Nordkorea:
Urlaub beim Diktator

Urlaub in der härtesten Diktatur der Welt? Das ist tatsächlich möglich. Wie man als Tourist Nordkorea erlebt, das so ist, wie man denkt, und doch auch wieder ganz anders.

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Reise - Nordkorea:
Urlaub beim Diktator

Mit einem Ruck setzt sich der Zug in Bewegung und quert langsam die alte Eisenbahnbrücke über den Yalu-Fluss, der China von Nordkorea trennt. Im Waggon vorwiegend junge Europäer und Amerikaner, die sich darauf freuen, in ein Land zu reisen, das derzeit als der gefährlichste Konfliktherd der Welt gilt; an einen Ort, wo durch einen kleinen Funken ein neuer großer Krieg ausbrechen könnte.

Es ist ein seltsames Land mit einem grausamen, bizarren Diktator, der in der Schweiz, im Liebhölzel-Gymnasium in Liebefeld bei Bern, in die Schule gegangen ist, der, wie in einem Shakespeare-Drama, seinen Halbbruder vergiften und seinen Onkel exekutieren ließ. Es ist ein Land, das seine Bewohner niemals verlassen dürfen. Nirgendwohin. Und es ist ein Land, in dem rund 200.000 politische Gefangene in Straflagern vegetieren, allein 20.000 im Lager Nr. 16, dem größten des Landes.

Alle Wege nach Nordkorea führen über Peking. Man kann entweder mit der nordkoreanischen Air Koryo einfliegen oder, wie wir es tun, mit dem Zug von Peking nach Pjöngjang fahren. In der Grenzstadt Dandong müssen alle Bahnreisenden samt Gepäck aussteigen, die chinesischen Grenzkontrollen passieren und dürfen dann wieder zurück in ihren Waggon.

Die 1937 von der japanischen Besatzungsarmee gebaute Brücke nach Nordkorea heißt jetzt chinesisch-koreanische Freundschaftsbrücke. Sie ist die einzige Brücke zwischen den beiden Ländern, die im Koreakrieg nicht zerstört wurde. Auf der chinesischen Seite boomt hier der Tourismus. Auf Sightseeing-Booten gucken chinesische Touristen zum nordkoreanischen Ufer, so, wie einst Schaulustige die Berliner Mauer am Brandenburger Tor bestaunten. Die Brücke und der Hafen in Dandong sind so etwas wie die wirtschaftliche Lebensader Nordkoreas. Trotz weltweiter Sanktionen passieren hier alle möglichen Güter die Grenze nach Nordkorea, vom gebrauchten Schilift aus Ischgl bis zu deutschen Autos und wahrscheinlich auch militärischen Hightech-Produkten.

Und es kommen auch Touristen über die alte Eisenbrücke. Wer allerdings Nordkorea besucht, gehört zu einer raren Spezies. Nur rund 10.000 Europäer und ebenso viele Amerikaner pro Jahr bereisen dieses Land, das ein bisschen größer als Österreich ist und von 24 Millionen Menschen bewohnt wird. Amerikaner dürfen allerdings auf Beschluss der US-Regierung künftig nicht mehr ins Land Kim Jong-uns reisen -immer wieder wurden US-Bürger unter Vorwänden als Geiseln genommen. Der weitaus größte Teil der Nordkorea-Touristen sind Chinesen. 80.000 von ihnen brechen jedes Jahr zu einer Grusel-Zeitreise ins Nachbarland auf.

Charme der Langsamkeit

Gleich am anderen Ufer, in der Industriestadt Sinŭiju, bleibt der Zug wieder stehen und die sehr freundlichen nordkoreanischen Grenzer checken alles extrapenibel. Jeder Koffer wird gefilzt, jede Zeitschrift durchgeblättert, jede Kamera auf GPS-Funktionen untersucht -Letztere sind verboten. Die Handys, die, wie man uns erzählt, noch vor Kurzem eingesammelt wurden, darf man behalten. Sie nützen allerdings nichts, denn dies ist ein Land ohne Internetempfang für Ausländer.

