Streit mit Trump, Chance für Europa?

USA ändern ihre jahrzehntelange Linie in der Außenpolitik und stellen die transatlantischen Beziehungen auf eine Probe

von Regierungspolitik - Streit mit Trump, Chance für Europa? © Bild: MANDEL NGAN / AFP

Die USA ändern ihre jahrzehntelange Linie in der Außenpolitik und stellen die transatlantischen Beziehungen auf eine Probe. Mancher in Europa träumt von einer neuen Blüte des alten Kontinents. Aber das wird ein langer Weg.

"Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen"

Affront auf offener Bühne in Brüssel, einseitige Interessenpolitik beim G-7-Gipfel auf Sizilien: US-Präsident Donald Trump hat seine europäischen Verbündeten vor den Kopf gestoßen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel zieht daraus einen klaren Schluss: "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen", sagte die CDU-Chefin am Wochenende. In Brüssel sehen das viele genauso. Dabei keimt Zuversicht, dass die Europäische Union nach den vielen Krisen, dem Brexit-Schlamassel und der lähmenden Furcht vor Rechtspopulisten zu neuer Stärke findet. Aber kann das klappen? Und was muss dafür passieren? Die wichtigsten Antworten:

Trumps Eigenlob in Sigonella

Warum soll ausgerechnet jetzt aus der Krise eine Chance erwachsen?

Aus der Not. Zum einen haben Trumps Auftritte in Europa Zweifel an der Verlässlichkeit der USA als ehemals engstem Partner genährt - das hat Merkel deutlich gemacht. In Europa wächst das Gefühl, auf sich selbst gestellt zu sein. Man sieht sich als Garant westlicher Werte und internationaler Zusammenarbeit, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk betont. Zum anderen scheint die EU entschlossen, sich neu aufzustellen. Ein Grund ist die Wahl in Frankreich: Der Sozialliberale Emmanuel Macron hat mit einer EU-Reformagenda die rechte Europa-Gegnerin Marine Le Pen eindrucksvoll geschlagen. Jetzt muss Macron Erfolge liefern. Das wissen Merkel und andere EU-Partner.

»Die Blockade im Kopf ist weg«

Wieso ist die EU in einer stärkeren Position als noch vor einem Jahr?

"Die Blockade im Kopf ist weg", sagt Europaexperte Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wirtschaftlich steht die EU - immerhin der größte Binnenmarkt der Welt - wieder besser da, in allen 28 Ländern gibt es wieder Wachstum. Bei den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich haben die Rechtspopulisten eben nicht die befürchteten Erfolge eingefahren. Die Erleichterung stimmt viele in Brüssel euphorisch. Ebenso die überraschende Einigkeit der 27 bleibenden EU-Staaten vor Beginn der Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien. Macron verkörpert das neue Selbstbewusstsein auch in Kleinigkeiten. Nach einem viel beachteten Dauerhandschlag mit Trump sagte der französische Präsident, es sei kein Zufall gewesen, dass er Trump so lange festhielt. Damit habe er zeigen wollen, dass er keine kleinen Zugeständnisse machen werde, auch nicht symbolischer Art.

Wie kann sich die EU stärker auf der Weltbühne profilieren?

Die kurze Antwort: aufhören zu streiten und handlungsfähiger werden. Oberstes Ziel sei Einigkeit bei so wichtigen Fragen wie Handelspolitik, Verteidigung und Sicherheit, sagt ein Sprecher der EU-Kommission. "Dabei geht es genau darum sicherzustellen, dass Europa sein eigenes Schicksal bestimmt." Er stellte das in direkten Zusammenhang mit den Ideen der Kommission für EU-Reformen. Einige Papiere gibt es schon, am Mittwoch will die Kommission Vorschläge zur Zukunft der Eurozone machen. Auch von Ondarza glaubt, die EU könne nur ein wichtiger Spieler werden, wenn sie sich neu aufstellt: "Was die EU bräuchte, sind substanzielle Reformen in drei Bereichen, nämlich in der Euro-Politik, in Verteidigungsfragen und bei Migration." Ansätze sieht er bereits. Erstmals schließe auch Merkel eine Änderung der EU-Verträge nicht mehr aus, also eine grundsätzliche Reform der Abläufe in der EU.

Welche Probleme gibt es?

Trotz der Aufbruchstimmung ist die EU keineswegs immer einig, im Gegenteil. Derzeit streitet die EU-Kommission heftig mit Polen und Ungarn wegen möglicher Verstöße gegen EU-Prinzipien. Die Regierungen dort wollen verhindern, dass bei etwaigen Reformen mehr Kompetenzen nach Brüssel verlagert werden. Es droht also ein Grundsatzkonflikt. Die Reformdebatte werde fünf bis zehn Jahre dauern, in denen sich die EU überwiegend mit sich selbst beschäftige, sagt von Ondarza. Die Folge: "Kurzfristig wird die EU nicht in der Lage sein, die Verantwortung auf der internationalen Bühne allein zu übernehmen." Allerdings sieht der Forscher dazu keine Alternative. "Wenn die EU im Krisenmodus bliebe, hätte sie wenig Chancen, den USA und China etwas entgegenzusetzen, sondern würde wirklich zum Spielball anderer Mächte. Die Reformen sind Voraussetzung, einen Bedeutungsverlust abzuwenden."