"Nach der ersten Schockstarre
laufen jetzt die Leitungen heiß"

Die österreichische Bundesregierung lobt die Konsequenz der Bürger. Die Kurve der Infektionen flacht ab, die Wirtschaft wird nach Ostern Schritt für Schritt wieder hochgefahren. Doch die Zeit der Entbehrungen ist längst nicht vorüber. Noch schlimmer: Die psychischen Folgen der Isolation machen sich erst jetzt bemerkbar.

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Psychotherapie - "Nach der ersten Schockstarre
laufen jetzt die Leitungen heiß"
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"Der Höhepunkt der psychischen Belastung ist noch nicht erreicht", sagt Peter Stippl, Präsident des "Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie" gegenüber news.at. Denn ähnlich wie bei der Viruserkrankung steige auch die Belastung exponentiell mit der Dauer der „Haftbedingungen“, wie er es ausdrückt. Nach vorerst abwartender Haltung sei zuletzt ein Ansteigen der Psychotherapie-Nachfrage zu verzeichnen.

Österreicher auf der Suche nach Hilfe

Dass die psychischen Probleme der Menschen in der derzeitigen Krise zeitversetzt zutage treten, bestätigt auch Hannes Jansky, Vorstandsmitglied des Vereins "iwik". Die Menschen würden jetzt verstärkt damit beginnen, nach Möglichkeiten zu suchen, wo sie Hilfe finden können. Sein Verein unterstützt armutsbetroffene Menschen, die eine psychotherapeutischer Beratung brauchen.

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Die Kosten für eine Psychotherapie-Stunde werden dort auf der Grundlage der sozialen Bedürftigkeit festgelegt. Sie betragen zwischen 25 und 35 Euro, wobei in besonderen Härtefällen auch geringere Honorare möglich seien. Akute Entlastungsgespräche via Krisentelefon sind kostenlos.

»In den ersten beiden Wochen standen die Menschen unter Schock«

"In den ersten beiden Wochen nach den Krisenmaßnahmen standen die Menschen unter Schock. Sie waren damit beschäftigt, ihre neuen Lebensumstände zu organisieren, für ihre Angehörigen zu sorgen und hofften auf ein schnelles Ende der Krise", berichtet Jansky.

Psychotherapie auf "Krankenschein"

Langsam wird klar, dass die Corona-Maßnahmen in vielen Bereichen noch länger dauern werden. Es kehre eine neue Form von Alltag ein, die für viele sehr belastend sei. "Die Corona-Pandemie erinnert die Menschen, dass im Leben nicht alles kontrollierbar ist, erklärte die Psychologin Eva Jonas. Wann die Situation zu belastend wird, sei individuell unterschiedlich, aber bei solchen Problemen sollte man auf jeden Fall gegensteuern.

Wenn Gespräche mit den engsten Vertrauten nicht mehr reichen, sei es ratsam sich professionelle Unterstützung holen. Aber wie läuft das ab? Es gibt die Möglichkeit, Psychotherapie auf "Krankenschein" zu bekommen. Zudem gebe es Kriseninterventionszuweisungen an Psychotherapeuten von Ärzten und Hotlines der Psychotherapie-Landesverbände.

So wird den Betroffenen geholfen

Aufgrund der Ausgangsbeschränkungen findet derzeit keine Psychotherapie im persönlichen Kontakt statt. Die therapeutischen Gespräche erfolgen derzeit via Telefon, Skype, Zoom oder Facetime. Für viele bestehende Klienten sei dies ungewohnt.

Wer auf engem Raum mit Angehörigen zusammen lebt und wenig persönliche Rückzugsmöglichkeiten hat, kann das Therapiegespräch auch während einem Spaziergang führen. Tipp: Kopfhörer sind beim Therapiegespräch empfehlenswert.

Worüber machen sich die Österreicher Sorgen?

"Bei 90 Prozent der Psychotherapiegespräche ist mittlerweile das Corona-Virus ein Thema. Es weckt Ängste, Unsicherheit und Sorgen. ", sagt Peter Stippl. Psychisch vorbelastete Menschen sind stärker davon betroffen. "Bisherige Symptome können sich in Krisenzeiten schnell verstärken", erklärt Hannes Jansky von iwik.

