Was will Rendi-Wagner?

Die SPÖ-Vorsitzende hat beste Chancen aufs Kanzleramt. Zurückhaltung ist ihr Erfolgsgeheimnis. Zunehmend drängen aber auch prominente Genossen auf konkrete Pläne.

von Kolumne - Was will Rendi-Wagner? © Bild: Privat

Seit zweieinhalb Monaten befindet sich die SPÖ im Wahlkampf: "Es ist Zeit für die erste sozialdemokratische Bundeskanzlerin", hatte Parteivorsitzende Pamela Rendi- Wagner zum Auftakt auf einer Veranstaltung in der Wiener Aula der Wissenschaften erklärt. Ende März war das, der Applaus war groß. Seither hat die Partei einen Lauf: In Meinungsumfragen legte sie auf durchschnittlich 29 Prozent zu, während die ÖVP noch weiter zurückfiel; nach 37,5 Prozent beim Urnengang 2019 und 25 Prozent im vergangenen Winter liegt sie nur noch bei 23 Prozent. Ein Kanzlerwechsel scheint sehr wahrscheinlich zu sein. Genau das wird jedoch zunehmend gefährlich für Rendi-Wagner, zumal erst in zwei Jahren gewählt werden könnte. Bis dahin wird sie mehr und mehr gefordert sein, darzulegen, wie und mit wem sie das Land in Zeiten voller Umbrüche gestalten würde. Bisher hält sie sich zurück damit.

In den eigenen Reihen hat die Parteivorsitzende ein paar Dinge klargestellt: Sie ist die Chefin, sie wird Spitzenkandidatin, sie ist unbestritten. Dem diente nicht nur die Veranstaltung in der Aula der Wissenschaften. Mitte Mai fuhr sie nach Oberwart, um am Landesparteitag der burgenländischen SPÖ teilzunehmen und Gastgeber Hans Peter Doskozil Rosen zu streuen: "Ich bin stolz auf den Landeshauptmann. Das Burgenland ist eine Erfolgsgeschichte. So was fällt nicht vom Himmel, es ist das Ergebnis beinharter sozialdemokratischer Arbeit", sagte sie über den Mann, mit dem sie bis dahin Meinungsverschiedenheiten ausgetragen hatte, der öffentlich immer wieder Zweifel an ihrem Gespür für das Politische äußerte. Doch das ist Geschichte. Rendi-Wagner braucht die Unterstützung Doskozils - und Doskozil weiß, dass sie das Kanzleramt für die SPÖ zurückerobern könnte. Jeder Angriff auf sie wäre unter diesen Umständen parteischädigend. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) formuliert es diplomatisch: Mit dem Erfolg ist auch die Unterstützung für Rendi- Wagner gekommen.

Keine 20 Prozent bei Kanzlerwahl

Dieser Erfolg ist aber noch nicht in trockenen Tüchern: Die SPÖ und Rendi-Wagner profitieren zunächst vor allem von einem Vakuum: Die ÖVP steckt nach wie vor in der Krise, in die sie nach dem Abgang von Sebastian Kurz gestürzt ist; zu präsent bleiben diverse Affären durch den parlamentarischen Untersuchungsausschuss gegen sie, zu vieles ist zusätzlich aufgekommen, vom Vorarlberger Wirtschaftsbund bis zum oberösterreichischen Seniorenbund, der über einen Verein Coronahilfen in Millionenhöhe bezogen hat. Herbert Kickls FPÖ hat als polarisierende Kraft wiederum nicht allzu viel davon. Fast schon automatisch bleibt da mehr übrig für eine gemäßigte SPÖ, weil sie als dritte Partei, die den Führungsanspruch stellen kann, halt da ist und ohne Regierungsverantwortung kaum etwas falsch machen kann.

Es ist nicht so, dass sie Begeisterungsstürme oder auch nur eine gesteigerte Sehnsucht nach einer Wende auslösen würde. Bezeichnend dafür ist, dass weniger als 20 Prozent der Österreicher Pamela Rendi-Wagner zur Kanzlerin wählen würden. Oder dass sie bei "Google"-Suchanfragen das Nachsehen hat gegenüber Kickl, geschweige denn Nehammer (siehe Grafik): Sie bewegt relativ wenige, sei es im positiven oder im negativen Sinne.

Diese Suchanfragen sind ein Gradmesser: Wer oder was die Leute anspricht oder auch aufregt, das "googeln" viele. Dazu wollen sie mehr wissen. Kickl löste mit einem Auftritt in einer ORF-Pressestunde in den vergangenen Wochen sogar etwas größere Nachfrage nach sich aus als Rendi- Wagner mit ihrer Grundsatzrede im März.

