Warum das der Anfang von
Merkels Ende sein könnte

Es ist eine der reichsten Regionen der Welt. Die Erzählung von den armen Abgehängten, die den Populisten ins Netz gehen, greift in Bayern nicht. Und doch ist die AfD hier so erfolgreich wie nirgendwo sonst im Westen. Die Landtagswahl wird zur Abrechnung mit einer allmächtigen CSU und Angela Merkel

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Merkels Ende sein könnte © Bild: Ricardo Herrgott

Das eine Bayern strahlt im Sonnenschein. Über das Pflaster des Hauptplatzes von Deggendorf kriechen die Luxuslimousinen wie pralle, bunte Echsen. Spötter sagen, nirgendwo in Deutschland sei die Cabrio-Dichte höher als in der 35.000-Einwohner-Stadt, 60 Kilometer nördlich von Passau und der Grenze zu Österreich. Was kein Wunder wäre, liegt doch das Hauptwerk von BMW gleich ums Eck. 18.500 Menschen arbeiten dort. Der Mitarbeiterparkplatz wirkt so, als sei es der der Vorstandsetage. Die Löhne drinnen sind gut, die Auftragsbücher bestens gefüllt. Grund, sich allzu große Sorgen um die Zukunft zu machen, bestünde kaum. Bayern boomt. Gerade in Niederbayern ist die Arbeitslosenrate mit 2,6 Prozent so niedrig wie nirgends sonst in Europa. Die an Oberösterreich und Salzburg anschließende Region ist der Herzschrittmacher in einem der reichsten Landstriche der Welt.

Bei der Stimmenbringerin

Das andere Bayern aber liegt in tiefer Dunkelheit. „Mut zur Wahrheit“ steht auf einem blauen Zeltdach, vor dem eine blonde Frau am Hauptplatz von Deggendorf Flyer verteilt. Mit „gön’s, sche langsam langt’s“, versucht Katrin Ebner-Steiner Passanten in ein Gespräch zu verwickeln. Gelingt es ihr, ist bald von einem Freistaat die Rede, der wie ein vollkommener Sanierungsfall verkommener Politik wirkt.

Bei unseren Nachbarn ist Wahlkampf. Am übernächsten Sonntag, den 14. Oktober, wird eine neue Landesregierung gewählt. Umfragen sagen der allmächtigen und mit absoluter Mehrheit ausgestatteten CSU ein Debakel und den Verlust von bis zu 14 Prozent der Stimmen voraus. Längst geht es um weit mehr als nur darum, wer künftig in München Hof hält. Und das liegt auch an der blonden Frau auf dem Platz und der „Alternative für Deutschland“ (AfD), deren Spitzenkandidatin sie ist. „Ich bin Katrin Ebner-Steiner, 40, katholisch, verheiratet, vier Kinder, Bilanzbuchhalterin“, sagt sie Menschen, die sie noch nicht kennen. „Ich bin euer Stimmenbringer“, setzte sie vor dreieinhalb Jahren bei ihrem Politikeinstieg gegenüber den Delegierten nach. Und so kam es auch. Die aus der Euro-Krise und Griechenland-Rettung entstandene AfD wuchs und gedieh. Anfangs galt sie als verzopfter Zirkel für Ökonomen und Professoren. Bald aber sahen deutsche Journalisten in ihr eine Turbopopulistentruppe. In Sachsen und anderen Teilen Ostdeutschlands liegt die AfD in Umfragen schon auf dem ersten Platz. Was die Erzählung von den armen Abgehängten, die all ihren Frust bei der AfD abladen, anfangs glaubwürdig klingen ließ. Wäre da nicht eben Katrin Ebner-Steiner. Sie ist die bayerische Sollbruchstelle einer nicht gerade ausgereiften Analyse. Mit 19,2 Prozent der Stimmen im Wahlkreis Deggendorf lieferte sie der AfD bereits bei der Bundestagswahl vor einem Jahr das beste Ergebnis im Westen Deutschlands.

