"Der Mensch ist nicht
auf Vernunft eingestellt"

Die Autoritäten im österreichischen Minimundus sind bedenklich rar geworden. Hugo Portisch hat seit Jahrzehnten den Überblick. Wie er die Wege aus der Krise und die Welt nach Trump beurteilt

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Interview - "Der Mensch ist nicht
auf Vernunft eingestellt"
Dr. Hugo Portisch Geboren am 27. Februar 1927 in Bratislava als Sohn eines dort wirkenden Journalisten, begründete er nach Lehrjahren in den USA 1954 mit Hans Dichand den "Kurier". Als dessen Chefredakteur brachte er 1964 mit dem Rundfunk-Volksbegehren den freien ORF auf den Weg. Als ORF-Kommentator und mit den Dokumentationen "Österreich I" und "Österreich II" wurde er selbst zur Person der Zeitgeschichte

Herr Doktor Portisch, wie geht es Ihnen selbst in dieser Zeit? Haben Sie Angst um Ihre Gesundheit?
Nein. Die Konzepte der Regierung zur Bekämpfung der Pandemie sind völlig richtig. Man kann das Virus aushungern, wenn man Distanz hält, einen Mundschutz trägt und sich noch an einige andere einfache Regeln hält. Das setzt allerdings voraus, dass die Menschen die Notwendigkeit dieser Vorkehrungen empfinden. Und dass sie nicht glauben, in dieser Situation politische Kämpfe austragen zu müssen.

Sie geben mir das Stichwort: Vor kurzem las man in den "Salzburger Nachrichten" den Wunsch eines Kommunikationsexperten nach einem Corona-Portisch, der das Nötige auch glaubhaft kommuniziert. Gehe ich recht in der Annahme, dass die Regierung den Corona-Portisch dringend benötigen würde?
Ich weiß nicht, ob ich es besser kommuniziert hätte. Auf die Probe ist es Gott sei Dank nicht angekommen. Nein, die Regierung hat prinzipiell schon richtig reagiert und die richtigen Schlüsse gezogen. Der Fehler war, zu glauben, dass man mit der Vernunft, der Einsicht und der Selbstkritik der Menschen rechnen kann.

»Der Mensch ist auf Vernunft nicht eingestellt«

Und das war ein Fehler?
Ja. Der Mensch ist auf Vernunft nicht eingestellt.

Kann man das denn erwarten, wenn die Regierungsparteien in der Sache ständig streiten?
Den Streit der Regierungsparteien halte ich für überflüssig, weil er selbst von Unvernunft zeugt. Wenn man mit einer so großen Aufgabe konfrontiert wird, muss man sich auf eine Position einigen und diese Position gemeinsam durchziehen. Einen politischen Streit, der nicht heilsam ist, können wir uns in dieser Zeit nicht leisten.

Hat nun die Regierung nur im Frühjahr richtig gehandelt? Hat sie dann versagt, wie ihr jetzt vorgeworfen wird?
Sie hat am Anfang gut gehandelt. Leider sind die Leute später nicht mehr mitgegangen und haben geglaubt, unter dem Vorwand der Corona-Bekämpfung für ganz andere Ziele eintreten zu müssen. Es ging aber nicht um die Wiederbelebung des Klassenkampfs, sondern darum, Verantwortung zu tragen. Aber schon die Tatsache, dass die Maßnahmen als Regierungsbefehle gekommen sind, hat die Menschen aufgeheizt.

Und keineswegs nur Klassenkämpfer, sondern besonders viele Rechtsradikale. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Es war die Gelegenheit, die Unzufriedenheit der Massen und den revolutionären Schwung, der von ihr ausgegangen ist, für eigene Ziele zu missbrauchen.

Wie wird denn nun Österreich diese Krise überstehen? Auch wirtschaftlich?
Die wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung sind doch ganz vernünftig! Die Großverteilung von Geld im Sinne von "koste es, was es wolle" ist eine richtige Maßnahme. Keynes hätte es nicht anders gehandhabt, ausgehend von der These, dass der Staat an sich nicht pleite gehen kann.

»Die Leute kommen schon darauf, was für ein Geschenk es ist, ein normales Leben zu führen«

Haben Sie eine Prognose, wann unser Leben wieder normal werden wird? Oder wird es am Ende nie wieder wie vorher?
Die Tendenz, es wieder so zu machen, wie es war, ist sicher vorhanden. Die Leute kommen schon darauf, was für ein Geschenk es ist, ein normales Leben zu führen. Aber es wird holprig werden. Der Anreiz, den Unmut und die Unzufriedenheit, die diese Dinge auslösen, für ganz andere politische Ziele zu benutzen, ist sehr groß.

Und wie wird nach Corona die Welt aussehen?
Da muss man sich zuerst fragen, was die Welt ist. Die Europäische Union hat korrekt reagiert, leider passiert ihr, was überall auf der Welt passiert: Zwei Möchtegernradikale blockieren für ihre eigenen Ziele die Einstimmigkeit als Mittel der Einheit Europas.

Sie meinen Ungarn und Polen. Wie kann man denn den Zerfall abwehren?
Viel hängt davon ab, wie stark und einfallsreich die europäische Führung ist und wie vernünftig die anderen Staaten sind. Nach meinem Dafürhalten kann man die radikale Wucht, mit der da von Polen und Ungarn vorgegangen wird, nur mit noch radikaleren Mitteln beantworten.

