Wien-Wahl 2020:
SPÖ hat die Qual der Wahl

FPÖ stürzt massiv ab, ÖVP klar vor Grünen, Strache gescheitert

Die Wien-Wahl 2020 ist geschlagen: Die SPÖ mit Michael Ludwig ist klar als Sieger hervorgegangen. Die ÖVP verdoppelte ihren Stimmenanteil, die FPÖ erlitt einen Absturz und ist nun einstellig. Deren Ex-Chef Heinz-Christian Strache scheitert mit seiner Liste am Einzug. Leichte Zuwächse brachte die Wahl für die Grünen wie auch die NEOS. Ludwig hat nun die Qual der Wahl, mit wem er eine Koalition eingeht. Noch lässt er sich alle Optionen offen.

von
THEMEN:
Reigonalpolitik - Wien-Wahl 2020:
SPÖ hat die Qual der Wahl

Laut dem vorläufigen Endergebnis inklusive Schätzung der Briefwahlstimmen, die erst ab Montag und wohl auch noch am Dienstag ausgezählt werden, legte die SPÖ um rund drei Prozentpunkte auf 42,2 bis 42,9 Prozent zu. Die ÖVP verdoppelte sich auf 18,8 bis 19,2 Prozent. Die FPÖ zerbröselte von 30,8 auf 7,7 bis 8,2 Prozent. Die Grünen legten von 11,8 auf 13,3 bis 14 Prozent zu, die NEOS von 6,2 auf 7,3 bis 7,8 Prozent und liefern sich damit ein Match mit der FPÖ um Platz vier. Das Team Strache scheiterte mit 3,6 bis 4 Prozent.

Bürgermeister Michael Ludwig kann nun aus drei potenziellen Koalitionspartner wählen - eine bequeme Mehrheit geht sich nicht nur mit seinem bisherigen Partner, den Grünen, und mit der erstarkten ÖVP, sondern auch mit den NEOS aus. Der SPÖ-Vorsitzende wollte sich aber noch auf keine Variante festlegen und meinte: "Man wird sehen, wo es politisch die größten Schnittmengen gibt."

Auch interessant: Koalitionspoker - Mit wem will Michael Ludwig jetzt?

Koalition: Alle drei Parteien bereit

Bereit für eine Zusammenarbeit zeigten sich alle drei möglichen Partner. Die Grüne Spitzenkandidatin Birgit Hebein sah im Ergebnis einen "ganz klaren Auftrag" für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition. ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel erklärte sich "selbstverständlich für Koalitionsverhandlungen" bereit. Er sei angetreten, um mitzuregieren, sagte er und betonte, im Falle einer Regierungsbeteiligung in Wien zu bleiben. Und auch die NEOS erklärten sich zur einer Regierung mit der SPÖ bereit: "Wir stehen auf jeden Fall bereit, wenn wir die Themen, die uns am wichtigsten sind, umsetzen können", sagte Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr.

Ergebnis in Mandaten

Personelle Konsequenzen hat die Wahl zumindest vorerst keine - auch nicht beim großen Verlierer FPÖ. Hier wurde die Schuld beim ehemaligen Parteichef Strache und in Ibiza gesucht und Landesparteicher Dominik Nepp der Rücken gestärkt. Und auch auf Bundesebene versicherte Parteichef Norbert Hofer, nicht an Rücktritt zu denken. SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner sah in dem Wiener Erfolg auch "eine Stärkung der gesamten SPÖ". Sie sprach von einer klaren Bestätigung für sozialdemokratische Kernthemen und will diesen Schwung nun auch für die Bundespolitik mitnehmen. Auch Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz wertet das Ergebnis als Bestätigung für den "türkisen Weg". NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger freute sich riesig, dass es ihrer Partei erstmals möglich sei, in eine Koalition zu gehen. Einen Auftrag für eine Fortsetzung der rot-grünen Stadtregierung sah wie seine Landespartei auch der Grüne Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler.

Einbruch bei Wahlbeteiligung

Einen Einbruch erlebte bei der Gemeinderatswahl in Wien die Wahlbeteiligung. Mit der Auszählung von rund 300.000 Briefwahlstimmen wird sie gegenüber dem Urnen-Ergebnis vom Sonntag zwar deutlich steigen. Aber über 65 Prozent wird sie nicht kommen - also um mindestens zehn Prozentpunkte schrumpfen. Damit wird es weit mehr Nichtwähler geben als die SPÖ Stimmen hat. Der Grund dafür ist nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch, dass viele FPÖ-Wähler diesmal zu Hause blieben.

Im Sonntag veröffentlichten vorläufigen Gemeinderats-Endergebnis ohne Briefwahl wurde die Beteiligung mit erschreckend niedrigen 36,9 Prozent ausgewiesen, nur etwas mehr als 418.000 Stimmen wurden in den Wahllokalen für die Gemeinderatswahl abgegeben. Wahlberechtigt waren heuer 1,133.010 Wiener für den Gemeinderat (und 1,362.789 Wiener und nichtösterreichische EU-Bürger für die Bezirksvertretungen).

