Sexarbeit in Corona-Zeiten

"Wenn eine Fußpflege möglich ist, dann müssen auch sexuelle Dienstleistungen möglich sein"

Während des Lockdowns gab es viel Unsicherheit. In der Krisenkommunikation der Regierung fand der Bereich Sexarbeit kaum Beachtung. Doch seit zwei Monaten laufen die Geschäfte wieder. Wie hoch die Nachfrage ist, was sich verändert hat und welche Perspektiven sich die Frauen und Männer im Rotlichtmilieu wünschen.

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Prostitution - Sexarbeit in Corona-Zeiten © Bild: istock images

Es gab Massenübertragungen bei Gottesdiensten, in Fleischfabriken und auf Après-Ski-Partys. Aber nicht in Bordellen. Verwunderlich? In der Regel sind dort immer genau zwei Menschen miteinander in Kontakt.

Körpernahe Dienstleistung

Das sah offenbar auch der Bund so und hat mit Anfang Juli das Betreten von Prostitutionslokalen in Österreich wieder erlaubt. "Wir haben diese Entscheidung sehr begrüßt. Es geht um die Existenz der Sexarbeiter", sagt Eva van Rahden, Leiterin von Sophie, der Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter der Volkshilfe Wien. Wenn eine Massage oder eine Fußpflege möglich sei, dann müssen auch sexuelle Dienstleistungen wieder möglich sein. "Nur weil es um Sexualität geht, andere Voraussetzungen zu schaffen, sehen wir kritisch" ergänzt sie.

Wie sehen die Schutzmaßnahmen in Bordellen aus?

Unklar war zu jenem Zeitpunkt aber, welche genauen Regelungen in den Etablissements nun im Detail getroffen werden mussten. Inzwischen liegt ein offizieller Hygieneleitfaden des Gesundheitsministeriums vor. Dieser empfiehlt etwa, das sowohl der Kunde als auch die Sexarbeiterin, der Sexarbeiter eine Maske tragen soll. Desinfektionsmittel soll zur Verfügung gestellt werden. Matratzenbezüge seien nach jedem Kundenkontakt zu wechseln.

Kunden und ihre wahre Identität

Seitens des Gesundheitsministeriums werde darüber hinaus empfohlen - ähnlich wie in der Gastronomie - Kontaktdaten zu erheben. Aber wie realistisch ist das in einem Bordell? "Es gibt Bereiche in der Sexarbeit, wo die Frauen Kontaktdaten haben. Einfach weil schon vor dem Besuch im Studio telefoniert wird. Weil man sich kennt", erklärt Eva van Rahden. Schwieriger sei es bei einer Anbahnung am Straßenstrich." Doch van Rahden relativiert: "Es sind immer Einzelkontakte. Es ist ja nie eine große Gruppe, die im Nachhinein informiert werden muss."

Sexualpraktiken - die Empfehlung des Ministeriums

Zudem wird auf die Sexualpraktiken hingewiesen. Hier der Originaltext: "Aufgrund der Virusübertragung durch Speicheltröpfchen wird empfohlen, auf jegliche Formen des Speichelaustauschs, Küssen und Oralsex sowie einander zugewandte Sexpositionen zu verzichten.

»Von Gruppensex raten wir ab«

Wird dennoch Oralsex praktiziert, soll ein Kondom oder Lecktuch verwendet werden und sind in der Folge Gesicht und Körperteile, die miteinander in Kontakt gekommen sind, zu waschen. Sexuelle Kontakte sollen lediglich zwischen zwei Personen stattfinden, von Gruppensex wird abgeraten."

Wie läuft es in der Praxis ab?

An die neue Hygieneempfehlungen und Schutzmaßnahmen halten sich rund 8.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die in Österreich registriert sind. "Grundsätzlich habe ich das Gefühl, dass eine sehr hohe Disziplin herrscht. Viele Kunden tragen bereits beim Betreten des Bordells eine Maske. Und bei Vorgesprächen sowie im Barbereich wird die Abstandsregel eingehalten", schildert Eva van Rahden. Doch so richtig in Schwung will das Geschäft nicht kommen. Seit der Krise komme es häufiger vor, dass Kunden kurzfristig Termine absagen oder dass einfach weniger Buchungen erfolgen. Es gebe aber auch Frauen die sagen es laufe "super". "Es ist sehr unterschiedlich. Wir sind immer noch in der Situation, dass wir die Frauen mit humanitärer Hilfe unterstützen,“ fasst Eva van Rahden von der Volkshilfe in Wien zusammen.

