"Jörg Haider
war ein Häretiker"

Vor zehn Jahren starb Jörg Haider bei einem Autounfall. Was ist sein politisches Erbe?

von Sein Erbe - "Jörg Haider
war ein Häretiker" © Bild: News Herrgott Ricardo

Paolo Querica ist der Schwiegersohn von Jörg Haider und Politik-Berater in Rom. Er ist mit Haiders Tochter Ulrike Haider-Quercia verheiratet und berät italienische Ministerien und Think Tanks in Fragen der internationalen Beziehungen und Geopolitik. Querica bezeichnet sich selbst als „parteiunabhängig“ aber „liberal-konservativ“. Im Interview spricht er darüber, was der Erfolg der Rechtsparteien in Europa mit seinem Schwiegervater zu tun haben.

In ganz Europa sind Rechtspopulisten auf dem Vormarsch. Ist das Jörg Haiders politisches Erbe?
Das kann man so nicht sagen. Zum einen, weil Jörg Haider seine politischen Ideen mehrfach geändert und aktualisiert hat. Zum anderen, weil das politische Momentum, in dem wir leben, ein ganz anderes ist, als vor zehn Jahren.

Sie sehen keine Parallelen zwischen den Rechtspopulisten von heute und Jörg Haider damals?
Nein, ich sehe nirgends, auch nicht im rechten Spektrum, einen Politiker seiner Art. Können SIE sich vorstellen, dass Jörg Haider den Ideen von Steven Bannon folgt, einem früheren Banker, der dann der Wahlkampfmanager des amerikanischen Präsidenten war und der nun durch Europa reist, um eine globale populistische Bewegung ins Leben zu rufen? Die Idee einer globalen populistischen Bewegung könnte nicht weiter entfernt sein von Haiders Idee.

Beruht der Erfolg der national-konservativen oder rechtspopulistischen Parteien heutzutage auf Haiders Vorarbeiten?
Einige ihrer Ideen vielleicht. Bei manchen Themen muss man sich eingestehen, dass seine Kritik treffend war. Nehmen wir drei Beispiele: Das Bankensystem, die EU als politisches Projekt, und Migration. Nach dem Tod von Jörg Haider haben alle diese Bereiche große Krisen ausgelöst: Die Finanzkrise, Brexit, die Euro-Krise, die Immigrationskrise, soziale Konflikte und Radikalisierung. Heute ist es leicht, ein Kritiker des globalen Finanzsystems zu sein, sich gegen die EU-Technokratie zu stellen oder Migrationspolitik anzuprangern. Denn heute sind die Probleme, die diese Modelle verursachen, ganz offensichtlich. Aber in den 90er Jahren waren das Tabu-Themen, das waren unberührbare Säulen jeder europäischen Gesellschaft. Jörg Haider hat sie trotzdem als Ziel seiner politischen Aktionen gewählt. Wahrscheinlich war es zu früh dafür. Aber er war ein Häretiker. Und wie einen Ketzer wollten sie ihn verbrennen.

»Österreich hat sein altes Proporz-System jetzt durch ein neues, kompetitives ersetzt«

Was meinen Sie damit?
Häretiker, die vom Meinungs-Mainstream abweichen, verlieren. Nicht bei Wahlen, da hat er immer gewonnen. Aber sie verändern die Gesellschaft nicht. Sie regen zur Veränderung an, aber sie betreiben sie nicht. Und sie profitieren nicht davon. Das tun andere. Vor allem aber glaube ich, dass Jörg Haider dazu beigetragen hat, dass das Proporz-System in Österreich weiter existiert. Deshalb hat er so viel Aufmerksamkeit der Medien bekommen, deshalb ist das Bild von ihm so verzerrt worden. Natürlich war er kein Opfer. Er hat die Situation gut genützt, die Rolle des Häretikers ausgekostet. Aber auf diese Art hatte das Proporz-System ein Alibi, um sich nicht reformieren zu müssen. Natürlich hat er die Grundsteine für die Regierungszusammenarbeit von ÖVP und FPÖ gelegt. Aber er selbst hatte nichts davon.

Sind Sebastian Kurz oder Heinz-Christian Strache seine politischen Erben?
Als Team vielleicht, aber jeder für sich nicht. Natürlich kopieren sie manches von ihm. Sie übernehmen seine Politik, aber es gibt einen großen Unterschied: Sie sind Teil des Systems. Sie haben die rot-schwarze Regierung durch eine türkis-blaue ersetzt. Aber das System bleibt das gleiche. Österreich hat sein altes Proporz-System jetzt durch ein neues, kompetitives ersetzt. Das heißt dass sich jetzt drei Parteien das Land aufteilen. Für die Partei, die gerade nicht regiert, dauert es jetzt eben ein etwas länger, bis man wieder an der Macht ist, aber es gibt Wege, eingebunden zu werden, wenn man keine harte Oppositionsarbeit macht. Meine Frau (Ulrike Haider, Anm.) sagt, Österreich wird wieder ein Land ohne wirklicher Opposition. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, weil das österreichische System keine eklatanten Schwachstellen hat. Die Bedeutung von Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft ist nicht zufriedenstellen beantwortet. Aber das ist eine Frage für ein paar wenige Romantiker, nicht für den Großteil der Bürger. Für die funktioniert das System ganz gut. Und das ist das wichtigste.

Sehen Sie in Italien Parallelen zu Jörg Haiders Politik? Bei Matteo Salvini etwa, oder bei Giuseppe Grillo?
Nein. Viele Politiker haben Fragmente von Jörg Haider kopiert. Giuseppe Grillo hat sich am ehesten die Schärfe und den ikonischen Politikstil abgeschaut. Matteo Salvini mehr von den Inhalten und Ideen. Aber beide profitieren am meisten von ihren Auftritten im Internet, von Blogs, von Twitter, von Interaktionen mit Menschen auf Social Media. Es ist wirklich eine andere politische Ära. Wenn Sie wirklich Parallelen ziehen wollen, müssen Sie in die Vergangenheit schauen.

»Um Haider zu verstehen muss man nicht auf Bannon, Strache, Kurz oder Salvini schauen. Sondern auf Bruno Kreisky«

Wie weit?
Zu Bruno Kreisky. Allen Differenzen zum Trotz war er eine Art Mentor für Jörg Haider. Von ihm hat er einen Großteil seiner politischen Visionen genommen. Und wahrscheinlich hat Kreisky ihn auch als seinen Erben gesehen. Einmal erzählte mir mein Schwiegervater von einem Treffen mit Kreisky. Die Ähnlichkeiten waren nicht nur politisch, sondern auch stilistisch, in der Personifizierung von Politik. Beide hatten die Vision Österreich eine neue Identität zu geben. Und beide waren politische Häretiker. Um Haider zu verstehen muss man nicht auf Bannon, Strache, Kurz oder Salvini schauen. Sondern auf Bruno Kreisky.

Jörg Haider, der Untote: Vor zehn Jahren starb Jörg Haider. Lesen Sie in der aktuellen Printausgabe von News (Nr. 39/2018), was von ihm geblieben ist!