Von der Grenze bis Pjöngjang sind es nur 170 Kilometer Luftlinie, aber mit dem Zug fährt man fast einen ganzen Tag. Doch es sind genau diese Langsamkeit und die vielen Stopps, weswegen diese Nordkorea-Touristen die Bahn gewählt haben. Das Ticket nach Pjöngjang beinhaltet auch eine Zeitreise. Kolchosen und riesige Felder ziehen vorbei, und auf den Straßen und Wegen, auf den Äckern und Wiesen sieht man viele Bauern. Das kleine Nordkorea mag mit Raketenstarts und Wasserstoffbomben die Welt erschrecken, doch auf dem Land regieren Ochsenkarren und Holzpflüge. Die Landwirtschaft ist kaum mechanisiert.

Viele stellen sich Nordkorea wie die DDR, nur mit hungernden Menschen vor. Doch dieses Bild ist falsch. Wir sind über eine Woche im ganzen Land unterwegs, wir haben aber nirgends unterernährte Menschen gesehen. Das schließt nicht aus, dass es sie gibt, und bedeutet auch nicht, dass die Versorgung außerhalb Pjöngjangs optimal ist. Aber seit die Bauern ein Drittel der Ernte behalten dürfen, hat sich die Ernährungslage deutlich gebessert.

Unser Zug-Catering schmeckt übrigens nicht schlecht. Die nordkoreanische Küche ist stärker gewürzt als die anderer asiatischer Länder. Reis ist auch hier von elementarer Bedeutung. Immer dabei ist Kimchi, ein Salat aus eingelegtem Kraut oder Kohl, Rüben und Knoblauch. Und es gibt auch gutes nordkoreanisches Bier.

Wenn man am Hauptbahnhof von Pjöngjang ankommt, ist es, als ob einen die Zeitmaschine ins 19. Jahrhundert ausgespuckt hätte. Die Halle im Riesengebäude im sozialistischen Zuckerbäckerstil der Fünfzigerjahre ist penibel sauber und voller Menschen. Auf den Straßen Pjöngjangs hält sich der Verkehr zwar in Grenzen, aber man sieht fast nur moderne Autos. Vor unserem Hotel, der Vier-Sterne-Herberge Koryo, parken deutsche Mercedes-Limousinen und sogar ein Jaguar.

Die Wagen haben, wie wir später erfahren, praktischerweise unterschiedlich farbige Kennzeichen. Zum Beispiel blaue für Firmenautos, schwarze fürs Militär, gelbe für Diplomaten und rote für die Bonzen, sodass es nicht wie bei uns vorkommen kann, dass ein kecker Polizist versehentlich den dahinrasenden Wagen eines Spitzenpolitikers aufhält, der das gar nicht lustig findet.

Man sieht auch sehr viele Handys, drei Millionen davon soll es inzwischen geben. Ein ägyptisch-nordkoreanisches Joint Venture sorgt für den Empfang. Auslandstelefonate und mobiles Internet sind natürlich nicht möglich.

Paradies für Raucher

Das Koryo ist ein doppeltürmiger Wolkenkratzer mit 500 Zimmern aus den 80er-Jahren und beherbergt neben einem Swimmingpool, einer Skybar und fünf Restaurants auch einen Supermarkt, in dem nicht nur Touristen, sondern auch die nordkoreanische Nomenklatura gerne einkauft. Und auch Ausländer, die in Pjöngjang leben, und das sind nicht nur Diplomaten. Die nordkoreanische Fußballnationalmannschaft wird zum Beispiel von einem Norweger trainiert. Im Koryo-Supermarkt gibt es alles, was es in normalen Geschäften in Nordkorea nicht gibt, von Bahlsen- Butterkeks bis Bananen, von Johnnie Walker bis Nescafé. Dieser Supermarkt weiß nichts von westlichen Wirtschaftssanktionen, so viel ist sicher.

