Van der Bellen redet
Parteien ins Gewissen

Es "reicht nicht, wenn man mit anderen nur redet, wenn man sie braucht", so der Bundespräsident Van der Bellen.

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© Video: apa

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat am Dienstag vor der Enthebung der Bundesregierung den handelnden Akteuren der Parteien ins Gewissen geredet und erstmals auch indirekte Kritik am Vorgehen des abgewählten Kanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) geübt. Es brauche jetzt einen "tragfähigen Kompromiss zum Wohle des Landes". Es gelte in Gesprächen das zu suchen, "was verbindet".

»Das rächt sich dann«

Die Situation zeige, "wie wichtig Gespräche sind", sagte Van der Bellen und übte erstmals seit Ausbruch der Regierungskrise Kritik am abgewählten Kanzler Kurz. Ohne dessen Namen zu nennen sagte das Staatsoberhaupt, es "reicht eben nicht in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet, wenn man sie braucht". Und fügte an: "Das rächt sich dann."

In einer Demokratie benötige es einen "tragfähigen Dialog zwischen den einzelnen Politikern" und einen grundsätzlichen Respekt. Dies sei auf lange Sicht notwendig, Social-Media-Kampagnen allein tragen auf Dauer nicht, kritisierte Van der Bellen.

Kritik an Kurz?

Als Kritik am abwesenden Ex-Bundeskanzler Kurz wollte das Kanzleramtsminister Gernot Blümel nicht verstanden wissen: "Ganz im Gegenteil. Ich weiß, wie viel in der Vergangenheit gesprochen wurde." Blümel wertete es als generellen Appell des Bundespräsidenten. Justizminister Josef Moser verteidigte Kurz ebenfalls. Der bisherige Bundeskanzler habe Gespräche mit allen geführt.

Für Bildungsminister Heinz Faßmann ist das "allgemeine Credo", miteinander zu reden, zu unterschreiben. Er habe immer mit allen gesprochen, weil er den Dialog für wichtig halte. Wortlos gingen hingegen die vier neu in die Regierung geholten Experten an den Journalisten vorbei.

»Das Beste für das Land im Auge zu behalten«

Van der Bellen bezeichnete in seiner Rede zudem das gemeinsame Ringen um Positionen als das "Salz in der Suppe". Man befinde sich in einer Phase, in der der Wahlkampf bereits begonnen habe, aber: "Für den Wahlkampf bleibt noch Raum genug." Jetzt gelte es aber, "das Beste für das Land im Auge zu behalten".

Kurz nicht anwesend


Kurz war bei der Zeremonie in der Hofburg nicht zugegen. Der bisherige Bundeskanzler wird auch nicht Klubobmann im Parlament und auch sein Nationalratsmandat nicht annehmen. Auf mögliche Gehaltsfortzahlungen werde er verzichten, sagte ein Sprecher. August Wöginger wird somit weiterhin Klubobmann der ÖVP bleiben. Kurz werde nun zunächst "alles tun, um eine geordnete Übergabe an die neue Übergangsregierung sicherzustellen".

Im Folgenden Wortlautauszüge von Van der Bellens Rede:

"(...) Heute werde ich die Bundesregierung von ihrem Amt entheben und gleichzeitig mit der interimistischen Fortführung der Geschäfte betrauen. Irgendwie haben wir schon gewisse Übung in diesen Dingen. Sie sind nicht ganz alltäglich aber im Grunde genommen ja ein normaler demokratischer Vorgang. Aber bevor ich dann zu meinen verfassungsmäßigen Pflichten komme möchte ich kurz innehalten und ein paar Gedanken mit Ihnen teilen. (...)

Ich glaube, dass die jetzige Situation zeigt, wie wichtig es ist, dass es Gespräche gibt, in diesem Fall Gespräche zwischen den Parteien. Es muss ja in einer Demokratie immer um den tragfähigen Dialog zwischen den einzelnen - ja, wir reden von Politik, also Politikerinnen und Politikern - gehen.

Es reicht eben nicht, in einer Demokratie, wenn man mit den anderen nur redet wenn man sie gerade braucht. Das rächt sich dann im Laufe der Zeit.

