Scheidung: So verkraften
Kinder die Trennung leichter

Die wahren Opfer von Scheidungen sind die Kinder. Doch niemand sollte allein dem Nachwuchs zuliebe zusammenbleiben. Wie Eltern sich verhalten sollten, damit die Kleinen unter einer Trennung nicht zu sehr leiden

von Ratgeber - Scheidung: So verkraften
Kinder die Trennung leichter © Bild: PeopleImages/istock images

Wenn die Eltern sich trennen, leiden die Kinder am allermeisten - vor allem dann, wenn sie ständig zwischen die Fronten geraten. Auch das Eingewöhnen an eine neue Umgebung und an neue Partner bedeutet einen enormen emotionalen Stress für die Kleinen.

Warum eine sichere Bindung so wichtig ist

Stress beeinflusst die Ausbildung der Nervenzellen im Gehirn und führt dazu, dass weniger Verbindungen zwischen den Nervenzellen (Synapsen) gebildet werden. Eine sichere Bindung ist deshalb wesentlich für die Entwicklung des Kindes und zur Erreichung psychischer Stabilität im späteren Leben.

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Was Eltern nach einer Trennung vermeiden sollten und wie man Kinder auf die veränderten Lebensumstände vorbereitet, erklärt die Psychologin und Leiterin der Abteilung Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien, Brigitte Sindelar.

1. Welche Faktoren beeinflussen, ob ein Kind durch eine Trennung geschädigt wird?

Welche Bedeutung die Scheidung der Eltern für das Kind hat, ist von zwei Faktoren abhängig. Einerseits von der Beziehung, die die Eltern vor der Scheidung zu ihrem Kind haben, und andererseits davon, wie die Eltern nach der Scheidung miteinander und mit dem Kind umgehen. Ein weiterer Faktor ist das Alter. "Auch das Lebensalter entscheidet darüber, wie prägend die Scheidung auf das Kind wirkt", erklärt die Psychologin. "Aber egal, wie klein das Kind noch sein mag: Die Spannung spüren alle Kinder.

»Eine Trennung ist immer belastend für ein Kind«

Kleinkinder sind von der Sprache her und kognitiv vielleicht noch nicht in der Lage, sich auszudrücken, aber eine Trennung ist immer belastend für ein Kind." Das heiße aber nicht, dass Eltern dem Kind zuliebe zusammenbleiben sollen. Denn das birgt das Risiko, dass das Kind in eine Funktionsrolle gedrängt und zum "Faustpfand" wird: "Das bedeutet, dass Konflikte, die Eltern miteinander haben, über das Kind ausgetragen werden. Dann tauchen Streitthemen auf wie zum Beispiel: Wer zahlt die Zahnspange? Wer zahlt den Skiurlaub? Oft geht es dann ums Geld oder auch um das Kontaktrecht."

2. Wann sollte man psychologische Hilfe in Anspruch nehmen?

Spätestens wenn Situationen wie diese eintreten, sollten Eltern professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Bei einer einvernehmlichen Scheidung besteht ohnehin eine Beratungspflicht. Das trennungswillige Paar muss gegenüber dem Gericht nachweisen, dass es die Elternberatung in Anspruch genommen hat, in der es über die aus der Scheidung resultierenden Bedürfnisse der minderjährigen Kinder aufgeklärt wurde. Eine einvernehmliche Scheidung ohne diese Beratung ist nicht mehr möglich.

»Die gesetzliche Beratungspflicht einer einvernehmlichen Scheidung nimmt jeder Psychologe sehr ernst«

Das Ziel dieser gesetzlichen Vorgabe ist, die Einvernehmlichkeit abzusichern, erklärt die Psychologin. "Die Beratungspflicht einer einvernehmlichen Scheidung gemäß §95 Abs. 1a Außerstreitgesetz (AußStrG) nimmt jeder seriöse Therapeut oder Psychologe sehr ernst, da wird nicht nur einfach eine Bestätigung ausgestellt."

Die Beratung selbst unterliegt einer Qualitätssicherung. Die Beratenden müssen sich in einem zweistufigen Prüfungsverfahren zertifizieren lassen und nachweisen, dass sie sich mit den gesetzlichen Regelungen zur Obsorge und zum Kontaktrecht auskennen. Erst dann erfolgt die Aufnahme in die Liste der qualifizierten Personen oder Einrichtungen. Die Liste ist allerdings nur eine unverbindliche Empfehlung an die Gerichte. Das Gericht kann auch andere Personen oder Einrichtungen als geeignet anerkennen.

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3. Was sind die häufigsten Fehler, die Eltern während der Trennungszeit machen?

"Der größte Fehler, den viele Eltern während der Scheidungs-oder Trennungszeit machen, ist, zu glauben, dass das eigene Kind durch die Scheidung oder Trennung nicht belastet wird", erklärt die Therapeutin. Alarmierende Symptome können dann auftreten, wenn das Thema totgeschwiegen wird: "Wenn die Kinder spüren, dass sie gewisse Themen nicht ansprechen oder nachfragen dürfen, dann treten häufig Symptome wie Bettnässen, Schlaflosigkeit, Isolation oder auch schlechte Noten in der Schule auf."

4. Was kann man tun, wenn sich ein Elternteil nach der Trennung vom Kind distanziert?

"Wenn man bemerkt, dass sich der ehemalige Partner oder die ehemalige Partnerin nach einer Scheidung zunehmend vom Kind distanziert, sollte zuerst das direkte Gespräch mit ihm oder ihr gesucht werden", rät Sindelar. Vor dem Kind über den ehemaligen Partner oder die Partnerin zu lästern, sei ein No-Go, so die Expertin. "Kinder brauchen in dieser Situation Klartext, ihrem Alter und Entwicklungsstand entsprechend formuliert und ohne Beschuldigungen oder gar Beschimpfungen und Abwertungen des anderen Elternteils."

5. Wie gewöhnt man ein Kind an die veränderten Lebensumstände?

"Wenn die Eltern zwei getrennte neue Leben beginnen, ist es wichtig, dass sie ihr Kind von Anfang an miteinbeziehen", rät Sindelar. Bei einem Umzug bedeutet das zum Beispiel, dass man dem Kind zeigt, wo sein Bett stehen wird und seine Spielsachen sein werden. "Eine wichtige Frage ist natürlich auch, wie man mit neuen Partnern umgeht.

Ich mache Eltern in Trennungssituationen immer darauf aufmerksam, dass ihre Kinder jetzt die "4 V" besonders brauchen: Vertrauen, Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit, Vorhersehbarkeit", so die Expertin. In dieser Phase sollte man nichts überstürzen oder das Kind noch mehr überfordern. "Eine Überforderung sollte während oder kurz nach einer Scheidung unbedingt vermieden werden. Also gleich beim neuen Partner einzuziehen und das Kind in die neue Partnerschaft miteinzubeziehen, davon rate ich ab."

»Kinder in Trennungssituationen brauchen die "4 V": Vertrauen, Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit, Vorhersehbarkeit"«

Erst, wenn der Elternteil sich selbst sicher ist, dass die neue Partnerschaft eine Zukunft hat, mache es der Therapeutin zufolge Sinn, die Kinder einzubeziehen. "Ansonsten droht den Kindern, sich mit dem neuen Partner oder der neuen Partnerin anzufreunden, eine Beziehung zu ihm oder ihr aufzubauen, und dann auch diese Person wieder zu verlieren."

Zur Person
Brigitte Sindelar Psychologin, Psychotherapeutin und Leiterin der Abteilung Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien