Schlaglichter aus Chicago

Die Pritzkers - die linken Trumps von Illinois

von Der Jay Pritzker Pavilion © Bild: iStockphoto.com/benkrut

On your left!", hörte ich eine weibliche Stimme hinter mir, dachte nicht, dass ich damit gemeint sein könnte, und spazierte weiter langsam durch jenen Teils des Zentrums von Chicago, wo die hohen Wohntürme stehen, die meisten Hotels, Restaurants und Cafés sind. Im Gegensatz zum "Loop" südlich des Chicago River, dem Geschäfts-und Theaterviertel. Wieder rief dieselbe Stimme "On your left", bis mich eine junge Frau leicht zur Seite stieß, mit weiten, schnellen Schritten links an mir vorbeiging, in einem schwarzen Anzug mit Sakko und weißer Bluse, die Kopfhörer im Ohr mit dem Telefon verbunden, in der linken Hand einen Becher von Starbucks und über die rechte Schulter eine ziemlich große Tasche. "I told you ", hörte ich sie noch in den Kopfhörer schreien, dann war sie zu weit weg, überquerte die nächste Straße, als ich sie erreichte, zeigte die Ampel bereits Rot.

Zwei Jahre war ich nicht zurück in Chicago und bewegte mich jetzt wie ein Fremder. Ich hatte das Tempo dieser Stadt vergessen, das sich nach Covid zurückmeldete; eine Stadt, in der niemand geht, sondern alle laufen, niemand spricht, sondern alle schreien, niemand lächelt, sondern alle laut lachen, und in der aus den geöffneten Fenstern der vorbeifahrenden Autos Musik dröhnt, als ob ein Karneval-Umzug demnächst um die Ecke biegt.

Millennium Park

Überquert man den Chicago River, finden Erschöpfte eine ruhige Insel, den Millennium Park, eine der größten innerstädtischen Grünflächen auf den Grundstücken der ehemaligen Bahnlinien, vergleichbar mit dem Central Park in New York. Mitten in diesem Park die eindrucksvolle Freilichtbühne, der Jay Pritzker Pavilion. Ein verwirrendes Stahlgerüst mit einer großen Bühne, mehreren Sitzreihen und einer großen Wiese, wo sich im Sommer Besucher mit Decken und Picknickkorb niederlassen, um Klassik, Jazz, Blues, Schauspiel, Filme und ganze Opernproduktionen zu genießen.

Ich hatte mich mit Robert verabredet, der im selben Gebäude wohnte, als ich in Chicago lebte, und jetzt im Pavilion eine leitende Funktion einnimmt. Er versprach mir eine private Führung durch den Komplex. Im Lauf der Erklärungen störte mich seine endlose Huldigung des Namensgebers, Pritzker. Dieser habe einen Teil der Baukosten des Hauses gespendet, ohne ihn wäre die eine oder andere Produktion nicht möglich gewesen. Es gäbe kaum etwas in diesem Gebäude mit all den Aktivitäten, das nicht von seiner Großzügigkeit abhängig wäre.

Milliardäre

"Ginge das alles hier nicht ohne die Pritzkers?", fragte ich ihn. Er lachte und antwortete, es gäbe bedeutend weniger in Chicago ohne die Pritzkers, und begann aufzuzählen: Northwestern University Pritzker School of Law, University of Chicago Pritzker School of Medicine, A.N. Pritzker Elementary School, Pritzker Military Museum, Pritzker Family Children's Zoo, Pritzker School of Molecular Engineering, Pritzker Marine Research in Florida, der wichtige Pritzker Architecture Prize, Pritzker Harold Washington Library, Pritzker Art of Asia Museum - und das sei sicher nicht alles. Mich interessierte jetzt das Gebäude nicht mehr, es waren die Pritzkers, über die ich mehr wissen wollte. Das Problem sei jedoch nicht die Großzügigkeit gegenüber Kultur und Wissenschaft, sprach er weiter, diese würde eine verschuldete Stadt wie Chicago gern annehmen. Der Einfluss würde längst die politischen Entscheidungen erreichen - seit ein Mitglied der Familie, J. B. Pritzker, Governor von Illinois sei. Die politische Machtkonzentration auf der Grundlage des Reichtums sei durchaus mit Trump vergleichbar, der Unterschied höchstens die politische Positionierung. Man höre wenig in Europa von den Pritzkers, entgegnete ich, während über Trump fast täglich eine Aufregung zu lesen sei. Er lachte und antwortete, das könne er sich gut vorstellen, weil die Pritzkers es geschafft hätten, sich als die "anständigen" Milliardäre zu positionieren.