»Symptome verstärken sich in Krisenzeiten «

Ein Beispiel seien zwanghafte Handlungen wie ununterbrochenes Händewaschen, massive Angst davor, das Haus zu verlassen, Schlaflosigkeit, starke Unruhe oder Weinkrämpfe. Die Hotlines jedoch würden auch vermehrt von Menschen, die bisher in keiner psychotherapeutischen Behandlung waren, beansprucht werden.

»Mit der Dauer der Maßnahmen, steigt die Belastung«

Ein weiteres zentrales Thema sei die wirtschaftliche Unsicherheit: Viele haben ihren Job verloren und wüssten nicht, ob sie wieder einsteigen können. Andere sind in Kurzarbeit. Vor allem jene die schon vor der Krise in prekären finanziellen Verhältnissen leben mussten, ist die Zukunft voller Unsicherheiten.

"Mit der Dauer der Maßnahmen nimmt die Belastung zu", weiß Peter Stippl vom "ÖBVP". Die Österreicher würden die Lage inzwischen wirklich ernst nehmen und beginnen sich Sorgen zu machen.

Von der Angst zum Realitätsverlust

"In dieser Situation ist Angst ganz normal und hilft, damit man sich vernünftig damit auseinandersetzt, Vorkehrungen trifft und sich an die Empfehlungen der Experten hält", erklärte Barbara Sperner-Unterweger von der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychiatrie.

Problematisch würde es, wenn man sich mit nichts anderem mehr beschäftigen kann. "Meistens geht das mit einer vermehrten Anspannung einher, Unruhe, vermehrtem Schwitzen, weniger schlafen zu können, sich nicht mehr auf eine Tätigkeit konzentrieren zu können", sagte sie.

Wo bekomme ich Hilfe?

Egal in welcher Situation man sich befindet, es ist keine Schande sich Unterstützung zu holen. Auch wenn dies, trotz großem Angebot und freier Kapazitäten oft gar nicht so einfach ist. An wen soll ich mich wenden? Was kostet das? Und wo finde ich den richtigen Ansprechpartner? Eine zentrale Informationsstelle, die über alle Angebote im Bereich der psychischen Gesundheit informiert, also auch über Angebote der psychiatrischen Versorgung oder Selbsthilfegruppen, wäre für iwik-Gründer Hannes Jansky die Lösung.

1. Sorgentelefon

Unter der bundesweiten Notrufnummer 142 (Telefonseelsorge) wird rund um die Uhr kostenlos, vertraulich und professionell Telefonberatung für Menschen in Krisen und schwierigen Lebenssituationen angeboten. Tipp: Die Beratung erfolgt österreichweit ebenso per Mail oder Chat.

2. Krisenberatung ÖBVP

Auf der Website des "Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie" finden Sie eine Auflistung der Hotlines, bei denen PsychotherapeutInnen telefonisch für entlastende Gespräche und Krisen zur Verfügung stehen.

3. Krisenberatung ÖVIP

Der Österreichische Verein für Individualpsychologie setzt auf rasche Vermittlung einer professionellen kostenfreien Krisenberatung durch erfahrene niedergelassene PsychotherapeutInnen. Die Krisenberatung findet telefonisch oder auf Wunsch per Videotelefonie statt. Hinweis: Aufgrund der gegenwärtigen Situation werden alle Ressourcen auf zeitlich begrenzte Krisenberatungen von 1-3 Stunden fokussiert.

4. Verein iwik

Der gemeinnützige Verein iwik richtet sich an Menschen richtet, die sich die gängigen Tarife für Psychotherapie nicht leisten können. Um in der akuten Krise gezielte Unterstützung anbieten zu können, hat iwik auch ein Krisentelefon eingerichtet. Unter iwik.at finden Sie Namen und Telefonnummern von PsychotherapeutInnen, die ehrenamtlich Entlastungsgespräche anbieten. Dieses Angebot ist kostenlos.

5. Schnelle Hilfe von VOEPP

Die Vereinigung Österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten bietet eine psychotherapeutische Erstberatungs- und Info-Hotline für seelische Gesundheit. Es handelt sich um ein kostenfreies, vertrauliches und anonymes Angebot.