Auf der anderen Seite hat Rendi-Wagner zuletzt als eine der ersten Politikerinnen das Problem angesprochen, das nach Einschätzung einer Mehrheit der Menschen in Österreich das größte ist: die Teuerung. Das haben Mitbewerber grandios unterschätzt. Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) hat sich vor wenigen Tagen dafür entschuldigen müssen, Rendi-Wagner und ihresgleichen den Vorwurf gemacht zu haben, damit "eine Hysterie anzuzünden". Er hat offenbar erst sehr spät erkannt, dass die Preissteigerungen sehr vielen wirklich wehtun. Für Rendi-Wagner war es hingegen wichtig, das gleich zu sehen: Nach Jahren, in denen etwa ÖVP und Freiheitliche mit ihrer Flüchtlingspolitik punkten konnten, geht es wieder einmal um Soziales bzw. einen Politikbereich, der in einem besonderen Maße mit der SPÖ in Verbindung gebracht wird.

Genossen werden ungeduldig

Die Frage ist, was Rendi-Wagner daraus machen kann. Bisher lieferte sie zur Teuerung eher nur Vorschläge zur schnellen Abfederung. Nachhaltiges Programm ist das noch keines. Der Hinweis darauf, dass es auch sonst niemand so genau nehme damit, greift zu kurz: Pamela Rendi-Wagner ist Kanzlerkandidatin. Je länger sie sich in dieser Position befindet, desto größer wird der Druck auf sie, zu präzisieren, wie sie sich die Dinge vorstellt. Gleich nach ihrer Rede in der Aula der Wissenschaften erklärte Ex-Kanzler Franz Vranitzky in einem Ö1-Journal: "In Wirklichkeit muss dieser Auftritt der Anfang einer Intensivperiode sein, in der die Partei sich nicht rühmt, welche Erfolge sie hatte, sondern sagt, was in Zukunft ist." Und Christian Kern, Kanzler 2016/2017, meinte unlängst in einem Interview mit der Tiroler Tageszeitung, die SPÖ habe zwar gute Chancen, Erste zu werden bei der nächsten Wahl: "Sie sollte sich aber inhaltlich gut vorbereiten. Sie kann sich nicht drauf verlassen, im Schlafwagen in das Kanzleramt zu rollen." Das Kalkül der SPÖ-Vorsitzenden ist es, auf Nummer sicher zu gehen. Die Devise lautet: Wenn sich Regierende wie Türkise, aber auch Grüne, selbst demontieren, soll man nicht ablenken davon, indem man eigene Vorschläge macht, die kontroversiell diskutiert werden könnten. Die Sache ist jedoch die, dass diese Überlegung jetzt schon zu offensichtlich geworden ist. Und dass sich daher zunehmend der Fokus darauf richtet, wofür eine Regierungschefin Pamela Rendi-Wagner stehen würde.

Was strebt sie an?"Mögen doch andere die Neutralität in Frage stellen, ich mache das sicher nicht", sagt sie etwa. Waffen und Sanktionen würden den Krieg in der Ukraine nicht beenden: "Der Frieden muss auf diplomatischem Wege hergestellt werden." Gut 90 Prozent der Österreicher würden das unterschreiben. Wie aber soll es konkret funktionieren? Und was ist, wenn die Neutralität zum Beispiel von Russland in Frage gestellt wird? Moskau hat immerhin schon "ernste Zweifel" angemeldet.

Große Koalition oder Ampel?

Dass auch Nehammer keine Diskussion über die Neutralität führen möchte, ist keine Entschuldigung für Rendi-Wagner, die immerhin auch außenpolitische Sprecherin ihrer Parlamentsfraktion ist: Sie bewirbt sich um die Nachfolge, sie ist also genauso gefordert, darzulegen, was sie sich unter aktiver Neutralitätspolitik unter den gegebenen Umständen vorstellt.

Oder mit wem sie koalieren möchte: Es entspricht rot-weiß-roter Tradition, sich diesbezüglich nur in Ausnahmefällen festzulegen. Rendi-Wagner hat bisher nur eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen. Alles andere lässt sie offen - und wird es wohl auch bis zum Wahltag tun, weil die Mehrheitsverhältnisse so unberechenbar sind, dass sie gleich einmal als Verliererin dastehen würde, wenn sich ihre Wunschkonstellation nicht ausgeht. Andererseits aber macht es einen Unterschied wie Tag und Nacht, ob es zu einer Ampelkoalition, bestehend aus SPÖ, Grünen und Neos, oder einem Zurück zu einer Großen Koalition kommen soll. Da wird Rendi-Wagner gefordert sein, zumindest Orientierung zu geben. Sonst schafft sie Enttäuschungen -im Falle einer Großen Koalition bei denen, die auf etwas Neues hoffen, und im Falle einer Ampelkoalition bei denen, die gerade jetzt Gewohntes bevorzugen.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at