Portisch: "Vergesst mich"

Ihn als Journalisten zu bezeichnen, hieße, den Papst einen Pfarrer nennen: Hugo Portisch macht uns seit Jahrzehnten klüger. Auch zu seinem 90. Geburtstag. Ein Gespräch über Trump, dem er ein neues Buch widmet, Optimismus und das Leben nach dem Tod

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Legende - Portisch: "Vergesst mich"

Tatsächlich, sagt der große, nie alt gewordene Herr mit einem Anflug von Verlegenheit, fühle er sich eine Spur müde. Nicht, dass das seine Art sei: Aber er habe gerade einen schweren Sturz hingelegt, als er auf dem Familienanwesen in der Toskana seinen entweichenden Hund habe einfangen wollen. Jetzt sind die blutigen Schrammen auf Nase und Stirn, die Hämatome um die Augen wie durch Zauber verschwunden. Hugo Portisch hat per Schnellschuss ein Buch über Trump geschrieben und blickt gefasst den Feierlichkeiten zum 90. Geburtstag am 19. Februar entgegen. Zum Festessen, das ORF-General Wrabetz ausrichtet, haben sich die Spitzen des Landes inklusive des amtierenden und des retirierten Bundespräsidenten angesagt. Doch der singuläre Zeitungs-und Fernsehkommentator, Autor historischer Sachbücher und TV-Serien, besteht darauf, nie etwas anderes als ein Journalist gewesen zu sein. In einem alten Café in der Argentinierstraße tut er beim News-Gespräch, was man in zusehends erklärungsresistenten Zeiten von ihm erwartet: Klarheit in die Wirrnis der Welt bringen.

Amerika fasziniert den Sohn eines in Bratislava stationierten österreichischen Chefredakteurs, seit er als 23-Jähriger ein Praktikum bei der "New York Times" absolvieren durfte. Und jetzt?

Herr Doktor Portisch, teilen Sie den Pessimismus, die Zukunft der Welt betreffend? Pessimismus kann ich mir nicht erlauben. Ich möchte nicht in einer Welt leben, von der ich annehme, dass alles immer schlechter wird und ohne Perspektiven zugrunde geht.
Die Welt ist voll mit positiven Geschichten. Natürlich, wir kennen auch das Elend der Welt, aber es hat seine volle Entsprechung in Leuten, die dagegenhalten, weil sie Ziele haben und etwas verändern wollen.

Die Wahl Trumps kann Ihren Optimismus doch nicht befeuert haben?
Natürlich freut mich das nicht. Aber es freut mich sehr, in welchem Ausmaß dort Widerstand geleistet wird. Der spontane Widerstand der Menschen, die auf die Straßen gehen und sagen: "Nein, so nicht."

Trump halten Sie nicht für gefährlich?
Ich glaube, dass er sich vorgenommen hat, mit Putin etwas gemeinsam zu machen. Ganz im Gegensatz zu Obama, der Russland abfällig als Regionalmacht bezeichnet hat, was ein schwerer Fehler war. Putin ist nämlich leicht zu zähmen, weil man ihn durchschauen kann: Er will Russland im Ansehen der Welt so groß und mächtig machen, wie es die Sowjetunion einmal war. Deshalb hat er in die Winterspiele von Sotschi 30 Milliarden investiert und den halben Kaukasus umgebaut, und das alles ist auf einem Gebiet geschehen, das man ohne politische Konzessionen hätte anerkennen können. Aber der deutsche Bundespräsident Gauck hat blitzschnell, ohne zu überlegen, beschlossen: "Da geh ich nicht hin." Das fand ich unverantwortlich und dumm, denn es wäre eine Gelegenheit gewesen, die weltpolitische Situation zu entspannen. Aber Gauck ist immer noch mit der Kerze um die Berliner Nikolaikirche gezogen, um gegen die Sowjetmacht zu demonstrieren wie zu DDR-Zeiten. Trump hingegen geht nicht auf Konfrontationskurs mit Russland, und das ist gut, denn ein Weltkrieg geht immer noch von Amerika und Russland aus.