In meinem geräumigen Zimmer findet sich ein Fernseher mit genau einem Kanal. Wer braucht mehr? Das Programm aus patriotischer Musik und Dauerpropaganda ist gut zum Einschlafen. Ungewöhnlich ist die eigene Rauchernische mit Tischchen und zwei Fauteuils. Nordkorea ist ein Raucherparadies.

Man kann sowohl individuell als auch mit einer Gruppe Nordkorea bereisen. Spezialisierte Agenturen, die im Internet leicht zu finden sind, vermitteln die Touren. In jedem Fall bekommt man einen Führer und einen Mann von der Staatssicherheit beigestellt. Das Visum bekommt man übrigens problemlos, sofern man kein Journalist, Pfarrer, Militär oder Regierungsangestellter ist.

Der strenge Führerkult

Auch unsere Gruppe hat einen Stasi-Mann, einen leicht überwuzelten Typen, der niemals lacht. Ich taufe ihn Buster Keaton.

Unser Führer hingegen, Herr Yong, ist ein sehr höflicher Mann, der uns rasch die Grundregeln jeder Nordkorea-Reise beibringt. Am wichtigsten: Man darf auf keinen Fall die Stadt allein erkunden, überhaupt irgendwo allein herumgehen. Man darf Menschen fotografieren, aber nur aus der Ferne, auf keinen Fall aus der Nähe, und nur, wenn sie schön angezogen sind. Man kann nordkoreanische Propagandamagazine kaufen, man darf sie aber auf keinen Fall vernudeln, wegwerfen oder etwa eine Bierflasche daraufstellen. Der Grund ist einleuchtend. Da in jedem Magazin die Kim-Dynastie die Hauptrolle spielt, würde man es sofort als Führerbeleidigung auslegen.

Der unglaubliche Führerkult spiegelt sich auch im Besichtigungsprogramm ausländischer Touristen wider. Der erste Besuch gilt grundsätzlich den beiden riesigen, zwanzig Meter hohen Statuen von Kim Il-sung und dessen Sohn Kim Jong-il vor dem Pjöngjanger Revolutionsmuseum auf dem Mansu-Hügel. Auch Touristen sind verpflichtet, sich vor den Statuen zu verbeugen. Unser Guide ist jetzt doch etwas nervös und hofft, dass alles gut geht. Doch keiner der deutschsprachigen Besucher scheint ein Problem damit zu haben, sich devot vor blutrünstigen Diktatoren zu verbeugen. Nachdenklich machen kann einen das schon. Ist das jetzt dasselbe wie der freundliche Hitlergruß ausländischer Sportler bei der Olympiade 1936?

Der längst verstorbene Staatsgründer Kim Il-sung gilt in Nordkorea offiziell als ewiger Präsident und ist omnipräsent im Leben der Bevölkerung, aber auch im Besichtigungsprogramm der Touristen. Im Pjöngjanger Außenbezirk Manjongdä besuchen Touristen wie auch Massen von Einheimischen das Geburtshaus von Kim Il-sung. Ob im Haus des Kindes, wo wohldressierter Nachwuchs den Führer singend preist, oder in der Pjöngjanger U-Bahn, wo einem der Große Führer den Weg weist und kein Waggon ohne sein Konterfei auskommt. Die U-Bahn-Stationen sind nach Moskauer Vorbild kleine Marmorpaläste und liegen bis zu 100 Meter unter der Erde. Die Pjöngjanger Metro verwendet übrigens Züge der Berliner U-Bahn, die in den 90er-Jahren ausgemustert wurden.

Selbst in dem rund 150 Kilometer von Pjöngjang entfernten Mjohjang-Gebirge, wo Touristen wandern dürfen (vorne der Guide, hinten der Stasi-Mann), ist die Hauptattraktion nicht der buddhistische Pohyun-Tempel, der sich als gänzlich pilgerfrei erweist, sondern ein pompöser Palast, der die internationale Freundschaftsausstellung beherbergt.