Eine erste Analyse von Peter Filzmaier

Dazu interessant: Peter Filzmaier - der Experte in Sachen Politik-Analysen

Grüne hoch erfreut, für Fortsetzung der Koalition

Hoch erfreut hat sich Sonntagnachmittag der Wiener Grünen-Klubchef David Ellensohn von den in der Trendprognose vorausgesagten 15 Prozent für seine Partei bei der Wiener Gemeinderatswahl gezeigt. "Wir freuen uns. Wenn es stimmt, ist es das beste Ergebnis (auf Wiener Gemeindeebene, Anm.)", sagte er vor Journalisten im Rathausklub. Er sprach sich dafür aus, die Koalition mit der SPÖ fortzusetzen.

Die Grünen waren überhaupt tunlichst bemüht, die weitere Zusammenarbeit mit der SPÖ zu forcieren. Auch Spitzenkandidatin Birgit Hebein sah im Ergebnis einen "ganz klaren Auftrag" für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition. Sowohl der große als auch der kleine Koalitionspartner hätten gewonnen, nach zehn Jahren Koalition sei beiden Parteien der Rücken gestärkt worden, sagte die Vizebürgermeisterin. Koalitionsbedingungen wollte sie nicht nennen, der Ball liege jetzt bei Bürgermeister Michael Ludwig.

Auch der Grüne Bundessprecher Werner Kogler sieht in dem Resultat ein "sehr, sehr gutes Ergebnis". Voraussichtlich werde es nach Mandaten das beste Ergebnis der Geschichte. Den rot-grünen Regierungskurs in Wien sieht der Vizekanzler "bestätigt", wie er im ORF sagte.

Dazu interessant: Das waren die Motive der WählerInnen

SPÖ erfreut aber lässt Koalitionsfrage noch offen

SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak hat sich nach der Veröffentlichung der ersten Prognosen erfreut gezeigt, die die SPÖ bei über 40 Prozent ausweisen. Gleichzeitig verwies sie aber darauf, dass es nur Prognosen sind, nun warte sie "mit Spannung auf das Endergebnis", sagte Novak gegenüber dem ORF. In Sachen Koalition hielt sich Novak bedeckt, dies sei eine Frage des Wahlergebnisses. Daher heiße es jetzt einmal warten, bis alle Stimmen ausgezählt sind. Freilich gelte aber die "ganz klare Aussage" vor der Wahl, dass es keine Koalition mit den Freiheitlichen oder mit dem Team Strache geben werde, so Novak: "Das gilt auch heute. Alles andere ist offen."

Rendi-Wagner sieht "sensationelles Ergebnis"

SPÖ-Bundesparteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner sieht in dem sich abzeichnenden Erfolg bei der Wien-Wahl ein "sensationelles Ergebnis" und "eine Stärkung der gesamten SPÖ" sowie "eine Fortsetzung des Aufwärtstrends für die Sozialdemokratie". Sie erinnerte an die Erfolge bei den Landtagswahlen im Burgenland und den Kommunalwahlen in der Steiermark und zuletzt in Vorarlberg.

"Wir nehmen diesen Schwung, diesen Zuspruch der Wählerinnen und Wähler und die klare Bestätigung für sozialdemokratische Kernthemen mit: Denn gerade jetzt, angesichts der herrschenden Rekordarbeitslosigkeit, braucht es eine starke SPÖ, die sich gemeinsam und mit ganzer Kraft für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Schaffung von Arbeitsplätzen einsetzt", erklärten die SPÖ-Chefin und ihr Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch in einer gemeinsamen Aussendung.

Rendi-Wagner sprach von einem "starken Votum für ein sozialdemokratisch geführtes Wien, das bei Bürgermeister Michael Ludwig in den richtigen Händen ist". Sie verwies darauf, dass es in ganz Europa nur wenige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Millionenstädten gebe, die so ein starkes Wählervertrauen haben.

Die SPÖ Wien habe auf sozialen Zusammenhalt und auf sozialdemokratische Kernthemen gesetzt: Arbeit und Beschäftigung, Spitzenmedizin und Pflege für alle, bestmögliche Bildung und leistbares Wohnen. "Für die Wienerinnen und Wiener sind diese sozialdemokratischen Kernthemen wichtig und vor allem sachliche Lösungen ohne parteipolitisches Hick-Hack - das ist sicher eines der Erkenntnisse aus dieser Wahl", sagte Deutsch.

Blümel sieht "Sensation und Wahnsinn"

ÖVP-Spitzenkandidat Gernot Blümel hat sein Ergebnis als "Sensation und Wahnsinn" bezeichnet. "Ich kann es gar nicht glauben", sagte er in einer ersten Reaktion auf die erste Hochrechnung, wonach sich die ÖVP von 9,2 auf knapp 18,7 Prozent verdoppelt hat. "Wir sind von Platz vier auf Platz zwei vorgerückt und haben den größten Zugewinn in der Geschichte der ÖVP erreicht. Ich bin tief dankbar", so Blümel. "Die ÖVP Wien ist wieder da. Wir haben fünf Jahre auf diesen Tag hin gearbeitet. Und heute wissen wir, es hat sich ausgezahlt."

