftbetreiber und Skidörfer, auf rund 165.000 Hektar Pistenfläche um rund 150 Millionen Euro pro Jahr Kunstschnee herzustellen. Die Gäste sind nicht mehr mit Skifahren allein zufrieden. Die Ausstattung der Lifte und Hotels sowie die Angebotspalette an Freizeitaktivitäten und die Ausstattung der Hotels orientieren sich an den besten, teuersten Destinationen wie Lech am Arlberg oder Kitzbühel. Immer weniger Skifahrer konzentrieren sich auf immer weniger hoch gelegene, hochpreisige Skiorte. Heuer landeten zwei kleine Salzburger Skigebiete, die Postalmlifte im Salzkammergut und Krispl-Gaißau in der Osterhorngruppe, vor dem Konkursrichter.

Die Winterspiele und Tirols Festhalten am Skitourismus wirken wie ein Postillion, der ein einfrierendes Posthorn blasen will. Von der Rasierapparat-Schanze auf dem Bergisel aus schauen sie ihm zu, aber hören können sie ihn nicht mehr.