Wien-Wahl: Warum
Emotion zu kurz kommt

Nicht einmal einen Monat dauert es noch bis zur Wien-Wahl. Was haben die Spitzenkandidaten gemeinsam, was unterscheidet sie? Ein Gastbeitrag von Thomas W. Albrecht .

von
THEMEN:
Regionalpolitik - Wien-Wahl: Warum
Emotion zu kurz kommt
Thomas Wilhelm Albrecht ist international renommierter Redner und Life-Coach für Rhetorik & Kommunikation. Er entwickelte einen speziellen Blick auf die Kunst der Rede als Ausdruck von Kultur und Wertehaltungen. In seinem Buch "Die Rhetorik des Sebastian Kurz | Was steckt dahinter?" beschreibt er die Wirkkraft von Sprache, Körperbewegung und Emotion. Er wird gerne gebucht, Menschen und Organisationen bei der Lösung kommunikativer Herausforderungen in Veränderungsprozessen zu begleiten. Mehr Infos unter twa.life/hello

Die Rhetorik der einzelnen Personen bestimmt, wie gut ihre Botschaft ankommt, wie gut sie verstanden werden, und wie gut man ihren Inhalten folgen kann. Zur Rhetorik zählen unter anderem Ausdrucksweise, Wortwahl und Körpersprache. Die persönliche Wirkung, die jemand erzielt, zählt zunächst mehr als der faktische Inhalt. Denn nur wenn wir jemanden mögen und sympathisch finden, sind wir auch bereit uns anzuhören, was diese Person zu sagen hat.

Eine gute Rede beginnt damit, das Publikum abzuholen. Doch wie geht das? Am besten, wenn man den Menschen einen Grund gibt, zuzuhören. Wenn man über etwas spricht, das sie betrifft, etwas, das mit ihrem Leben zu tun hat. Leider hören wir davon sehr wenig. Ludwig erklärt die Leistungen seiner Partei. Nepp macht seichte Witze und greift die Spitzenkandidaten der anderen Parteien persönlich an. Hebein beginnt mit einem für das Publikum zusammenhanglos erscheinenden Gedanken. Wiederkehr verfängt sich in Vorwürfen. Nur Blümel und Strache geben uns Gründe, ihrer Rede zu folgen. Blümel beginnt mit den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit, Strache stellt durch Danksagung Beziehung zum Publikum her, ähnlich wie Sebastian Kurz dies macht.

Nicht die Fakten bestimmen das Wahlverhalten

Alle Spitzenkandidaten haben eines gemeinsam: Die Emotion kommt zu kurz. Sie dürften noch immer von dem Irrglauben ausgehen, dass Zahlen, Daten und Fakten das Wählerverhalten bestimmen. Wir wissen schon lange, dass wir am Tag der Wahl jener Partei unsere Stimme geben, zu dessen Spitzenkandidat wir das meiste Zutrauen haben. Nämlich jenes Zutrauen, dass unsere eigenen, individuellen Anliegen von jener Partei, die wir wählen, am besten erfüllt werden. Zutrauen ist eine Emotion. Jene wahlwerbende Person, die bei den meisten Bürgerinnen und Bürgern das größte Zutrauen erreicht, wird gewinnen.

Zutrauen und Glaubwürdigkeit gehen Hand in Hand. Wortwahl, Ausdrucksweise und Körpersprache bestimmen die wahrgenomme Glaubwürdigkeit. Menschen mit aufrechter und symmetrischer Körperhaltung werden als glaubwürdiger erlebt als jene, die unruhig stehen und ihre Arme wild gestikulierend bewegen. Die Satir-Kategorie des Levelers signalisiert Wahrheit und Offenheit. Gernot Blümels Körperhaltung kommt dem Leveler am nächsten. Er zeigt eine ruhige, aufrechte und tendenziell symmetrische Körperhaltung. Wir wissen aus der Psychologie, dass Körperhaltung und innerer emotionaler Zustand zu jeder Zeit korrelieren. Michael Ludwig zeigt ebenfalls eine ruhige und gelassene, wenngleich eine etwas unsymmetrische, linkslastige Körperhaltung. Nepp, Wiederkehr und Strache hingegen verweilen die meiste Zeit ihrer Reden in einer verurteilenden und angreifenden Körpersprache, die wenig Zutrauen auslöst. Hebein ist sehr unruhig, sie tänzelt von einem Bein auf das andere, neigt ihren Kopf von einer Seite zur anderen und ihre Hände bewegen sich unkoordiniert vor ihrem Körper. Dies lenkt stark von ihren Worten ab.

Emotionalität beim Publikum erreicht man, wenn man in den Menschen Bilder, Töne und Gefühle erzeugt. Dazu ist es notwendig, zunächst selbst jenen emotionalen Zustand einzunehmen, den man beim Publikum auslösen will. Dies gelingt meiner Einschätzung nach am besten HC Strache. Seine Reden starten zumindest emotional. Straches Stimme ist klar und deutlich. Er bringt Metaphern und zieht, wenn auch stark vereinfachte, Vergleiche zur Geschichte Österreichs. Alle anderen Spitzenkandidaten wirken jedoch vollkommen emotionslos. Sie tun geradewegs so, als würde sie ihr eigenes Wahlprogramm nichts angehen. Sie sprechen in Zahlen, Daten und Fakten. Ihre Wortwahl ist sehr technisch. Sie verwenden Worte wie "offensichtlich", "interessant", "speziell" und "optimal". Alle diese Worte haben eine gemeinsame Eigenschaft: Wir können sie weder sehen, hören, fühlen, riechen noch schmecken. Somit kann auch das Publikum keine Emotionalität verspüren.

Das Zutrauen entscheidet

Besser wäre es davon zu sprechen, wie farbig und bunt man die Stadt gestalten würde, was die Bürger:innen sehen und hören würden, welche Gefühle sie beim Spaziergang durch die Stadt verspüren würden, und wie sich die hervorragende Wiener Küche am Gaumen der Bevölkerung breit machen würde. Leider ist nichts dergleichen, nicht einmal ansatzweise, von den Spitzenkandidaten zu erleben.

Auch Sie werden jener Partei Ihre Stimme geben, zu dessen Spitzenkandidaten Sie am Wahltag, in der Wahlzelle stehend, das größte Zutrauen haben, die Stadt Wien nach Ihren individuellen Vorstellungen zu gestalten. Zutrauen ist pure Emotion, die mit politischen und faktischen Inhalten wenig zu tun hat, sondern vielmehr damit, wie Sie die wahlwerbende Person als Mensch wahrnehmen und empfinden.