© Ricardo Herrgott Stimmenfang in Deggendorf: In der 35.000-Einwohner-Stadt holte Ebner-Steiner zuletzt 19 Prozent – den besten AfD-Wert im Westen

Auf Sarrazins Spuren

Was ist da also los, in diesem so satt wirkenden Biotop namens Bayern? In breitester Mundart plaudert Ebner-Steiner über ihr eigenes Erweckungserlebnis. Früher, als sie erst Leistungssportlerin war und später Mountainbikes verkaufte, spielte Politik für sie kaum eine Rolle. Wie die Eltern wählte sie eben die CSU. „Dann aber, in einem Urlaub in Italien, habe ich Thilo Sarrazins ‚Deutschland schafft sich ab‘ gelesen. Da sind mir die Augen aufgegangen.“ In dem vor acht Jahren erschienenen Buch warnte der einstige SPD-Politiker vor der Überfremdung und Islamisierung des Landes, bemühte Statistiken und zeichnete ein düsteres Zukunftsszenario. Kritiker warfen ihm Übertreibung vor und wiesen ihm so manche Ungenauigkeit in der Darstellung nach. Doch damit hält sich Ebner-Steiner nicht auf. Sie stürzt sich voll in den Kampf gegen eine empfundene Unterwerfung. Und findet spätestens mit dem Beginn der Flüchtlingskrise vor drei Jahren laufend mehr Zuhörer.

Am Deggendorfer Hauptplatz geben sich viele der Vorbeigehenden trotzdem zugeknöpft. Noch ist die Scheu groß, offen mit dem Schmuddelkind der deutschen Politik zu kuscheln. Was stark an den Aufstieg der FPÖ in den 1990er-Jahren erinnert, als die Partei im Verschämten wuchs. So wie damals Jörg Haider und seine Getreuen, sorgt auch die brachial-provozierende AfD ständig für Aufreger und Skandale. Etliche ihrer Funktionäre stehen im Verdacht, von rechts am Verfassungsbogen zu kratzen. Sei es, wenn Parteichef Alexander Gauland in „Hitler und den Nazis nur einen Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“ sieht. Oder Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, gleich an der Seite von Rechtsradikalen in Chemnitz mitmarschiert.

Dergleichen ist in Bayern weniger gefragt. Katrin Ebner-Steiner braucht nicht in die Untiefen deutscher Geschichte abzutauchen, um Land zu gewinnen. Die Gegenwart liefert ihr genug Morast, an dem sich festhalten lässt. Themen, die am Hauptplatz noch zögerlich zurückgewiesen werden, öffnen später beim Hausbesuch die Türen. Dort ist dann schnell die Rede von der „Deutschland-Abschafferin Angela Merkel“, der „Islamisierung“, den „Straftätern, die keiner abschiebt“, den „Messermorden“ und den „Hassmoscheen, denen sich niemand in den Weg stellt“.

© Ricardo Herrgott Gehörig unter Druck: Bernd Sibler ist Minister in München und der Statthalter von Landesvater Markus Söder in Niederbayern

Merkels Bettvorleger

Was untertags durch Ebner-Steiners breites Bairisch weich klingt, entfaltet abends unter braunem Gebälk die volle Härte. In einem bis auf den letzten Platz gefüllten Wirtshaus hat Alice Weidel ihren Auftritt. Sie ist die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, wo die AfD größte Oppositionspartei ist, und spricht wohl als Einzige im Saal nüchternes Hochdeutsch. Mit Witzchen über Schnupftabak und die ihr fremde bayerische Bodenständigkeit gewinnt sie dennoch die Deutungshoheit an den Tischen. Ihre Rede ist immer dieselbe, die Hauptakteure und Komparsen darin ständig die gleichen. Die eine ist die Kanzlerin in Berlin, die endlich weg muss, und der andere Horst Seehofer, ihr Innenminister und CSU-Chef, der seit Monaten unter aller Augen daran scheitert, die von seiner CSU versprochene härtere Gangart in Migrationsfragen umzusetzen. Weidel gilt er als „Möchtegern-Löwe, der bei jedem Miauen Merkels zuverlässig wieder als ihr Bettvorleger landet“. Das, gepaart mit Islamkritik und angereichert um den Mief der CSU-Freunderlwirtschaft, ergibt ein Gemisch, das Franz Josef Strauß’ ärgste Ängste zum Leben erweckt. Der verstorbene Übervater der CSU hatte einst gewarnt, dass rechts von ihr kein Platz sein dürfe. Heute beginnen sich die Leute von der AfD genau dort gemütlich einzurichten. Und zahlen einen hohen Preis.