»Trump erklärt die EU gerade zum Feind, und das könnte sogar ein Segen sein«

Hoffnung für Europa

Als vor sechs Jahren dem Projekt EU zum ersten Mal das allgemeine Misstrauen erklärt wurde, hielt der leidenschaftliche Europäer mit einer schmalen Broschüre dagegen. "Was jetzt?" verkaufte sich mehrere Hunderttausend Mal.

Heute ist Europa in einem noch wesentlich schlechteren Zustand und der Brexit nur ein Symptom von vielen. Portisch verdrängt nichts: Die osteuropäischen Staaten hätten sich in der Flüchtlingskrise schäbig, feig und unsolidarisch verhalten. Aber Europa ist noch lang nicht am Ende, sagt er. Die Rettung erhofft er von unerwarteter Seite: von Trump und von der Flüchtlingskrise.

Ist die EU nicht am Ende?
Trump erklärt sie gerade zum Feind, und das könnte sogar ein Segen werden. Europa genießt nicht mehr automatisch den Schutz vom großen Onkel Amerika. Es muss auf seinen eigenen Schutz schauen, den es derzeit nicht hat: Wenn es, theoretisch, zu einem Krieg gegen Russland käme, hätten die Russen das in kürzester Zeit erledigt. Daher könnte Russland beginnen, sich etwas gegen Lettland oder Litauen zu erlauben, eventuell sogar gegen Polen, weil Europa zu schwach ist. Aber Westeuropa hat immerhin zwei Atommächte, Frankreich und England. Wenn die in ein gemeinsames Kommando eingebaut werden, ist Europa durchaus verteidigungsfähig. Aber dazu bedarf es einer gemeinsamen, solidarischen Sicherheitspolitik, die jetzt ein absolutes Muss ist.

Aber wir können doch förmlich zuschauen, wie die Flüchtlingskrise Europa zerreißt.
Die Flüchtlingskrise ist momentan immerhin abgeschwächt, und die Chancen, sie zu beenden, stehen gut. Der Krieg in Syrien geht zu Ende, und dann ist es auch mit dem Terrorismus vorbei: Wenn man die Führungskräfte ausschaltet, kann man ihn besiegen. Wenn jetzt Putin mithält, und wenn er Trump die Anerkennung der Regierung Assad abringt, sieht es nicht schlecht aus. Assad müsste sich nur bereit finden, nicht Rache zu nehmen, sondern das Land wieder aufzubauen. Dazu wird Hilfe nötig sein, für die Russland wirtschaftlich zu schwach ist. Aber Europa kann einspringen und damit auch die Flüchtlinge zur Rückkehr bewegen, die ja zu Hause dringend gebraucht werden, gerade die Jungen! Es ist ja auch für sie nicht lustig, ohne Perspektiven in einem fremden Land zu sitzen.

"Singulär"

Portisch war frühzeitig ein mächtiger Mann: Als Chefredakteur des "Kurier" brachte er 1964 das Rundfunkvolksbegehren auf den Weg: Der neue, moderne ORF wurde just in dem Augenblick kreiert, als ihn sich die damaligen Großparteien per koalitionärem Geheimabkommen bis auf den letzten Posten aufteilen wollten.

Portisch war damals 37 Jahre alt, und beide Parteien umwarben ihn: Josef Klaus wollte ihn in die erste und letzte ÖVP-Alleinregierung holen; und als dann der Sozialdemokrat Bruno Kreisky das lange politische Mittelalter beendete, bot er Portisch ein Staatssekretariat an. Auch als Gemeinschaftskandidat für die Bundespräsidentschaft war er eine seriöse und erwünschte Option, doch er wies alle diese Ansinnen von sich: Nichts sei ihm kostbarer als seine Freiheit. "Ich schätze ihn als einen der Letzten der großen, klassischen Tradition", bekundete ihm Bruno Kreisky die höchste Wertschätzung. "Er ist ein großer Blattmacher, der vieles hätte werden können und es nicht werden wollte. Er ist eine singuläre Erscheinung im österreichischen Journalismus."

Das war 1990. Heute befinden sich die ehemals unbezwinglichen Großparteien auf dem Weg in die Marginalität, und ihre noch in der Regierungsverantwortung befindlichen Protagonisten unternehmen entschlossene Anstrengungen zur Selbstdemontage.

