Ablenkungsmanöver

Wer wird der Regierung glauben, wenn es einmal wirklich ernst wird?

von Renate Kromp © Bild: Ian Ehm/News

Es hätte eine Meldung mit hohem Empörungspotenzial sein können. Der deutsche Bundesnachrichtendienst hat über Jahre Tausende österreichische Bürger, Unternehmen und Institutionen überwacht. Das gehört sich nicht unter Freunden (wie Deutschlands Kanzlerin bei eigener Betroffenheit einmal gesagt hat), und das kann Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zu Recht aufregen.

Man wusste von der Bespitzelung zwar schon seit ein paar Jahren, das wahre Ausmaß -die Liste der Deutschen umfasst gut 2.000 Posten -ist aber erst jetzt öffentlich bekannt geworden. Kanzler und Bundespräsident schritten mit entsprechend ernsten Mienen zu einer gemeinsamen Pressekonferenz. Livebilder im Fernsehen trugen das Ihre dazu bei -fast hätte man meinen können, Österreich befände sich in einer echten Staatskrise.

Zum Ärger kam allerdings rasch Misstrauen. Warum diese - eben nicht ganz neue -Meldung ausgerechnet jetzt gekommen sei. Da wurde nicht die investigative Leistung der Journalisten gesehen, sondern Zweifler hatten einen anderen Verdacht. Spindoktoren hätten den Spionageskandal als Ablenkungsmanöver lanciert. Um die echte Empörung über einen Zwölf- Stunden-Arbeitstag mit Reallohnverlusten zu übertünchen. Um die Debatte über den Umgang der Regierung mit Gewerkschaftern und Parlament beiseitezuwischen. Um darüber hinweggehen zu können, dass der Entwurf für das neue Arbeitszeitgesetz die Handschrift der Industrie, die Kurz im Wahlkampf unterstützt hat, trägt. Wenn es so war, hat es nicht funktioniert. Auch weil ein verdatterter Industriellenboss zugab, dass die Härte des Gesetzes sogar Unternehmerwünsche übertrifft.

Im Verdacht der Spiegelfechterei steht diese Regierung ja nicht zum ersten Mal. Dass Kurz und Co. versuchen, mit gewissen Themen von anderen Maßnahmen abzulenken, die bei ihrer Klientel nicht gut ankommen, ist seit Dezember tatsächlich einige Male passiert. Da werden Flüchtlingsrouten angeprangert, während per Mindestsicherungsreform kinderreichen österreichischen Familien das Geld gekürzt wird. Da werden Polizeipferde getätschelt, während FPÖ-Politiker wegen Nazi-Liedern kritisiert werden. Donald Trump macht es ja auch nicht anders, der wirft sogar eine ganze Weltraumarmee in die Schlacht, um von dem echten Skandal abzulenken, dass an der US-mexikanischen Grenze Kleinkinder in Käfige gesperrt werden.

Geht ja, könnte man sich bei ÖVP und FPÖ denken. Doch der Kollateralschaden wird sich erst mit einiger Verzögerung zeigen. Wer wird der Regierung glauben, wenn es einmal wirklich ernst wird? Und wer den Medien, die Missstände aufdecken, wenn der Verdacht damit einhergeht, diese seien bloß zur Ablenkung lanciert?

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Schreiben Sie mir bitte: kromp.renate@news.at

Kommentare

Mit Ihrem Befund haben Sie m. E. völlig Recht! Die Regierung wollte an ihren Taten gemessen werden. Nun liegen schon einige Messergebnisse vor; das Ergebnis ist, wie Sie aufzeigen, ein beträchtliches Glaubwürdigkeitsdefizit; diesem wird es so ergehen wie dem Budgetdefizit: die Doppelnull wird man also weiterhin nur an einem gewissen Örtchen sehen.

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