Richtig gut essen: So geht es!

Ist Bio immer besser? Und gibt es gutes Essen ohne schlechtes Gewissen?

von Das gute Leben © Bild: Stefan Gergely

Die Nachricht platzte wie eine skandalöse Stinkbombe in die Bioszene, die sich nach einem langen Winter gerade für den ersten Höhepunkt des Kalenderjahrs, Ostern, vorbereitete: Erwin Gegenbauer, der wegen der außerordentlichen Qualität seiner Obst-und Gemüseessige auch als "Essigpapst" tituliert wird, verzichtet mit sofortiger Wirkung auf die Biozertifizierung seiner Produkte, weil "die eigentlich sinnvolle, gute Idee hinter dem Bio-Siegel inzwischen viel zu oft ad absurdum geführt wird"(siehe Interview auf Seite 78). Gegenbauer, dessen Produkte in den besten Küchen des Landes seit Jahrzehnten einen Fixplatz haben und bis nach Japan und Australien exportiert werden, ist enttäuscht, weil Bio längst nicht mehr für herausragende Qualität und sorgsamen Umgang mit Ressourcen stehe, sondern ein bloßes "Label" geworden sei, unter dem auch "übelste Industrieproduktion" an die Konsumenten gebracht werde.

Seitdem herrscht Aufregung. Wenn sich ein prominenter Mitstreiter von heute auf morgen vom Konsens verabschiedet, dass Bio ganz automatisch wertvoller, vertrauenswürdiger, ja, besser sei als nicht zertifizierte Ware -dann birgt das Sprengkraft. Auch unter den Konsumenten macht sich Verunsicherung breit, sagt Gegenbauer: "Ob in der Landwirtschaft oder in der Tierhaltung: Skandale und das Versagen staatlich autorisierter Prüfer erschüttern das Vertrauen der Verbraucher immer wieder und strapazieren den Glauben an die Biobewegung."

Bioweltmeister Österreich

Tatsächlich kann man sich nicht mehr sicher sein, dass das Bio-Siegel automatisch ein Garant für bessere Qualität oder verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen ist. Dabei darf sich Österreich im internationalen Vergleich als Bioweltmeister fühlen: 17 Prozent unserer Bauern arbeiten biologisch, mehr als irgendwo sonst auf der Welt. Mit einem Pro-Kopf-Umsatz von 118 Euro liegen die Österreicher auch beim Verbrauch von Bioprodukten im internationalen Spitzenfeld.

Gleichzeitig aber beklagen Aktivisten, dass sich die Praxis des Biolandbaus immer weiter von der Grundidee entferne. Der Biologe Clemens G. Arvay hat mit "Der große Bio-Schmäh" und "Friss oder stirb" viel beachtete Abrechnungen mit einer Branche verfasst, die das Bild einer heilen Welt mit Kühen auf der Weide und herzigen Ferkeln auf idyllischen Bauernhöfen verkauft, diesem Versprechen aber nicht einmal im Ansatz gerecht werden kann: "Was heute in den Supermärkten als Biolebensmittel verkauft wird, stammt zum allergrößten Teil aus industrieller Landwirtschaft, in der Tierfabriken und endlose Monokulturen ebenso auf der Tagesordnung stehen wie in der konventionellen Produktion -zum Großteil sogar mit denselben Akteuren."

Arvay enthüllt, dass in österreichischen Biohendlhöfen bis zu 18.000 Tiere pro Betrieb gehalten werden, mit sechs bis zehn Tieren pro Quadratmeter, die sich aus Stress oder Nährstoffmangel oft gegenseitig die Federn ausreißen. Oder dass Zigtausende Tonnen bester Bioerdäpfel alljährlich als Ausschussware enden, weil sie als "zu groß","zu klein" oder "zu unförmig" klassifiziert werden, um verkauft zu werden. Oder dass die Mehrzahl österreichischer Biorinder ihr Leben großteils in Anbindehaltung im Stall verbringt, obwohl dies laut EU-Recht gar nicht mehr erlaubt ist.

Verunsicherte Konsumenten

Nachrichten wie diese verunsichern Konsumenten, die bislang im guten Glauben waren, mit dem Aufschlag, den sie für Bioprodukte zahlen, auch die Gewissheit einkaufen zu können, wertvolle und respektvoll produzierte Lebensmittel zu erhalten. Und sie bestärken jene, die schon immer überzeugt waren, dass Lebensmittel vor allem billig sein sollten und man sich den ganzen Zinnober mit der heilen Welt sparen könne, den die Bioindustrie ihnen vorgaukle.