Dort sind Geschenke ausgestellt, die Kim Il-sung und später sein Sohn Kim Jong-il erhalten haben. Zimbabwes Langzeitdiktator Robert Mugabe schenkte zum Beispiel einen abgeschnittenen, ausgestopften Elefantenfuß mit Tischplatte. Nicaraguas Langzeitpräsident Daniel Ortega ist mit einem skurrilen stehenden Krokodil samt Serviertablett vertreten. Auch österreichische Geschenke für den Diktator findet man, wie etwa eine Glasvase von einer Gruppe von SPÖ-Parlamentariern.

Nordkorea ist landschaftlich ein schönes Land mit viel Küste, Bergen, alten buddhistischen Tempeln und Königsgräbern und hätte alles, was es für den Tourismus braucht, aber die Besucher wollen nicht in Scharen kommen. Vielleicht auch, weil der weise Führer die falsche Werbung macht.

Gigantische Bauten

Tatsächlich spürt man überall den Mangel an Freiheit und den Atem der Diktatur. Manchmal hat man das Gefühl, sich in einem Science-Fiction-Film zu bewegen. Bei den Verkehrspolizistinnen in Pjöngjang war ich mir nie sicher, ob sie nicht Androiden sind. Diese ausschließlich jungen und hübschen Frauen bewegen sich ruckartig wie Marionetten, und das den ganzen Tag. Wirklich gespenstisch wird es am heiligsten Platz des Landes, im Palast der Sonne. Der gigantische Monumentalbau war einst Amtssitz von Kim Il-sung und ist heute das Mausoleum für die Sonne der Menschheit, wie Kim Il-sung in Nordkorea gepriesen wird, und dessen Sohn. Lange Gänge und riesige Hallen führen die pflichtbewusst mit betroffenen Gesichtern in Sonntagskleidung eintreffenden Menschenmassen ins Allerheiligste. Es ist Führer-Reichskanzlei-Einschüchterungsarchitektur vom Feinsten, wo man selbst ganz, ganz klein wird. Schließlich, nachdem man eine Luftschleuse passiert hat, betritt man einen riesigen, abgedunkelten Saal, der von schwer bewaffneten Soldaten bewacht wird, und darf den in der Mitte platzierten Sarg des Diktators ehrfürchtig umrunden - samt dreimaliger Verbeugung. Man ahnt: hier bloß keine Fehler machen. Und man fragt sich, was wäre, wenn...

Immerhin muss man Respekt zollen. Gibt es irgendwo auf der Welt eine so erfolgreiche Diktatorendynastie? Kim Il-sung war ein nicht sonderlich bedeutender Partisan, der gegen die japanischen Kolonialherren kämpfte und 1940 in die Sowjetunion floh. Ganz Korea war ja von 1910 bis 1945 eine japanische Kolonie. Wie auch im Fall Deutschlands beschlossen die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, Korea zu teilen, und Josef Stalin setzte den in der Sowjetunion geschulten Kommunisten als seinen Statthalter ein, wo er dann 46 Jahre lang als gnadenloser Alleinherrscher regierte. Für den ausländischen Besucher interessant ist, dass vergleichsweise wenige Bilder des jetzt herrschenden Diktatoren-Enkels zu sehen sind. Parteigenossen tragen nur Bilder Kim Il-sungs und Kim Jong-ils am Revers.

Nordkorea ist ein spannendes Reiseland, ein Land wie kein zweites auf der Erde, aber man ist auch froh, wenn man es - im Gegensatz zu seinen Bewohnern - wieder verlassen kann. Der zwei Jahre alte Flughafen Sunan in der Hauptstadt ist ultramodern und großzügig, aber fast ohne Reisende. Auf drei Terminals werden an diesem Tag nur zwei Passagierflüge abgefertigt: der eine nach Peking, der andere nach Shanghai.

Air Koryo entpuppt sich als angenehme Airline. Nach der Landung in Peking fühlt man sich irgendwie entspannt. Internet ist wieder Teil des Lebens. Nordkorea droht mit dem Abschuss von US-Bombern, lese ich. Selten war eine Reise so spannend.