Sondern es geht glaube ich um einen grundsätzlichen Respekt vor dem anderen, vor der anderen, wie man einander begegnet, dass man reflektiert und anerkennt, dass es andere Meinungen, andere Positionen geben kann, die vielleicht auch eine gewisse Berechtigung haben. Und auch den Respekt davor, dass es ja andere Politiker, Politikerinnen gibt, die auch Wählerstimmen hinter sich haben, die auch in den Nationalrat oder andere Vertretungskörper, politische Vertretungskörper gewählt wurden. Also Abgeordnete, die ebenfalls Vertrauen von den Wählern und Wählerinnen bekommen haben.

Dieser Respekt ist glaube ich notwendig, damit Dialog überhaupt möglich ist, dass man einander zuhört. Und natürlich vor allem dann, wenn man politisch anderer Meinung ist. Dann, aus diesem Respekt heraus, kann man miteinander politische Auseinandersetzungen führen, man kann auch richtig streiten, wenn es darauf ankommt. Aber trotzdem sucht man in diesem Streit dann das, was einen immer noch verbindet und wo es vielleicht möglich ist, einen Kompromiss, einen tragfähigen Kompromiss im Dienste des Landes, zum Wohle des Landes zu finden. Ich weiß schon, das ist harte Arbeit, das ist zum Teil sehr harte Arbeit, es ist auch ein Handwerk, es ist nicht jedem gegeben, das von der ersten Minute an zu können.

Ich erinnere mich an meine eigene Vergangenheit, vor 25 Jahren, es war eine längere Lernzeit. Aber ich glaube, diese mühsamen Prozesse sind auf längere Sicht, auf lange Sicht, notwendig und das schnelle Interview, die schnelle Social Media-Kampagne genügt nicht immer. Es trägt nicht auf die Dauer. Ich glaube, es braucht mehr. Und dieses Salz in der Suppe der Demokratie ist glaube ich schon dieses Ringen um das Gemeinsame bei aller Unterschiedlichkeit und bei aller Berechtigung der Unterschiedlichkeit der Positionen. (...)

Der Wahlkampf hat in gewisser Weise schon begonnen, aber gerade deswegen möchte ich auf diese besondere Verantwortung von uns allen, von Politikerinnen und Politikern in ganz besonderem Maße hinweisen. Für den Wahlkampf bleibt eh Raum genug. (...) Wahlkampf ist wichtig, damit sich die Leute, damit sich unsere Bürgerinnen und Bürger eine Meinung bilden können. Und dann werden wir ja sehen, welche Meinung mehr akzeptiert wird und welche halt weniger akzeptiert wird. Auch das ist ganz normal.

Ich sage nur, wir sind alle Österreicherinnen und Österreicher, das verbindet uns einmal naturgemäß. Wir alle wollen das Beste für das Land, davon gehe ich aus. Und wir sollen es ein bisschen im Auge behalten und nicht auf dem, jede Minute auf dem herumreiten, sozusagen, was uns trennt. Das wissen wir ja im Lauf der Zeit eh. Sondern schon auch gleichzeitig suchen, was uns verbindet. Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass das verstörende Sittenbild von Ibiza, wie immer man das korrekt ausspricht, Ibiza, sich tief in unsere Köpfe eingegraben hat, nicht nur hier, sondern natürlich auch im Ausland, das überlagert das Bild von unserer Heimat, es schafft ein verzerrendes Bild, ein anderes Bild als das was, glaube ich, Österreich wirklich verkörpert.

Und jetzt - ist jetzt unsere Aufgabe, dieses Bild zu verändern, schrittweise zu verändern, und wieder das herzustellen, von dem wir glauben, dass es nicht typisch ist, für uns, nicht für die Politiker, aber auch nicht für alle anderen. Das sind wir, glaube ich, unserer Bevölkerung schuldig, unsern Wählern und Wählerinnen, unserer Verfassung und schlicht unserem Selbstverständnis als Österreicher. Ich zähle hier auf den konstruktiven Willen aller Beteiligten. Alle sind sich darüber klar, dass die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes uns, Ihnen, uns allen genau zuschauen werden bei diesem Prozess, und ich auch."

Klubobleute kommen heute noch zu Gesprächen

Einmal mehr erinnerte Van der Bellen an das "verstörende Sittenbild", das das Ibiza-Video abgegeben habe. Dies entspreche "schlicht" unserem Selbstverständnis nicht. Aufgabe der Politik sei es nun, diese Bild zu ändern.

Für heute Nachmittag werden noch die Klubobleute zu Gesprächen zu Van der Bellen kommen, hieß es.

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