Sie bedeuten aber auch, dass wir mehr denn je dazu aufgerufen sind, uns mit dem, was unser täglich Brot ausmacht, auch so detailliert auseinanderzusetzen, wie es der wichtigsten und für manche auch schönsten Sache der Welt gebührt. Tatsächlich ist es paradox, dass wir das, was wir tagtäglich zu einem Teil unserer selbst machen -und damit näher an uns heranlassen als alles, was uns lieb und teuer ist -, vielfach nur nach dem beurteilen, was es kostet. Seit Jahrzehnten gehen die Aufwendungen für Essen und Trinken, gemessen am Haushaltseinkommen, zurück, weil das Geld für "wichtigere" Ausgaben wie Auto, Urlaub, den neuen Fernseher oder Computer gebraucht wird. Selbst sogenannte bewusste Konsumenten, bei denen die Ernährung einen hohen Stellenwert im Wertekodex einnimmt, verlassen sich im Zweifel auf die Vertrauenswürdigkeit von Labels statt auf ihre eigene Urteilskraft.

Natürlich besitzen diese Siegel, ob "Bio", "Fairtrade" oder "MSC-zertifiziert" (bei Fisch), erheblichen Wert, weil sie nach etablierten, kontrollierten Richtlinien vergeben werden und im Dschungel des Supermarktangebots eine Orientierung für eilige Käufer bilden, die sich nach Möglichkeit ethisch und giftfrei ernähren wollen. Initiativen wie die Aufzucht jener Junghähne aus der Legehennenzucht, die bisher gleich nach dem Schlüpfen vernichtet wurden (siehe Story auf Seite 82), gehen in die richtige Richtung. Als Garanten für richtig gutes Essen taugen sie nur bedingt.

Jäten statt Glyphosat

Aber was ist das überhaupt, richtig gutes Essen? Wer sich heute nachhaltig, fair und gesund ernähren will, wer auf seinen CO Abdruck ebenso achten will wie auf das Tierwohl, wer Dünger-, Vertilgungsmittelund Medikamenteneinsatz im Auge haben will und auch noch die bäuerlichen und lebensmittelhandwerklichen Strukturen in seinem Umfeld unterstützen möchte, der hat einiges zu tun.

Natürlich wäre es toll, seine Zeit der Suche nach handwerklich hergestellten Delikatessen widmen zu können, nach Bauern, bei denen nicht ein Maximum an EU-Förderungen, sondern das Wohl der ihnen anvertrauten Tiere im Zentrum steht, nach Gärtnern, die noch jäten, obwohl die Glyphosat-Spritze ihr Leben viel einfacher - aber, wegen der diagnostizierten Krebsgefahr durch das Pflanzengift, vielleicht auch um einiges kürzer gestalten könnte. Doch diese Zeit haben nur die wenigsten.

Wie machen es die anderen? Italien ist das liebste Urlaubsland der Österreicher, der italienische Zugang zum Essen jener, den auch wir mit großer Mehrheit als begehrenswert befinden. Gleichzeitig sind die Italiener bekannt dafür, auch die großen Fragen des Lebens mit einer gewissen Leichtigkeit anzugehen. Beim Essen aber hört sich der Spaß auf -und doch ist es unseren lateinischen Nachbarn auf bewundernswerte Weise gelungen, wesentliche Elemente ihrer kulinarischen Tradition unbeschadet ins Heute zu retten. Vielleicht können wir uns da etwas abschauen.

»Dreimal täglich Fleisch? Die Idee löst bei Italienern prophylaktische Verdauungsprobleme aus.«

Zum Beispiel die Leidenschaft für Gemüse. Sicher, die Italiener lieben ihre Bistecca um nichts weniger als unsereins sein Schnitzel -während eine fleischlose Mahlzeit in unseren Breiten aber immer noch weithin als wenig ernstzunehmend abqualifiziert wird, ist sie im Alltag jenseits der Alpen seit jeher Standard. Machen wir uns nichts vor: In hiesigen Familien ist es vielerorts die Norm, dreimal am Tag Fleisch zu sich zu nehmen. Die Italiener würden ob so einer Aussicht ein prophylaktisches Verdauungsproblem bekommen.