Kurz sieht Bestätigung

Kanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz hat das gute Ergebnis der ÖVP als Bestätigung für den "türkisen Weg" gesehen. "Die heutige Wien-Wahl brachte für die Neue Volkspartei ein weiteres sehr erfolgreiches Ergebnis. Für uns bedeutet dieses Ergebnis den achten Landtagswahl-Erfolg in Serie und ist ein Zeichen, dass der türkise Weg weiter an Zustimmung gewinnt", so Kurz in einer ersten Stellungnahme gegenüber der APA.

FPÖ: Massiver Absturz wegen Strache

Der Wiener FPÖ-Klubchef Anton Mahdalik sieht den Grund für den laut erster Trendprognose massiven Absturz seiner Partei auf 10 Prozent vor allem beim früheren Parteichef Heinz-Christian Strache. "Da wurde viel Vertrauen verspielt", verwies Mahdalik gegenüber der APA auf die Ibiza- und Spesenaffäre des Ex-Vizekanzlers. "Dafür kann die aktuelle Parteiführung gar nichts."

Wundlecken bei der FPÖ

Bei der FPÖ, die als einziger und klarer Verlierer aus der Wahl hervorgeht, war Wundenlecken angesagt. Spitzenkandidat Dominik Nepp sah die Ursache für den freiheitlichen Absturz wenig überraschend in Ibiza. Der Verlust sei "schmerzlich". Jetzt gehe es darum, "mit harter konsequenter Arbeit" das Vertrauen wieder zurückzugewinnen, meinte er.

Gefragt danach, ob er an Rücktritt denke, meinte er, dass nun einmal das Ergebnis analysiert werden müsse. Zudem verwies er auf den Landesparteitag in den kommenden Monaten. Eine Versöhnung mit Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, sollte dieser in den Landtag einziehen, könne es erst geben, wenn dieser "Buße" tue.

Danach sah es vorerst aber nicht aus. Strache sah die Schuld am Abschneiden der FPÖ bei der derzeitigen Parteiführung, denn diese habe "herzlos" eine Spaltung herbeigeführt. Diese habe viele Menschen "nicht nur verletzt, sondern vor den Kopf gestoßen". Seine Nachfolger hätten "eiskalt und herzlos" agiert und die freiheitliche Familie zerstört. Sie müssten daher ersetzt werden, so Strache.

Wiederkehr vorsichtig erfreut - 8 Prozent wären "sensationell"

NEOS-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr zeigte sich nach der ersten Trendprognose für die Wien-Wahl, die Zugewinne für die Pinken prognostiziert, vorsichtig erfreut. "Im Moment schaut es sehr gut aus - wir müssen natürlich abwarten, was die Hochrechnungen sagen", meinte er zur APA: "Aber unser Kurs, mit den Themen Schulen und Kindergärten, lebendige Betriebe und einem Ende der Freunderlwirtschaft, hat offenbar bei den Wählerinnen und Wählern einen Nerv getroffen."
Man warte jetzt die ersten Ergebnisse ab, sagte Wiederkehr. Aber die derzeitig prognostizierten 8 Prozent wären "ein sensationeller Erfolg".

Wahl unter einzigartigen Umständen

Wien wählte unter einzigartigen Umständen. Denn der Urnengang steht ganz im Zeichen der Coronavirus-Pandemie, die auch umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen nötig machte - von Plexiglasscheiben in den Wahllokalen über die Bitte um das Mitbringen von eigenen Kugelschreibern bis hin zum Aufruf, man möge via Briefwahl seine Stimme abgeben. Wobei der Andrang in den Wahllokalen überschaubar gewesen sein dürfte.

So viele Wahlkarten wie noch nie

Denn heuer wurden so viele Wahlkarten wie noch nie bei einer Wien-Wahl ausgegeben, nämlich exakt 382.214. Das bedeutet laut den Hochrechnern, dass rund 40 Prozent der Stimmen per Briefwahl abgegeben werden - und nur 60 Prozent am Sonntag in den Wahllokalen. Daher haben die Spitzen der im Gemeinderat vertretenen Parteien - ÖVP-Chef Gernot Blümel, Grünen-Chefin Birgit Hebein, NEOS-Spitzenkandidat Christoph Wiederkehr, FPÖ-Chef Dominik Nepp und auch Heinz-Christian Strache (Team Strache) - die Stimmabgabe allesamt schon vor Tagen erledigt. Als einziger Spitzenkandidat begab sich am heutigen Sonntag Bürgermeister Ludwig zum Wählen ins Wahllokal.

Alle aktuellen Ereignisse hier im laufend aktualisierten Live-Blog: