Wie glaubwürdig
HC Strache noch ist

Heinz-Christian Strache steht nach dem Ibiza-Video und dem Ausschluss aus der FPÖ vor einem politischen Scherbenhaufen. Kann ihm bei der Wien-Wahl sein Comeback gelingen? Ist er vor allem für seine bisherigen Wähler noch immer glaubwürdig? Ein Gastkommentar von Thomas W. Albrecht.

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Analyse - Wie glaubwürdig
HC Strache noch ist
Thomas Wilhelm Albrecht ist international renommierter Redner und Life-Coach für Rhetorik & Kommunikation. Er entwickelte einen speziellen Blick auf die Kunst der Rede als Ausdruck von Kultur und Wertehaltungen. In seinem Buch "Die Rhetorik des Sebastian Kurz | Was steckt dahinter?" beschreibt er die Wirkkraft von Sprache, Körperbewegung und Emotion. Er wird gerne gebucht, Menschen und Organisationen bei der Lösung kommunikativer Herausforderungen in Veränderungsprozessen zu begleiten. Mehr Infos unter twa.life/hello

Diese Analyse ist gleichzeitig ein gekürzter Auszug aus meinem neuen Buch mit dem Titel „Kampfrhetorik – So werden wir gegen unseren Willen beeinflusst, und was wir dagegen tun können“, Erscheinungsdatum: Ende Oktober 2020. Weitere Infos finden Sie hier.

Emotionalität ohne Interpunktion

Betrachten wir zunächst den Gesamteindruck, den Strache bei dieser Rede macht. Seine Körperhaltung ist aufrecht, jedoch schwankt er stets von einem Bein auf das andere. Dieses Schwanken lenkt ab und schwächt seine Aussagen. Er spricht wie gewohnt laut und deutlich, seine Sprache ist gut verständlich, jedoch ohne Interpunktion, in einem Fluss durch. Es ist kaum zu erkennen, wann ein Satz beginnt und wann er endet. Strache trägt einen braun-dunkelgrünen Anzug mit Krawatte, das Sakko stets geschlossen. Unter dem linken Ärmel blitzt seine Uhr hervor, es dürfte sich um ein Luxusmodell handeln. Ob und wie dies zu seinem Stammpublikum passt, ist fraglich.

Strache bringt seine Zuhörerschaft am Beginn seiner Rede bewusst in einen emotionalen Zustand: Am 65. Jahrestags der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags stellt er die Präsentation seiner Bewegung in einen historischen Rahmen. So wie der Tag der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags soll der heutige Tag, der 15. Mai 2020, in die Geschichte des Landes eingehen – dieser Gedanke wird durch das Framing seiner Botschaft beabsichtigt. Strache verwendet immer wieder das bewusst kaum wahrnehmbare Wort „infolge“, wenn er vom Brand der Sofiensäle spricht, ohne zu sagen, infolge wessen diese abgebrannt sind. Er legt damit, für die Zuhörer:innen unbewusst, ein Signal für eine logische Argumentationskette, die er im Laufe seiner Rede aufbauen möchte.

Mit seiner Aussage in Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg, dass Österreich nie wieder in kriegerische Konflikte hineingezogen werden will, leugnet er subtil und kaum wahrnehmbar die Mitschuld Österreichs an den Verbrechen der Nationalsozialisten.

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Strache stellt sich als Vordenker seiner Bewegung in den Vordergrund, die er, geschichtlich extrem stark vereinfacht, bis auf das Jahr 1848 zurückführt. Es macht den Eindruck einer historischen Großtat, die er schon in der Einleitung dieser Rede angekündigt hat. Strache verwendet viele umgangssprachliche Metaphern, wie „unter den Nägeln brennen“ und „unter dem Teppich hervorholen“. Er will damit seine Verbundenheit mit der Zuhörerschaft zeigen, indem er ihre Sprache spricht.

Kunstgriffe nach Schopenhauer

Sein Argument „Die Regierung hat nichts dazugelernt ...“ entspricht dem Schopenhauer‘schen Kunstgriff Nummer 28: „Ein nur für den Sachkundigen ungültiges Argument bringen.“ Es soll die Sympathie der Zuhörer dem Redner gegenüber steigern, da das Argument dem Publikum selbstverständlich richtig erscheint. Der Gegner, in diesem Fall die Regierung, kann dieses Argument nicht widerlegen, da eine sachkundige Erklärung zu komplex ist und im Moment der Rede nicht stattfinden kann. Gleichzeitig ist das o.g. Argument ein Muster der Verzerrung im Sinne einer Annahme, die er nicht bestätigen kann. Diese Annahme wird vom Publikum als wahr akzeptiert.

Die Aussage, die Regierung hat das Epidemie-Gesetz verändert, und somit sei keine Ausfallshaftung für die Betriebe gewährleistet, entspricht ebenfalls dem Schopenhauer’schen Kunstgriff Nummer 28: „Ein nur für den Sachkundigen ungültiges Argument bringen.“ Für den sachlich unkundigen Zuhörer erscheint das Argument schlüssig, was jedoch nicht der Fall ist.

Zur Erklärung: Das Epidemie-Gesetz war ausschließlich für lokal eng eingegrenzte Gebiete gedacht. Eine lokale Epidemie in einer Gemeinde ohne direkte Auswirkung auf Nachbargebiete. In unserem aktuellen Fall handelt es sich jedoch um eine Pandemie, also um eine länderübergreifende, globale Krankheit. Die Ausfallshaftungen für alle Betriebe zu 100% zu übernehmen, wäre aus Sicht des Staatshaushalts unmöglich und würde zum Staatsbankrott führen. Deswegen musste das Gesetz geändert werden.

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Strache positioniert sich im Laufe seiner Rede geschickt als Opposition. Er verbündet sich mit den „leidenden“ Bürgern des Landes, denen Unrecht geschieht, so wie ihm, aus seiner Sicht, in der gesamten Ibiza-Affäre Unrecht geschehen ist.

Ein Geschichtenerzähler mit Kampfrhetorik

Als einer der wenigen politischen Redner verwendet Strache ansatzweise ein Story-Telling Format nach dem Schema: 1. Es ist zunächst alles in Ordnung. 2. Dann kommt das große unerwartete Problem, an dem alle verzweifeln. 3. Der Retter ist in Sicht und führt aus dem Problem. 4. Anschließend geht es uns besser als vorher. Es fehlt allerdings der Call-To-Action, nämlich die Antwort auf die Frage: Was ist jetzt zu tun? Somit verpufft diese Rede und geht schließlich ins Leere.

Zusammenfassend ist zu sagen: Strache zählt zu den guten Rednern in der politischen Szene Österreichs. Seine Inhalte werden gehört und es wird darüber gesprochen, egal, ob man mit seinen Botschaften einverstanden ist oder nicht. Er verpackt sie geschickt in alltagssprachliche Redewendungen, die von seinem Publikum gut verstanden werden. Strache verwendet in seinen Reden wiederholt unterschiedliche kampfrhetorische Muster. Er arbeitet gerne mit Verallgemeinerungen und Annahmen, die er nicht belegt, jedoch als wahr darstellt.