Potenzprobleme: Männlichkeit auf dem Prüfstand

Viele Männer leiden an Potenzproblemen. Nur die wenigsten gehen damit zum Arzt. Urologe Markus Margreiter erklärt in seinem neuen Buch, warum Männergesundheit kein Tabuthema mehr sein darf.

von Männergesundheit - Potenzprobleme: Männlichkeit auf dem Prüfstand © Bild: iStockphoto.com

In Ihrem Buch "Mann 2020"* schreiben Sie einleitend, dass Männer reservierter auf Sie reagieren, wenn Sie sich als Urologe vorstellen, als wenn Sie sich als "Arzt für Männergesundheit" zu erkennen geben. Woher kommt diese Angst der Männer vor dem Thema Urologie?
Urologie wird in der Wahrnehmung von Männern oft nur mit Prostatakrebs und unangenehmen Untersuchungen assoziiert. Dabei trifft das in den wenigsten Fällen zu. Urologie umfasst vielmehr einen Großteil der Themen rund um Mann und Gesundheit. Daher versuche ich, mit dem Buch eine positive Verknüpfung herzustellen und Männern die Angst vor dem Urologen zu nehmen.

Woher kam die Idee, jetzt ein Buch über Männergesundheit zu schreiben?
Männergesundheit hat mich schon immer interessiert. Als ich 2005 eine Fellowship in New York gemacht habe, war Männergesundheit dort schon länger ein Thema. Von da an war dieser Bereich immer der Fokus meiner Tätigkeit. Umso mehr freut es mich, dass das Thema Männergesundheit in den letzten Jahren auch bei uns breites Interesse gewonnen hat. Als der Verlag letztes Jahr mit dem Vorschlag, ein Buch zu schreiben, an mich herangetreten ist, war meine Antwort sofort ja. Das Buch soll zeigen, dass es Spaß macht, sich mit dem Thema Gesundheit auseinanderzusetzen, und Männer so zu mehr Gesundheitsbewusstsein motivieren.

Was meinen Sie: Worin liegen die größten Herausforderungen für Männer heutzutage?
Auf gesundheitlicher Ebene sind die größten Herausforderungen sicherlich der Umgang mit permanentem Stress und Umwelteinflüsse, die vielfach zu chronischen Erkrankungen führen. Auf psychischer Ebene ist es vor allem die Auseinandersetzung mit einem neuen männlichen Rollenbild, das sich in den letzten Jahren dramatisch geändert hat. Heute gibt es nicht mehr den einen Typ Mann. Es geht vielmehr darum, verschiedene Typen zu sein. Das bedeutet einerseits Stress, bringt aber auch tolle Chancen. Auf sozialer Ebene ist die größte Herausforderung, einen männergerechten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu schaffen - und das für alle sozialen Schichten.

Einerseits sind viele Männer vom Fitnesswahn getrieben. Andererseits schreiben Sie, dass viele Männer ihren eigenen Körper nicht richtig kennen. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?
Ein Bewusstsein für den eigenen Körper und Gesundheit zu haben beziehungsweise wiederzuerlangen ist einer der wichtigsten Faktoren für eine gesunde Lebensführung. Leider sind wir Männer nicht immer sehr gut darin. Sport führt zu einem besseren Bewusstsein für den eignen Körper. Jedoch werden die Anzeichen einer Überlastung oft missachtet, es wird zu wenig Raum für Regeneration eingeplant. Dabei ist selbst bei Spitzensportlern eine ausreichende Regeneration wichtiger Teil des Trainings.

Woran liegt es, dass Männer mit gesundheitlichen Problemen oft erst spät zum Arzt gehen?
Einerseits wurden Männer aufgrund ihrer genetischen Ausstattung darauf programmiert, weniger auf ihren Körper oder mögliche Risiken zu achten. Andererseits spielt auch die Erziehung eine Rolle. Durch die soziale Prägung wird der Mann bereits in jungen Jahren dazu verleitet, Schmerzen oder Probleme zu ignorieren. Die meisten Männer kennen sicher den Satz: "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." Ein wesentlicher Aspekt ist auch, dass Männer im Gegensatz zu Frauen nicht gewohnt sind, von jungen Jahren an regelmäßige Gesundenuntersuchungen durchzuführen. Frauen sind durch die Vorsorgeuntersuchungen beim Gynäkologen schon sehr früh ins Gesundheitssystem eingebunden und damit vertraut. Bei Männern gibt es in dieser Hinsicht nichts Vergleichbares.

Was ist der Unterschied zwischen erektiler Dysfunktion und Impotenz?
Impotenz ist ein Überbegriff für verschiedenste Funktionsstörungen und wird in der Sexualmedizin nicht gerne verwendet, da es für die Betroffenen meist stigmatisierend klingt. Die medizinisch korrekte Bezeichnung für Erektionsstörungen ist somit erektile Dysfunktion.