Das italienische Frühstück besteht aus Kaffee und einer kleinen Süßigkeit, die sich oft auf einen simplen Keks reduziert -an der Caffè-Bar wird aber gern auch das ofenwarme, mit picksüßer Marillenmarmelade gefüllte Croissant ("Brioche") geordert. Zu Mittag werden Salat und ein Teller Pasta gegessen, im Süden gern auch Pizza oder sonst ein brotiger Snack wie Focaccia, der so gut wie immer mit Gemüse aufgezwirbelt ist: Paradeiser natürlich, weit öfter aber köstlich einfache Kombinationen aus traditionellen Gemüsesorten oder Hülsenfrüchten, die bei uns bestenfalls im Delikatessengeschäft zu bekommen sind, in Italien aber auf jedem der zahllosen, lebendigen Straßenmärkte. Klar gehen die Italiener auch im Supermarkt einkaufen -das Erlebnis, erntefrisches Obst und Gemüse direkt vom Bauern zu kaufen, wo es noch dazu deutlich billiger ist, lassen sie sich aber nicht nehmen. Artischocken, süße Zwiebeln, wildherber Stängelkohl oder taufrische, extrem süße Saubohnen, wilder Fenchel als Fischgewürz oder Schwarzkohl, Karden und fingerlange Zucchini samt Blüten als dessen anmutige Begleiter: Vieles von dem, was auf italienischen Märkten um verblüffend wenig Geld angeboten wird, ist bei uns auch um ein Vielfaches kaum zu bekommen.

Gemüsekultur erstreiten

Es kostet Zeit, am Markt einzukaufen und aus der Vielfalt das Beste -und Günstigste - herauszufiltern, nur: Die wird in Lebensqualität investiert. "Man muss sich seine Gemüsekultur eben erstreiten", sagt Erwin Gegenbauer dazu. Aus dem, was bei uns im Supermarkt ums Eck an Grünzeug angeboten wird, könnten auch italienische Mammas nur eine sehr begrenzte Vielfalt an Gerichten zaubern. Am Markt hingegen findet man längst auch bei uns engagierte Produzenten, die variantenreiches Gemüse im Einklang der Saisonen ziehen. Der Gärtnerhof GIN in Wien-Donaustadt etwa beschäftigt Menschen mit intellektueller Behinderung und baut mit ihrer Hilfe herausragendes Gemüse an. Man kann es als Gemüsekistl in Hauszustellung beziehen oder, jeden Samstag am Währinger Kutschkermarkt oder am Klagenfurter Benediktinermarkt selbst auswählen. Hier kaufen Menschen ein, die wissen wollen, dass ihr Gemüse aus der Region kommt, dass die Mitarbeiter nicht ausgebeutet werden und die Erde mit Bedacht gedüngt wird.

Fleisch oder Fisch kommen in Italien gemeinhin erst am Abend auf den Tisch -ein wichtiger Grund, warum unsere Nachbarn im Süden nur rund 90 Kilo Fleisch pro Kopf und Jahr zu sich nehmen, wir Österreicher hingegen 112 Kilo. Das hat gesundheitliche Auswirkungen, weil exzessiver Fleischkonsum in engem Zusammenhang mit einer Reihe schwerer Krankheiten, von Darmkrebs bis Herzinfarkt, steht.

Es hat aber auch massive Auswirkungen auf die Umwelt: 80 Prozent der für den Treibhauseffekt verantwortlichen Methangasemissionen sind laut der angesehenen Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) auf Verdauungsprobleme von Rindern zurückzuführen, die proteinreiche Ernährung (Mais, Soja, Getreide) verfüttert bekommen, um rascher Fleisch anzusetzen und mehr Milch zu geben. Weil ihre Mägen dafür aber nicht ausgestattet sind -sie können dafür Gras verdauen, das im Gegensatz zu Mais für den Menschen nicht essbar ist -kommt es zu massiven Verdauungsproblemen. Die wiederum sorgen für Gärgasproduktion, was sich fatal aufs Klima auswirkt, aber auch für Leberentzündungen und andere Krankheiten bei den Rindern sorgt, die wiederum mit Antibiotika behandelt werden müssen.

Rinder sind Grasfresser

Dass es auch anders geht, zeigt etwa eine Landwirtin aus Oberösterreich. Am Gleinkersee bei Spital am Pyhrn stehen Gunda Dutzlers Angus-und Galloway-Rinder sowie ein paar Pustertaler Sprinzen von früh bis spät auf der Weide. Im Sommer fressen sie Gras, im Winter Heu -sonst nichts. Das ist ihr natürliches, artgerechtes Futter, es bedingt aber auch, dass die Tiere erst mit zwei Jahren oder später Schlachtreife erreichen. In der konventionellen Biorinderhaltung dauert es dank Kraftfutter nur halb so lang. Während es anderswo in der Landwirtschaft ohne ständiges Wachstum und immer größere Einheiten nicht zu gehen scheint, zeigt Dutzler den genau umgekehrten Weg vor -und profitiert durch radikales Anderssein vom Wahnsinn biologischer Massenproduktion. Sie steht für die ursprüngliche Idee der Biolandwirtschaft: Das Fleisch, das sie in ihrem biozertifizierten Ausflugsgasthaus serviert, stammt aus eigener Zucht. Im Sommer, wenn der See von Badegästen bevölkert wird, gehen "schnell einmal tausend Essen und mehr über die Budel", sagt Dutzler. Was sie über die Eigenproduktion hinaus dafür benötigt, kauft sie bei Biobauern der unmittelbaren Umgebung ein.