So wurden die Sexarbeiterinnen während der Krise kreativ

Wie in anderen Branchen wurden auch die Sexarbeiterinnen während der Krise kreativ. So werden nun Auto-Peep-Shows oder das darstellende Spiel der Masturbation angeboten. Eine sichere Variante, denn hier kann der erforderliche Abstand problemlos eingehalten werden, sagt Christian Knappik, ehrenamtlicher Lobbyist und Gründer des Sexworker.at-Forums.

Schattendasein und Stigmatisierung

Die Coronakrise habe aufgezeigt, wo es in Österreich prekäre Arbeitsverhältnisse gibt. Laut Knappik gebe es in der Bundeshauptstadt derzeit 350 bewilligte Bordelle oder Studios. Zusätzlich noch zehn Laufhäuser mit jeweils 15 Zimmern. Demnach komme man auf maximal 1.500 legale Indoor-Arbeitsplätze mit Bordellgenehmigungen. Die Schätzungen hierzu gehen jedoch stark auseinander. So sollen allein in Wien täglich bis zu 10.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter legal und illegal aktiv sein, wie aus der Seminararbeit Politikwissenschaften der Uni Wien "Sexarbeiter_innen in Wien während der Corona-Krise“ hervorgeht.

Härtefallfonds für Prostituierte?

Fakt ist: Sexarbeit ist Arbeit. Das Berufsverbot während des Lockdowns hat in vielen Fällen absolute Einkommensverluste nach sich gezogen. Zum Härtefallfonds hatten nur manche Frauen Zugang. Ein großer Teil scheiterte an der Bürokratie, obwohl sie Steuern zahlen. So gebe es Frauen, die dem Bordell-Betreiber zwar Pauschalsteuern zahlen, dann aber keine eigene Steuernummer haben. Ohne Steuernummer könne man kein Geld aus dem Härtefallfonds anfordern.

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Zwischen Sex und Bürokratie

Es gebe auch Fälle, bei denen Banken in Österreich den Frauen ein Bankkonto verweigern, nur wegen ihrer Compliance-Regeln. Das ist ein Problem. Denn das Finanzministeriums besteht auf eine inländische Kontoverbindung. Es sei für die Frauen generell schwer zu belegen wie hoch die Einnahmen sind und wie hoch der Ausfall ist. "Wir versuchen in unseren Beratungen mit den Frauen zu klären, was es braucht, damit sie das nächste Mal Anspruch auf den Härtefallfonds haben und ihnen so eine Perspektive zu bieten", sagt Eva van Rahden.

Das größte Problem der Prostituierten

Eine Branche die selten Wertschätzung erfährt, musste gerade in dieser Zeit erleben, wie schnell sie in wirtschaftliche Notlage gerät. Doch abgesehen davon, bleibe das größte Problem für die Sexarbeiterinnen, die Stigmatisierung durch die Gesellschaft. "Ich muss leider sagen, dass diese Krise dazu geführt hat, dass gerade diese sogenannten „Stoppsexkauf-Aktivisten“ an Boden gewonnen haben." Frei nach dem Motto:"Jetzt sind die Bordelle zu, da können wir sie ja gleich zu lassen".

Sex und Einsamkeit

Ein völlig falscher Ansatz, davon ist die Leiterin der Beratungsstelle Sophie überzeugt: "Wir leben in einer Gesellschaft, in der Einsamkeit ein großes Thema ist. Körperliche Nähe und Intimität sind wichtige Bereiche, die zu einem gesunden Leben dazugehören." Und noch mehr: Sexualität verändere sich in unserer Gesellschaft und das führe langfristig auch zu einer Veränderung im Bereich Sexarbeit.