© ORF Vor dem Weißen Haus: Seit einem Praktikum anno 1950 bei der "New York Times" betrachtet Portisch die USA als eine seiner Kernkompetenzen

Weshalb ist denn die österreichische Innenpolitik in so bedauernswertem Zustand?
Ich verstehe es nicht, weil ich doch annehme, dass dieser Beruf von vernünftigen Menschen ausgeübt wird, die zu Übereinkünften, zu gemeinsamen Lösungen gelangen müssten. Dass sie das nicht tun, ist mir unbegreiflich. Andererseits war die Bundespräsidentenwahl sehr positiv. Genügend Leute haben bezweifelt, dass der junge, fesche Bursch Hofer abzuwenden sein wird. Aber das europäische Argument, die Verantwortung für das Land, das Mittragen der Geschichte des Landes waren stärker. Und es wird weiter gut gehen, solange die Nicht-Nationalisten und Nicht-Populisten gute Arbeit leisten. Der Populismus lebt immer davon, dass er den Mangel auf der anderen Seite für sich nützen kann.

Die Sache mit dem Glück

Die Frage, ob er ein glücklicher Mensch sei, beantwortet er mit einem schlichten Ja und benennt als Verantwortliche seine Ehefrau seit 68 Jahren, die Schriftstellerin Traudi Reich. Das Paar lebt an der Wiener Peripherie und auf einem Landgut in der Toskana, wo die Portischs ein vorzügliches Olivenöl pressen. Die andere Leidenschaft betrifft das Pilzsammeln: Dass Portisch den mykologischen Beweis für die Nichtexistenz des "Falschen Perlpilzes" erbringen habe können, sei vermutlich das einzige, worauf er wirklich stolz sei, sagt sein Vertrauter Heinz Nußbaumer, ehemals Sprecher zweier Bundespräsidenten.

Inmitten dieser glückhaften Harmonie verlor das Ehepaar vor einigen Jahren den Sohn, der nach einer Karriere beim Europarat in Madagaskar eine Hotelanlage betrieb und an einer Infektionskrankheit starb. Da wurde die Endlichkeit mit einem Mal zum Thema.

© ORF Ideale Gemeinschaft: Traudi und Hugo Portisch sind seit 68 Jahren verheiratet. Das Bild zeigt sie auf ihrem Landgut in der Toskana

Konnten Sie und Ihre Frau über diese Katastrophe je hinwegkommen? Können Sie anderen Betroffenen da eine Handhabe geben?
Man muss sich abfinden. Und man kann sich trösten. Er hat ein starkes, eigenbestimmtes Leben gehabt, mit vielen Höhepunkten. Er hat das Leben sehr genossen und viel daraus gemacht, bis zum letzten Augenblick. Ich tröste mich manchmal mit dem Gedanken an meinen Hund. Wenn ich mit ihm in den Dunkelsteiner Wald gehe, läuft er nur selten an der Leine. Und wenn ich ihn dann, nach einem Reh lechzend, über eine Wiese hetzen sehe, denke ich mir: Wenn jetzt ein Jäger kommt, schießt er ihn nieder, und der Hund ist tot. Aber schön hat er es gehabt, bis zum letzten Augenblick.

»Ich erhebe keinen Anspruch, die Leute noch nach meinem Tod zu belästigen«

Wäre es Ihnen persönlich wichtig, dass in 20 oder 30 Jahren etwas von Ihrem Wirken geblieben ist?
Auf keinen Fall. Ich werde ja schon gefragt, was auf meinem Grabstein stehen soll. Die Antwort ist: "Vergesst mich." Ich erhebe keinen Anspruch, die Leute auch noch nach dem Tod zu belästigen. Ich habe auch nichts von dem, was ich getan habe, als große Tat angesehen. Sondern immer als ganz normalen Journalismus. Ich bin immer gern arbeiten gegangen, jeden Morgen, und ich arbeite immer noch gern. Ich glaube auch nicht an diverse Totsagungen: Zeitungen und Zeitschriften sind immer noch das verlässliche Instrument der Demokratie und der Information, gerade in Zeiten des Internets. Ich liebe meinen Beruf, weil er spannend und erfüllend ist. Aber er ist ein Tagewerk, und Tagewerk bedeutet, dass es mit dem Tag vergeht und für keine Ewigkeit geschaffen ist. Wenn ich mit meiner Arbeit etwas bewegt oder weitergegeben hätte, würde es mich freuen. Aber nachwirken, auf Leute, die einen gar nicht mehr kennen auf zwei Drittel meiner Weggenossen habe ich ja schon verzichten müssen.