»Rinder, die nur Gras und Heu fressen, Schweine die im Freien leben und wühlen: Auch das kann Bio.«

Die Direktvermarktung von hauseigenem Rind und Freilandschwein funktioniert ebenso. Rind wird in Zehnkilopaketen trocken gereiften Fleisches an interessierte Konsumenten verschickt, Schwein als Speck, Schinken, Wurst oder Schmalz. Zweimal im Jahr, vor Ostern und vor Weihnachten, steht Gunda Dutzler einige Wochen am Bauernmarkt auf der Wiener Freyung. Logischerweise kostet ihr Fleisch mehr als an der Kühltheke des Supermarkts, wobei: Dem Vergleich mit Biofleisch aus dem Supermarkt halten ihre Produkte auch preislich stand; Direktvermarktung in größeren Einheiten ermöglicht das.

Fisch von kleinen Booten

Besonders komplex wird es beim Thema Fisch. Wenn man den Einkaufsratgebern der großen Naturschutzorganisationen wie Greenpeace oder WWF Glauben schenkt, gibt es kaum noch Meeresfisch, der ohne schlechtes Gewissen verspeist werden darf. Der Marine Stewardship Council, eine gemeinnützige Organisation für nachhaltige Fischerei, hingegen hat derzeit über 5000 Meeresprodukte mit seinem Siegel versehen, vieles davon auch Tiefkühlfisch, wie er bei uns im Supermarkt zu haben ist.

Wem soll man also vertrauen? Vielleicht hilft auch hier ein Blick nach Italien, wo Fisch und Meeresfrüchte in ungleich höherem Ausmaß konsumiert werden als bei uns. Slow Food, die italienische Organisation für genussvolles, bewusstes und regionales Essen, hat eine ganz eigene Idee konzipiert, wie sich die Meere doch noch retten lassen könnten, ohne dass Fisch und Meeresfrüchte für kommende Generationen auf dem Index stehen. Sie fußt auf der Erkenntnis, dass erst die riesigen schwimmenden Fischfabriken, die heute die Weltmeere durchpflügen und dabei alles in ihren riesigen Netzen einsammeln, die Situation zum Kippen gebracht haben. Deren Produkte gilt es zu vermeiden, ganz egal, ob sie mit einem Siegel versehen sind oder nicht.

»Verantwortungsvoller Genuss heißt auch, das getötete Tier von Kopf bis Fuß zu verwerten.«

Was dem Gleichgewicht der Meere hingegen keinen Schaden zufügt, sind traditionelle Fischerboote, die in Küstennähe auf Fang gehen und so weite Teile der Ozeane unberührt lassen, wo die Fischbestände sich erholen können. Dass damit auch ein traditionelles Gewerbe und die Arbeitsplätze der Fischer gestützt werden, fügt sich ideal in die Philosophie von Slow Food, wonach ein Essen nur dann wirklich gut sein kann, wenn es auf saubere und faire Weise produziert wurde.

Muscheln sind dafür ein ideales Beispiel, filtern sie für die Nahrungsaufnahme doch Tausende Liter Meerwasser, um Nährstoffe aufzunehmen, die sonst nur gefährliches Algenwachstum befördern würden. Fische aus Aquakulturen, ob Lachs und Wolfsbarsch aus dem Meer oder Forellen und Saiblinge aus heimischen Süßwasserbetrieben, sind hingegen mehr als problematisch: Ihr Futter wird aus Fischen gemacht. Für ein Kilo Speisefisch müssen so bis zu fünf Kilo Futterfische dran glauben.

Wer Essen und Einkaufen als mühsame Last empfindet, die ihn von den wahren Freuden des Lebens abhält, der ist wohl für immer an die Welt fixfertig vorfabrizierter Fließbandnahrung verloren, in der die Konzerne fette Gewinne machen, während die Konsumenten immer fetter werden. Wem sein Essen aber nicht wurst ist, wer erkennt, dass er sich den Weg durch das Dickicht des Angebots nur mithilfe von Eigenverantwortung und lustvoller Beschäftigung bahnen kann, der hat schon gewonnen. Und wer sich zusammentut, zum Beispiel, um durchzusetzen, dass die bei der Produktion eingesetzten Umweltgifte, Medikamente und Düngemittel endlich auch auf den Verpackungen der Produkte vermerkt werden müssen, der bringt mit seiner ganz persönlichen Freude an gutem Essen auch die Gesellschaft als Ganzes ein Stück weiter.

Das ist ganz schön viel dafür, dass man die Verantwortung für das, was man zu sich nimmt, auch selbst übernimmt.

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