Alice Weidel wirkt fast verwundert, dass ihr am Eingang zum Wirtshaus im niederbayerischen Exing nicht die übliche Abordnung von Demonstranten der linken Antifa ein Stelldichein bietet. „Sonst“, sagt sie, „ist auf die Kerle immer Verlass.“ Auch Katrin Ebner-Steiner machte bereits Bekanntschaft mit der Polarisierung in einer aufgeheizten Republik. Unbekannte demolierten erst ihr Auto und warfen dann ein Gemisch aus Farbe und Teer an die Wände ihrer Villa. Auch jetzt, wo ihr Foto von Wahlplakaten in ganz Bayern lacht, hat sie Vorkehrungen getroffen. „Ich hab das Bild so durch Photoshop gejagt, dass mich auf der Straße nicht unbedingt jeder gleich erkennt.“ Deutschland im Herbst gleicht einer Republik in Angst – Angst vor dem Abstieg im saturierten Bayern, wo die Grenze zwischen Erfolg und Zukurzkommen sichtbarer ist als anderswo. Angst vor dem Islam, der genug Raum bietet, um darin alles Versagen in der Flüchtlingskrise aufzunehmen. Angst auch vor den Rechten, die den Blick versperrt auf Probleme, die nur sie bedienen. Und Angst vor dem Machtverlust bei einer Partei, die glaubt, alles richtig gemacht zu haben, aber an ihrer großen Schwester in Berlin scheitert.

© Ricardo Herrgott Tür an Tür mit den Flüchtlingen: Andreas Grasmann lebt neben einem Ankerzentrum. Der AfD ging er trotzdem nicht auf den Leim

Die Hölle im Himmelreich

Unteres Himmelreich heißt eine Straße im Zentrum von Deggendorf, wo das alles sichtbar wird. Hinter schmucken Einfamilienhäusern türmen sich Container. Daraus dringt neben lauter Musik auch Geschrei, das ins Gebrüll gleitet – und das über lange Zeit jeden Tag und jede Nacht. Es ist ein Ankerzentrum, in dem mehr als 500 Flüchtlinge untergebracht sind, das die Anwohner in den Zorn treibt. Andreas Grasmann wohnt direkt dahinter und erinnert sich an Nächte, in denen auch er mit den Nerven am Ende war. „Leute von der AfD sind dann in der Siedlung herumgelaufen und haben versucht, Stimmung zu machen.“ Bei Grasmann stießen sie auf taube Ohren. Im Stillen suchten er und andere Bewohner eine Lösung und fanden sie bei einem, der sich ihrer annahm, Verhaltensregeln aufstellte und Sanktionen durchsetzte.

Sein Name ist Bernd Sibler. Er ist der CSU-Mann für Niederbayern und wartet vor dem Rathaus. Der Erfolg der AfD ist ihm kein Rätsel. „Vor drei Jahren hatten wir 10.000 Flüchtlinge am Tag hier in der Region. Das haben die Leute gesehen, sie haben es gespürt und es hat tiefe Spuren hinterlassen.“ Gerade deshalb dränge die CSU seither in Berlin auf Verschärfungen im Migrationskurs der Regierung Merkel. Vergeblich. „Streit wird in der Politik nicht belohnt“, hält Sibler fest und verweist, dass sich sonst die CSU in Bayern für ihre Bilanz nicht zu schämen bräuchte. Man merkt mit jedem seiner Sätze, wie sehr der Mann unter Druck steht. Weil er ahnt, dass all das am Ende nichts zählen könnte.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 40 2018