Kurz setzt "auf ein
Europa, das schützt"

Regierung präsentiert Schwerpunkte von Österreichs EU-Ratsvorsitz

Bundeskanzler Sebastian Kurz hat am Freitag gemeinsam mit Außenministerin Karin Kneissl und dem für EU-Fragen zuständigen Kanzleramtsminister Gernot Blümel die Schwerpunkte des österreichischen EU-Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 2018 präsentiert.

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Dabei gebe es zwei große Herausforderungen, den Brexit sowie den mehrjährigen Finanzrahmen des EU-Budgets nach 2020, sagte Kurz.

Die Verhandlungen über die künftige Finanzierung der EU würden wohl auch noch 2019 weitergehen, meinte Kurz, er rechne nicht mit einem Abschluss während Österreichs Ratsvorsitz. Bei den Verhandlungen mit London über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, liege viel Verantwortung bei EU-Chefverhandler Michel Barnier, betonte der Bundeskanzler. Noch sei aber nicht abzusehen, wie die künftigen Beziehungen zum Vereinigten Königreich aussehen würden.

Kurz: Grundwerte Europas "nicht verhandelbar"

Da durch Großbritannien ein großer Nettozahler wegfalle, müsse es zu einer Effizienzsteigerung im EU-Budget kommen. Auch gelte es, die bestehenden Regeln der Ko-Finanzierung zu evaluieren. Man müsse auch hinterfragen, ob "vieles, das stattfindet, noch Sinn macht", meinte Kurz. Österreich fühle sich jedenfalls "in der Gruppe der Nettozahler sehr wohl, weil es ein positiver EU-Zugang ist und mit Geld sorgfältig umgegangen wird." Kurz betonte aber auch, dass die Grundwerte Europas, wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, nicht verhandelbar seien. "Einer von mehreren Zugängen" sei es, dies auch mit finanziellen Mitteln zu verknüpfen.

Österreich setze "auf ein Europa, das schützt". Dafür sei es notwendig, in einigen Bereichen auf eine tiefere Zusammenarbeit zu setzen, sich im Kleineren aber zurückzunehmen, betonte der Bundeskanzler. An die erste Stelle seiner Agenda stellte er den Kampf gegen illegale Migration und für mehr Sicherheit in Europa. So soll auch der am 20. September in Salzburg stattfindende Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs diesem Thema gewidmet sein.

"Fokus auf Außengrenzschutz legen"

Dazu gelte "statt Streit über Verteilung (von Flüchtlingen, Anm.) den Fokus auf den Außengrenzschutz zu legen", denn dieser dürfe nicht allein Italien und Griechenland überlassen werden. Er sei "zu 100 Prozent überzeugt, dass es zu stärkerer Hilfe vor Ort kommen wird", aber auch eine Ausweitung des Mandats der EU-Grenzschutzagentur Frontex werde diskutiert, sagte Kurz. "Wenn es uns gelingt, die illegale Migration zu stoppen, wird das für mehr Sicherheit in der EU sorgen", zeigte er sich überzeugt.

Außerdem gebe es die Notwendigkeit, den Wohlstand zu sichern, so der Kanzler. Gelingen solle das etwa durch die Vollendung des digitalen Binnenmarkts. So hätten sich die EU-Staaten auf das Ende des Geoblockings beim Internethandel geeinigt. Ein Thema werde auch der Kampf gegen Internetgiganten wie Google oder Facebook. "Es gibt hier das Konzept der digitalen Betriebsstätte", meinte Kurz. Das Ziel sei es, hier "Waffengleichheit" zu schaffen und dort zu besteuern "wo die Gewinne anfallen".

Sicherheit in der Nachbarschaft

Die Sicherheit in der Nachbarschaft sei der dritte Schwerpunkt Österreichs, sagte Kurz. Bei der Integration der Westbalkanländer arbeite Wien eng mit Bulgarien, das derzeit den EU-Ratsvorsitz innehat, zusammen. So finde am 17. Mai auch eine Westbalkankonferenz in Sofia statt. Sehr wichtig sei es aber auch, Spannungen innerhalb der EU zu verhindern, meinte Kurz. "Wir werden alles dafür tun, um eine Spaltung der EU zu vermeiden", betonte er. Österreich wolle "Brücken bauen" und ein "neutraler Makler" sein.

»Wir werden alles dafür tun, um eine Spaltung der EU zu vermeiden«

Kneissl betonte, dies sei der erste Ratsvorsitz Österreichs nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, der die Schaffung des Postens des EU-Außenbeauftragten vorsah. Daher werde im Bereich der Außenpolitik Federica Mogherini in vielen Bereichen den Vorsitz führen. Sie sei aber in gutem Kontakt mit der EU-Außenbeauftragten und werde sie, "wo es erforderlich und erwünscht ist", vertreten.

EU-Asien-Gipfel geplant

Außenpolitische Themen würden neben der Stabilisierung Südosteuropas und den externen Aspekten der Migration auch die Weiterführung der EU-Globalstrategie sein. So sei etwa ein EU-Asien-Gipfel am 23. und 24. November geplant. "Es ist uns klar, dass in Asien die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen liegen", meinte Kneissl. Aber auch Sicherheits- und Verteidigungspolitik bliebe auf der Agenda. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sei zwar "territorial besiegt", werde aber laut vielen Experten "als digitales Kalifat weiterleben", warnte die Außenministerin.

