Die Queen, der Tod, das Fernsehen

Nie war es so unmöglich, nicht dabei gewesen zu sein. Was die halbe Welt ferngesehen hat, verfolgt mit Videoschnipseln von Facebook bis TikTok auch den letzten Antiroyalisten via Social Media. Doch das Begräbnis der Queen war vielleicht das letzte globale gemeinsame Live-TV-Event

von Medien & Menschen - Die Queen, der Tod, das Fernsehen © Bild: Gleissfoto

Nein, ich war noch nicht geboren, als 1953 die Krönung der Queen für das erste weltweite Gemeinschaftsereignis via Fernsehen gesorgt hat. Doch ich habe Elizabeth II. 16 Jahre später in Innsbruck gesehen, nur 73 Tage vor dem globalen TV-Event der Mondlandung. Diese ist mir besser im Gedächtnis als das persönliche Erlebnis der Königin. So wie 1973 Elvis Presleys „Aloha from Hawaii“, die erste Satellitenübertragung eines Konzerts, eine markante Erinnerung bleibt. Noch mehr gilt das für „Live Aid“ von 1985 – 16 Stunden, mitgeschnitten auf vier gut gehüteten VHS-Kassetten. Der ORF besitzt von 28 Übertragungsstunden zur Mondlandung nur noch 19 Minuten.

Alles danach habe ich geschwänzt, also die Begräbnisse von Diana (1997), Johannes Paul II. (2005), Michael Jackson (2009) und Elizabeth II. nicht direkt mitverfolgt. Live und Tod, das geht für mich irgendwie nicht zusammen. Wiewohl die Beisetzung der Queen auch an das Sterben des Fernsehens im herkömmlichen Sinne gemahnt. Ihre Krönung sahen 300 Millionen, ihren Abschied vier Milliarden Menschen. Das wäre zugleich ein letzter Rekord für das Patschenkino, die orts- und zeitgebundene lineare Television. Sie ist auf Dauer dem umfassenden Trend zur Mobilität nicht gewachsen, bei dem das Wann und Wo der Adressat und nicht der Absender bestimmt.

Doch der Boomer, der noch Muhammad Ali um drei Uhr früh live gegen Joe Frazier boxen sah, wird seine Gewohnheiten kaum komplett ändern. Es sei denn, man zwingt ihn dazu. Er will weiterhin den Tag mit Papierzeitung am Morgen beginnen und mit „ZIB 2“ am Abend beenden. Deshalb wird es das herkömmliche Fernsehen noch viel länger geben, als seine Totengräber prophezeien. Denn wir sind viele – und werden immer mehr. Heute leben schon fast 2,4 Millionen über 60-Jährige in Österreich. Deshalb haben die größten Sender, gleichgültig ob öffentlich-rechtlich oder privat, durchwegs das Begräbnis der Queen übertragen. ORF und ZDF waren ebenso live dabei wie RTL und Sat.1.

Was für das Publikum selbstverständlich wirkt, ist es nicht für Programmmacher. Markus Breitenecker, Chef der Sendergruppe um Puls 4 und ATV, ärgert sich immer wieder, auf welche Art diese Angebote mit jenen des ORF von mir verglichen werden – nämlich auf Basis aller Österreicher ab zwölf Jahren. Seine Hauptzielgruppe aber sind die Zwölf- bis 49-Jährigen. Bei diesen Alterssegmenten liegen die öffentlich-rechtlichen Programme viel schlechter als im Gesamtvergleich. Deshalb haben Privatsender vor allem die Generationen von zwölf bis 49 im Visier. Ausnahmen wie ServusTV bestätigen die Regel.

Für diese Strategie gibt es gute geschäftliche und Marketinggründe, aber auch ein entlarvendes Eingeständnis des ursprünglichen RTL-Chefs Helmut Thoma. Der Österreicher bekannte, diese Zielgruppe der Werbeindustrie eingeredet zu haben – nach Vorbild des US-Senders ABC in den 1970er-Jahren. Gegen eine solche Verengung spricht nicht nur, dass auch RTL nun das Queen-Begräbnis gezeigt hat und die ARD-Übertragung in Deutschland bei 14 bis 49 noch mehr Marktanteile als insgesamt verzeichnete. Stärker sind ethische Argumente. Eine Angebotskonzentration auf U50 ist ein weiterer Keil zur Spaltung der Gesellschaft. Dass der Abschied von Elizabeth II. jene noch mehr fesselte, die erst nach der Mondlandung geboren wurden, wirkt als kleines Umdenksignal. Dass die Älteren zunehmend nicht weniger, sondern mehr Geld als die Jüngeren haben, sollte auch geschäftlich zu denken geben. Gesellschaftliche Integration könnte ein Businessmodell fürs Fernsehen von morgen sein. Die halbe Welt, die das Queen-Begräbnis live gesehen hat, war nicht nur die Altersgruppe zwölf bis 49. Sie macht übrigens weniger als die Hälfte der österreichischen Bevölkerung aus. Auch Markus Breitenecker gehört schon seit vier Jahren nicht mehr dazu.