„In 50 Jahren ist Mozart vielleicht schon zerstört”

Der Dirigent des Neujahrskonzerts im Interview

Riccardo Muti ist einer der bedeutendsten Dirigenten unserer Zeit. Am 1. Jänner leitet er zum fünften Mal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Wiener Musikverein. Im News-Interview spricht der Maestrissimo über den typischen Klang der Wiener Philharmoniker, seine jahrzehntelange Zusammenarbeit mit den „Wienern“, Mozart und seine Pläne für die Wiener Staatsoper und die Salzburger Festspiele.

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Riccardo Muti - „In 50 Jahren ist Mozart vielleicht schon zerstört”

News: Sie dirigieren Ihr fünftes Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern. Was empfinden Sie dabei?

Riccardo Muti: Es ist mir wichtig, mit diesem Orchester eine Botschaft des Friedens auszusenden, denn die Welt ist besonders gefährlich geworden. Und es ist eine Ehre für mich, denn die „Wiener“ sind eines der wenigen Orchester, die eine Identität haben. Seit 1971 arbeite ich mit ihnen, ohne auch nur ein Jahr zu pausieren. Ich kenne drei Musiker-Generationen. Auch die jungen sind in die traditionelle, künstlerische Arbeit integriert.

»Die „Wiener“ sind eines der wenigen Orchester, die eine Identität haben.«

News: Haben die Wiener Philharmoniker ihren typischen Klang bewahrt?

Muti: Der Wiener Klang ist geblieben. Das habe ich zuletzt in meinem Konzert im Musikverein im Dezember wieder erlebt. Das Problem sind die Dirigenten heute: Wie viele kennen noch diesen Wiener Klang aus der Zeit von Karl Böhm, Karajan oder gar von Clemens Krauss.

Wie ist die Arbeit mit dem neuen Vorstand, Daniel Froschauer und Michael Bladerer?

Ich bin froh über diese neue Führung. Wir sprachen bereits über Projekte bis 2021. Denn das ist ein besonderes Jahr für mich: dann wird es fünfzig Jahre her sein, dass mich Karajan engagiert hat, die Wiener in Salzburg zu dirigieren. Und ich werde 80, aber ich fühle mich noch in Hochform.

Stimmt es also nicht, dass dieses Ihr letztes Neujahrskonzert ist?

Jetzt müssen wir einmal dieses Konzert machen. 2019 dirigiere ich Mozarts „Così fan tutte“ an der Wiener Staatsoper, meine Tochter Chiara inszeniert. Sie kommt aus der Schule Giorgio Strehlers (einer der bedeutendsten Regisseure des 20. Jahrhunderts, Anm.) und kennt alle Mozart-Opern wirklich auswendig. Die Premiere wird 2018 in Neapel sein. Das passt, denn die Handlung von „Così“ spielt im Schatten des Vesuv.

» Mozart ist ein Gottesbeweis.«

Seit es die Originalklangbewegung gibt, zweifeln manche an der Mozart-Interpretation der „Wiener“. Zurecht?

Soll doch jeder sagen, was er will. Ich lese das alles nicht. Aber es ist ein großes Privileg für jeden Dirigenten, mit den Wiener Philharmonikern Mozart aufzuführen. Aber in der Musik ist nichts fest geschrieben, auch da bewegt sich die Welt weiter. Deshalb ist es wichtig, die Wurzeln zu kennen. Ich habe mit den Wiener Philharmonikern nicht wenige Mozart-Opern aufgeführt, auch am Theater an der Wien. Sie spielen Mozart mit Natürlichkeit und Eleganz. Das ist typisch für diese Mozart-Tradition. Daran sollte man nichts ändern. Aber möglicherweise hat man in 50 Jahren Mozart komplett zerstört.

Ihr Kollege, Teodor Currentzis, hat in Salzburg die Partitur von Mozarts „La Clemenza di Tito“ stark verändert...

Ich habe diesen Dirigenten nie gehört. Aber Mozart ist perfekt. Er braucht keine Korrekturen. Ich erzähle Ihnen eine Anekdote: Als Rossini nach seinem Lieblingskomponisten gefragt wurde, nannte er Beethoven. Daraufhin wollte man wissen, was denn mit Mozart sei. Er sagte: Mozart ist unantastbar. Und ich sage: Mozart ist ein Gottesbeweis.

Gibt es Pläne mit dem künftigen Staatsoperndirektor Bogdan Roščić?

Wir sind im Gespräch. Aber ich habe schon so viele Opern gemacht, allein an der Mailänder Scala waren es 50 verschiedene, jetzt will ich eher konzertante Aufführungen machen.

Und Oper in Salzburg?

Wenn man in Salzburg Oper macht, muss man den ganzen Sommer dort verbringen. Ich möchte endlich mit meinen Kindern und Enkeln ans Meer fahren.

»Musik kennt kein Rechts, kein Links, keine Mitte. Musik will Freiheit«

Werden Sie eine besondere Botschaft beim Neujahrskonzert an die Welt richten?

In Ravenna organisieren wir jedes Jahr unsere „Vie dell’amicizia“ („Wege der Freundschaft“), das sind Konzerte, die wir in verschiedenen Städten veranstalten. Mit meinem Luigi Cherubini Orchestra war ich dieses Jahr in Teheran. Unsere Musiker sind mit iranischen Musikern aufgetreten. Ein paar Monate zuvor habe ich in Israel dirigiert, nämlich zum 80-jährigen Bestehen des Israel Philharmonic Orchestras. Arturo Toscanini hat das Konzert zur Gründung dieses Orchesters geleitet und ich machte dasselbe Programm. Und man weiß, dass Israel und Iran nicht die besten Freunde sind, aber die Musik steht über solchen Dingen. Denn Musik kennt kein Rechts, kein Links, keine Mitte. Musik will Freiheit.

Haben Sie schon von Österreichs neuer Regierung gehört?

Als Gast kommentiere ich die österreichische Politik nicht. Aber ich sagen Ihnen, was wirklich wichtig ist: Wir sollten das Image der Wiener Philharmoniker schützen, denn sie sind einer der letzten Tempel unserer musikalischen Kultur und Identität in Europa, in der Welt.

Das Programm des Neujahrskonzerts:

www.wienerphilharmoniker.at

ORF 2 überträgt am 1. Jänner um 11.15 Uhr.