Nicht die Regierung muss uns vertrauen

Der Welttag der Pressefreiheit ist auch der Geburtstag von Machiavelli, dem Philosophen der politischen Amoral. Das Zeugnis für Österreichs Pressefreiheit ist schlechter denn je, die Reaktion der Regierung darauf unverdrossen unbeeindruckt.

von Medien & Menschen - Nicht die Regierung muss uns vertrauen © Bild: Gleissfoto

Pressefreiheit und ein starker sowie unabhängiger Medienstandort sind wesentliche Eckpfeiler unserer Demokratie. Als Bundesregierung bekennen wir uns uneingeschränkt dazu." Also twitterte Sebastian Kurz am 3. Mai 2020. Damals war Österreich im globalen "Press Freedom Index" der "Reporter ohne Grenzen" (ROG) auf Rang 18 zurückgefallen, die schlechteste Platzierung seit dem Startjahr dieses Rankings, 2002 (26.). Dem minimalen Fortschritt auf Position 17 im Vorjahr ist erst der Absturz von Kurz und jetzt jener in der Weltrangliste der Pressfreiheit gefolgt: 31. - eine demokratiepolitische Blamage. Medienministerin Susanne Raab reagiert darauf jedoch unbeeindruckt: "Wir werden uns das Bewertungssystem und die Ableitungen genau ansehen." Das klingt eher nach Infragestellung der Methode als nach Anerkennung der Kritik.

Doch es gibt massiven Handlungsbedarf. Kommunikationswissenschaftler Fritz Hausjell, Präsident von Österreichs ROG-Sektion, sagt: "Wir haben das verdient." Das Sündenregister reicht von den Sideletters der Koalitionen für ORF-Postenbesetzungen bis zu den Regierungsinseraten, "ein Problem seit circa 2005/06, das unter Kurz einen negativen Höhepunkt erreicht hat". Nicht von ungefähr ein Jahr nach einem neuen Presseförderungsgesetz, dessen Reform so überfällig ist, wie Österreichs Medienpolitik demokratischen Entwicklungen nachhinkt. Hausjells Stellvertreterinnen Corinna Milborn (Puls 4) und Julia Herrnböck ("SN") liefern dazu internationale Vergleiche und nationale Beispiele. Österreich ist der letzte Staat der Europäischen Union ohne Informationsfreiheitsgesetz. Wegen des fehlenden Whistleblower-Gesetzes hat die EU sogar ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Der einzige Strohhalm zur Relativierung des österreichischen Absturzes ist eine Methodenänderung für die Erstellung des Index, bei dem wie eh und je die skandinavischen Staaten, aber auch Estland, Irland und Portugal voranliegen, während Nordkorea, Eritrea, Iran, Turkmenistan, Myanmar und China die Schlusslichter der 180 Staaten umfassenden Rangliste bilden. ROG-Vize Erhard Stackl (einst "profil" und "Standard") sagt, dass dadurch die Plätze nicht direkt mit Vorjahren vergleichbar sind, aber innerhalb einer Region doch ein schlüssiges Bild ergeben. Anders ausgedrückt: Allein in Europa schneiden 20 Staaten besser ab als Österreich. Das erinnert an das Ranking vor zehn Jahren und die bisher beste Austro-Platzierung als Fünfter. Die ebenfalls auf einer Methodenänderung beruhende Jubeldämpfung der damaligen ROG-Präsidentin Rubina Möhring (2022) mochte niemand hören.

Raab hingegen flüchtet wie Vorgänger Kurz in Gemeinplätze als Reaktion auf die Mahnung: "Klar ist, dass wir weiterhin jeden Tag alles dafür tun müssen, das hohe Gut der Pressefreiheit in Österreich weiter zu schützen." Das wirkt besonders unglaubwürdig angesichts der soeben nominierten ORF-Publikums-und Stiftungsräte nach dem unseligen Prinzip: Parteiloyalität vor Medienkompetenz. Solche Vorgangsweisen sorgen schon jetzt für Minuspunkte im nächsten "Press Freedom Index". Der ist kein vernachlässigbares Vereinspapier, sondern repräsentiert einen Weltstandard: Gut funktionierende Demokratien liegen an der Spitze und repressive Regime ganz unten (Stackl).

Raab und ihr Medien-Über-Ich, Bundeskanzler Karl Nehammer, haben einige Chancen vertan, durch Medienpolitik an Statur zu gewinnen. Mit der Fortsetzung von Methoden aus der Phase Kurz (und früher) verspielen sie mehr Wohlwollen, als sie wahrgenommen haben. Hausjell mahnt Medien und Journalismus: "Die Branche muss sich bewusst machen: Ihre Grundlage ist Vertrauen des Publikums und nicht Vertrauen der Regierung." Am Welttag der Pressefreiheit heißt das: Ende der Schonzeit.