»Sexuelle Funktionsstörungen können auch Vorboten anderer Erkrankungen sein«

Was sind die häufigsten Ursachen für erektile Dysfunktion?
Alter, Stress, Medikamente, chronische Erkrankungen, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Zuckerkrankheit und Krebsbehandlungen zählen zu den häufigsten Risikofaktoren für die Entwicklung von Erektionsstörungen. Studien und auch meine eigene Erfahrung zeigen, das sich die meisten Männer dieser Risikofaktoren nicht bewusst sind und daher nicht rechtzeitig gegensteuern. Sexuelle Funktionsstörungen können auch Vorboten anderer Erkrankungen sein, deshalb ist eine frühzeitige Erkennung gesundheitsförderlich. Eine amerikanische Studie hat sogar gezeigt, dass mit dem Abfragen von Erektionsproblemen im Rahmen einer normalen Gesundenuntersuchung eine zwanzigprozentige Reduktion der Herz-Kreislauf-Erkrankungen herbeigeführt werden könnte.

Sind alle Erektionsstörungen irreversibel?
Erfreulicherweise sind sexuelle Funktionsstörungen in den meisten Fällen gut behandelbar und in vielen Fällen auch reversibel. Dabei kommt es auf die Ursache an. Tritt eine Erektionsstörung beispielsweise als Nebenwirkung eines Medikaments auf, kann man das leicht ändern. Besteht jedoch über viele Jahre als Grunderkrankung ein metabolisches Syndrom, also eine Kombination aus Zuckerkrankheit, Bluthochdruck, erhöhten Blutfetten und Übergewicht, ist es deutlich schwieriger. Das Gleiche gilt für Erektionsstörungen aufgrund von Nervenschädigungen nach Krebstherapien oder Operationen im Becken. Aber sogar dann kann den Betroffenen geholfen werden.

Sie schreiben, dass vor allem junge Männer immer häufiger Potenzprobleme haben. Was sind die Ursachen dafür?
Für junge Männer ist neben den sich verändernden Rollenbildern die Digitalisierung der Sexualität eine Herausforderung. Tinder, Social Media und Internetpornografie haben die Sexualität nachhaltig verändert. Wir sind uns über viele der Auswirkungen noch nicht im Klaren. Sicher ergeben sich dadurch auf der einen Seite neue Möglichkeiten - dennoch tun sich viele Jugendliche schwer, die virtuellen Vorstellungen in die Realität zu übersetzten. Das elementare Bedürfnis nach körperlicher Nähe bleibt in einer digitalen Welt jedenfalls auf der Strecke.

Wie wirken sich Potenzprobleme auf die Partnerschaft aus?
Sexualität beinhaltet neben der Lust- und Fortpflanzungsdimension vor allem die Beziehungsdimension. Diese dient der Befriedigung grundlegender biopsychosozialer Bedürfnisse nach Akzeptanz, Nähe, Sicherheit und Geborgenheit durch sexuelle Kommunikation in Beziehungen. Sexuelle Funktionsstörungen wirken sich also immer negativ auf die Partnerschaft aus und führen bei allen Beteiligten zu Spannungen. Umso wichtiger ist es, daraus kein Tabuthema zu machen.

Was kann man als Partnerin tun, wenn man bemerkt, dass der Partner immer öfter Schwierigkeiten im Bett hat? Wie soll man reagieren und welche Reaktionen soll man tunlichst vermeiden?
Das Wichtigste ist, das Gespräch zu suchen. Sexuelle Funktionsstörungen sind für beide Seiten mit schwierigen Emotionen verbunden. Scham, Versagensängste und Verlust des Selbstvertrauens sind häufig die Folge. Ein verständnisvoller Umgang ist immer hilfreich. Ebenso der Hinweis darauf, dass es sich um ein weitverbreitetes Thema handelt, für das es viele Lösungen gibt, und dass möglicherweise auch eine andere Erkrankung dahintersteckt. Außerdem sollte man gemeinsam versuchen, wieder Freude an Sexualität zu finden, deren Kreativität und Spielarten bekanntlich keine Grenzen gesetzt sind.

Wie schafft man ein ausgewogenes, gesundes Verhältnis zum eigenen Körper und zur eigenen Sexualität?
Das Wichtigste ist, ein Bewusstsein für den eigenen Körper und die eigenen Bedürfnisse zu entwickeln. Eine gesunde Lebensführung, also gesunde Ernährung und ausreichende körperliche Aktivität, ist wichtig, aber auch ein gesunder Umgang mit Stress und Umwelteinflüssen. Allerdings darf man nicht auf den Spaß und die Lebensfreude vergessen und sollte soziale Kontakte pflegen. Bezüglich der Sexualität finde ich die Empfehlung der WHO sehr passend: Diese besagt, dass sexuelle Gesundheit eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraussetzt sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt.

Zur Person

© Lukas Beck

Markus Margreiter ist Facharzt für Urologie und Andrologie. Nach seinem Medizinstudium an der Universität Wien absolvierte er eine Facharztausbildung für Urologie und Fellowships an deutschen und amerikanischen Universitäten. Bis 2016 leitete Margreiter die Ambulanz für Andrologie und erektile Dysfunktion an der Wiener Universitätsklinik für Urologie. Heute betreibt er ein Männergesundheitszentrum und ist Facharzt in der Privatklinik Confraternität in Wien.

Das Buch

Das Buch "Mann 2020" finden Sie hier.*

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Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News 38/2019.