Hotelgruppe

Ich wollte mehr erfahren und überredete ihn, ein Café aufzusuchen. Dort sprudelte es nur so aus ihm heraus. Der Pritzker-Clan sei eine der zehn reichsten Familien der USA. Elf Familienmitglieder sind Milliardäre. Die Haupteinnahmequelle seien die Hyatt Hotels, eine der größten Hotelgruppen weltweit. Zur Pritzker-Gruppe gehörten Hunderte Unternehmen und mehr als 1000 Immobilien weltweit. Die Familie habe einen Wert von etwa 40 Milliarden Dollar und stelle die VIP's der Demokraten dar.

Daraus ergebe sich ein zum Teil "ungesunder" Einfluss, sagte Robert. Penny Pritzker zum Beispiel, die Tochter des Firmengründers und Schwester des Governors von Illinois, organisierte 2008 die Finanzen für Ex-Präsident Obama während des Wahlkampfs. Ohne die Pritzkers wäre er nie Präsident geworden. 2013 wurde sie von Obama für das Amt der Handelsministerin nominiert, das sie bis 2017 ausübte.

"Eine der reichsten Unternehmerinnen als Handelsministerin?", fragte ich. Robert lachte wieder und antwortete: "Ja, die Demokraten arbeiten nicht anders als die Republikaner." Die Chicago-Power-Group innerhalb der demokratischen Partei, aus der auch Obama komme, werde seit Jahrzehnten großzügig von den Pritzkers finanziell unterstützt -und auch benutzt.

Illinois ist neben New York das wichtigste Zentrum der Demokraten. 41 der 59 Sitze des "State Senate" von Illinois kontrollieren die Demokraten. Im City Council von Chicago, der Stadtregierung, sind von 50 Abgeordneten 46 Demokraten und vier Unabhängige, die Republikaner haben keinen einzigen Vertreter. Die Dominanz der Demokraten sei auch das Thema des Wahlkampfs für die kommenden Kongress-und Senatswahlen, sprach Robert weiter. Republikaner betonen, dass Hochburgen der Demokraten Zentren für Korruption und Kriminalität seien. Und da hätten sie nicht ganz unrecht.

Korruption

Nach einer Studie der Universität von Illinois, die jährlich veröffentlicht wird, liegt Chicago zum dritten Mal hintereinander auf dem ersten Platz als "korrupteste Stadt der USA". Illinois auf Platz zwei unter allen US-Staaten. Im Jahr 2020 wurden 22 Mitarbeiter der Verwaltung wegen Korruption angeklagt, 2019 waren es 26. Vier der letzten elf Governors von Illinois wurden zu Gefängnisstrafen wegen Korruption verurteilt. Würde man sämtliche Verurteilungen aneinanderreihen, gäbe es in den vergangenen 20 Jahren keinen Tag, an dem nicht ein Beamter oder politischer Vertreter verurteilt worden wäre.

Selbst Milliardäre bedienen sich. 2007 kaufte der jetzige Governor Pritzker die Villa neben seinem Haus, um die beiden Gebäude zu verbinden. Zehn Jahre lang verschob er die Bauarbeiten. Um während dieser Zeit nicht die hohe Vermögenssteuer bezahlen zu müssen, ließ er die Toiletten im Nachbarhaus entfernen. Das Gebäude wurde als "unbewohnbar" mit einer extrem niedrigen Steuer eingestuft. Im Zuge der Verbindung der beiden Häuser ließ Pritzker die Toiletten wieder einbauen und ersparte sich etwa eine halbe Million Dollar Steuern. Es sei alles legal gewesen, erklärte er den Kritikern.

Illinois ist eingekreist von Bundesstaaten mit republikanischer Mehrheit. Ein Blick auf die Karte der USA mit blauen Staaten für die Demokraten und roten mit einer Mehrheit der Republikaner zeigt Illinois in der Mitte des Landes als einsamen blauen Fleck, umringt von roten. Dementsprechend aggressiv sei der Wahlkampf, in dem jedoch die Konkurrenten von Pritzker wenig Chancen hätten.

"Wie werden die Wahlen ausgehen?", frage ich Robert. Er überlegt eine Weile und sagt: "Es wird knapp werden. Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern, vor allem bei den Themen Abtreibung, Steuern und Kampf gegen Kriminalität. Doch auf beiden Seiten setzt sich mehr und mehr das Geld durch, die finanzielle Oberklasse entscheidet, wer gewinnt und wer die Lebensbedingungen der unteren Schichten beeinflusst, und damit meine ich nicht einmal die Armen. Selbst die Mittelklasse wird zum Spielball der Milliardäre, die mit einem enormen Propagandaaufwand fast jede Wahl entscheiden könnten. Ob das noch Demokratie ist?" Er macht ein Gesicht, als ob er nachdenken würde, sagt dann aber nichts.