Das Budget der österreichischen Ratspräsidentschaft werde mit etwa 43 Millionen Euro gleich hoch sein wie 2006, erklärte Blümel. Die Ratspräsidentschaft solle jedenfalls dazu genützt werden, "die Sichtbarkeit Österreichs in Europa und der Welt zu erhöhen". Er werde den Vorsitz im Rat für Allgemeine Angelegenheiten, dem Rat nach Artikel 50 (regelt den Austritt eines Mitgliedsstaates aus der EU, Anm.) und im Rat für kulturelle Angelegenheiten führen, betonte der Kanzleramtsminister. Es werde sicher eine intensive Zeit, da im Frühjahr 2019 ja auch ein neues Europaparlament gewählt werde, sagte Blümel. 190 Dossiers seien am Tisch, einige kämen sicher noch dazu, und diese gelte es dann abzuarbeiten.

Opposition kritisiert Schwerpunkte

Kritik an den österreichischen Schwerpunkten für die EU-Ratspräsidentschaft im kommenden Halbjahr kommt von SPÖ, NEOS und Grünen. "Die soziale Agenda wird in den präsentierten Schwerpunkten komplett außen vorgelassen", sagte die SPÖ-Delegationsleiterin im EU-Parlament, Evelyn Regner am Freitag. Die NEOS kritisierten, dass nichts Konkretes vorgelegt wurde, die Grünen forderten eigene EU-Einnahmen.

»Die soziale Agenda wird in den präsentierten Schwerpunkten komplett außen vorgelassen«

Regner betonte, die EU brauche ein soziales Europa - "nicht zuletzt, um dem Lohndruck in Österreich entgegen zu wirken". Es würden Vorschläge, wie die europäische Arbeitsmarktbehörde, am Verhandlungstisch liegen. Zwar schätze sie, dass die sozialdemokratische Forderung nach einer digitalen Betriebsstätte aufgegriffen werde. Wer aber Ja zur 'Google-Steuer' sage, der müsse auch Ja zur gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage, dem Herzstück für Steuergerechtigkeit, und Ja zu mehr Transparenz sagen. "Wenn im gleichen Atemzug die Finanzminister, die EU-Liste der Steuersümpfe komplett leer räumen, ist das wenig glaubwürdig."

Leichtfried fordert Taten

SPÖ-Europasprecher Jörg Leichtfried forderte, dass der vagen Andeutung von Kurz, dass EU-Mittel künftig an das Einhalten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen seien, "schleunigst Taten folgen" müssten. Noch vor wenigen Wochen seien Kurz und Strache die besten Freunde von Viktor Orban gewesen. "Jetzt soll der Kanzler beweisen, wie ernst er es wirklich meint", so Leichtfried mit Verweis auf die rechtsstaatlich äußerst problematische Situation in Ungarn und Polen.

»Wenn man die ganzen sinnbefreiten Worthülsen wegnimmt, bleibt nicht viel übrig«

NEOS-Europasprecherin Claudia Gamon meinte, "wenn man die ganzen sinnbefreiten Worthülsen wegnimmt, bleibt nicht viel übrig. Gamon kritisierte, dass die Bundesregierung bei den großen Brocken Brexit und Budgetverhandlungen offensichtlich andere entscheiden lasse. "Es ist absolut unverantwortlich von Sebastian Kurz hier jede Verantwortung abschieben zu wollen. Mutig wäre es, sich stattdessen "für eine Komplettreform der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Strukturförderung" einzusetzen, so Gamon. Auch bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Asylfrage oder der EU-Perspektive des Westbalkan gebe es nichts Konkretes.

Vana: Kurz will "EU schlanker machen"

"Die Bundesregierung hat es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, an einer Abmagerung der EU zu arbeiten. Kanzler Kurz will einen Sparkurs durchsetzen und die EU schlanker machen", sagte Monika Vana, die Vizepräsidentin der Grünen Fraktion im Europaparlament. Vana kritisierte, Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) plädiere für höhere Beitragszahlungen der osteuropäischen EU-Staaten und sei gleichzeitig gegen eine Beitragserhöhung Österreichs. "Wir Grüne sind gegen ein kleineres EU-Budget und für eigene EU-Einnahmen, um die ewige Nettozahlerdebatte endlich zu beenden", sagte Vana. Als eigene EU-Mittel nannte sie eine Kerosinabgabe oder eine Finanztransaktionssteuer. "Spätestens während der Ratspräsidentschaft muss Schluss sein mit Populismus und Konzeptlosigkeit. Österreich trägt eine besonders hohe Verantwortung, da während Ratspräsidentschaft das Gesamtvolumen des EU-Haushalts für die Jahre 2021-2027 beschlossen werden soll."

"In die österreichische Ratspräsidentschaft fallen wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung von Steuerflucht und Schwarzgeld. Kurz ist aber nicht bereit Großkonzerne und Reiche fair zu besteuern und droht lieber mit Streichungen beim EU-Budget", sagte der Co-Delegationsleiter der Grünen, Michel Reimon. Dies sei "ein Totalversagen".

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