Gibt es ein Jenseits?
Was, nach dem Tod? Da kann ich nur mit einem jüdischen Witz antworten. Kommen zwei zum Rabbi und fragen: "Lebt sich der Mensch von innen heraus oder von außen herein?" Der Rabbi antwortet: "Muss ich klären." Nach einer Woche kommen sie wieder: "Lebt sich der Mensch von innen heraus oder von außen herein?" Sagt der Rabbi: "Weiß ich?"

Macht es Ihnen Angst, dass Ihr Leben in absehbarer Zeit enden wird?
Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Meine Frau und ich wissen sehr genau, dass wir nur noch ein paar Jahre haben, wenn es überhaupt so ist. Jede fünf Minuten, die wir jetzt vergeuden, sind abstreichbar von dieser Frist. Der Tod gehört zum Leben. Man muss sich damit nicht einmal abfinden. Man muss es einfach zur Kenntnis nehmen.

Aber derjenige von Ihnen, der zurückbleibt?
Ja, das wird ganz schlecht sein. Aber wir sind fest entschlossen, den anderen nicht sehr lang zu überleben.

Hugo Portisch

wurde am 19. Februar 1927 als Sohn österreichischer Eltern im heutigen Bratislava geboren, studierte in Wien und wandte sich wie der Vater dem Journalismus zu. Als Chefredakteur des "Kurier" setzte er mit dem Rundfunkvolksbegehren den unabhängigen ORF durch. Dort wurde er einer der einflussreichsten politischen Kommentatoren des Landes. Seine Serien "Österreich 1" und "Österreich 2" lehrten das Land Geschichte, seine Bücher wurden Bestseller. Portisch ist mit der Autorin Traudi Reich verheiratet und lebt in Wien und in der Toskana.

Portischs Leben
Zum 90. Geburtstag erscheinen Hugo Portischs Memoiren Aufregend war es immer als erweiterte Sonderausgabe (Ecowin, € 15). Unter demselben Titel fertigte ORF III eine dreiteilige Dokumentation, für die Portisch tagelang Rede und Antwort stand. Termine: 17., 18., 19.2., 20.15 Uhr

Portisch über Trump
Per Schnellschuss schrieb Hugo Portisch das Buch Leben mit Trump - ein Weckruf (Ecowin, € 20) zu den Auswirkungen der US-Wahl

Kommentare

Roland Mösl
Roland Mösl melden

Den von Soros bezahlten "Widerstand" gegen Trump findet er also toll?

strizzi1949
strizzi1949 melden

Sie nicht? Wieder so ein geistiger Blindgänger!

strizzi1949
strizzi1949 melden

Sie nicht? Wieder so ein geistiger Blindgänger!

parteilos melden

Wieder einer der glaubt alles zu wissen. Sehr überheblich Andersdenkende als schäbig und feig zu bezeichnen. Warum kann man nicht die Meinung anderer akzeptieren?

Wenn man in einem Villenviertel wohnt, die Kinder auf Privatschulen gehen und nicht mit der UBahn fährt sollte man lieber ruhig sein. Dazu kommt eine fette ORF Pension gegenüber andere Pensionisten mit ASVG Pension!

strizzi1949
strizzi1949 melden

Und was machen Sie? Sie akzeptieren ja auch die Meinung eines Andersdenkenden nicht! Was soll also Ihre Kritik? Im Übrigen, was haben Sie bisher geleistet? Hätten Sie mehr gelernt und einen gut bezahlten Beruf ergriffen, könnten Sie sich vielleicht ein ähnliches Leben leisten! Aber nix können und blöd reden reicht halt nicht für ein besseres Leben!

parteilos melden

Sie verstehen die einfachsten Zeilen nicht, hängt wohl mit ihren IQ zusammen.
Und was ich kann und bin, mein Lieber, da machen sie sich bitte keine Sorgen. Ich habe mein Leben ohne Freunderlwirtschaft des ORF tadellos geschafft.

Meine Kritik bezog sich auf ein Handeln was ihn nicht berühren sollte und nicht auf eine persönliche Meinung.

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