Nämlich?
Die EU zusammenrufen und die beiden echt mit dem Ausschluss bedrohen.

Wien musste Anfang November einen Terrorschlag erleiden. Sie haben damals das rasche und erfolgreiche Eingreifen der Polizei gelobt. Auf der anderen Seite hat aber der Geheimdienst eine Katastrophe vorgelegt.
Das waren schwerwiegende Fehler der Behörden. Wenn man nach Vorliegen bestimmter Informationen sofort kriminalistisch eingegriffen hätte, wäre das Ganze zu verhindern gewesen.

Da stehen wir vor dem religiösen Terror. Wie konnte der wieder so stark werden?
Er kommt noch aus dem Dschihad-Denken und dem Islamischen Staat. Und er tut in einer Krisenzeit noch ganz andere Wirkung als sonst.

»Wir sind da zu rücksichtsvoll und zu nachsichtig und verletzen uns dabei selber.«

Und wie kann man ihn verhindern?
Es bedarf einer anderen Aufrüstung, einer entschiedeneren Bekämpfung radikaler Strömungen.

Wie soll man sich das vorstellen?
Die Frage ist, ob der demokratische Staat in der Lage ist, solche Lager zu infiltrieren, in sie einzudringen und sie von innen her zu sprengen. Wir sind da zu rücksichtsvoll und zu nachsichtig und verletzen uns dabei selber.

Sehen Sie eine grundsätzliche Eskalation des Islams mit dem Westen oder betrifft das nur einige Vertreter dieser Religion?
Das muss man sicher auseinanderhalten. Der radikale Teil der islamischen Bewegung, also der Islamische Staat, geht von dem Grundsatz aus, dass die nicht islamische Welt eine feindliche ist, die man aktiv zu bekämpfen hat und auf die man schießen muss. Das kann man im Islam nicht als allgemein verbreitet ansehen.

Damit sind wir beim ungern scheidenden amerikanischen Präsidenten. Wie sehen Sie denn seinen wahnsinnigen Rückzugskampf?
Er kann nicht verlieren. Er ist der festen Überzeugung, dass sich in einer freien Wahl in Amerika das amerikanische Volk geschlossen hinter ihn stellen muss. Wenn das nicht der Fall ist, muss irgendein Schwindel im Gange sein. Trump ist nicht unwählbar. Trump ist nur wählbar. Eine narzisstische Haltung, die mit seiner ganzen Politik im Einklang steht.

»Trump hat Amerika als Großmacht abgeschafft«

Waren die Trump-Jahre für Amerika tatsächlich so verheerend, wie sie dastehen?
Ja. Die "New York Times" hat geschrieben, dass Amerika in der Situation einer sich selbst liquidierenden Leiche ist. Trump hat vieles in Gang gesetzt, das ruinös war. Er hat Amerika als Großmacht abgeschafft, weil er ihm die Führungsrolle genommen hat. Beziehungen, die Jahrzehnte gehegt und gepflegt wurden, um die westliche Welt zusammenzuhalten, wollte er nicht. Er hat sie wie ein Trampeltier zerstört.

Andererseits lobt man ihn in Israel, für das er viel geleistet habe. Trifft das zu? Er hat ja auch das Atomabkommen mit dem Iran zu Fall gebracht.
Da muss man weiter ausholen. Das Wichtigste am Deal mit dem Iran war, zu verhindern, dass man dort zu einer Atombombe kommt. Der Iran hat auch wirklich mitgespielt und keine Atombombe gebastelt. Aber man baut dort auch an sehr guten, weit fortgeschrittenen Raketensystemen, mit denen Israel jederzeit verheerend angegriffen werden kann. Deshalb war das Atomabkommen tatsächlich unvollständig: Eine Atombombe allein genügt nicht, es hätten unbedingt auch die Trägerraketen einbezogen werden müssen. Trump dachte nun, man müsse den Iran auf den Boden zwingen und dann das alte Abkommen durch ein neues ersetzen, das sowohl die Bombe als auch die Trägerraketen verbietet.

Diesen Überlegungen hat sich der Iran allerdings nicht angeschlossen.
Nein, natürlich nicht. So macht man das auch nicht.

Hat nun Biden die Chance, Amerika great again zu machen, nachdem Trump es verzwergt hat? Es wieder unter die zivilisierten Staaten einzugliedern?
Er wird versuchen, es in seine alte, führende Rolle in der Welt zurückzubringen. Nämlich auf die Bedingungen, wie sie in der Welt sind, einzugehen, statt unter dem "America first"-Gegröle eine unmögliche Politik zu vertreten. Trumps Faszination im eigenen Land beruht wesentlich darauf, dass alles, was Amerika tut, von anderen bezahlt werden muss. Wenn er amerikanische Soldaten von Deutschland nach Polen schickt und die Polen sind darüber als Verbündete glücklich, müssen sie dafür bezahlen. Das entspricht nicht dem Format einer Großmacht, die ihre schützende Hand über ihre Verbündeten hält. Trumps größte Stärke war das Abzocken.

»China hat zweifellos in dieser Zeit seine Chancen genutzt«

Wer war denn nun der Profiteur dieses Vorgehens, insbesondere dieses Krisenjahres? China?
China hat zweifellos in dieser Zeit seine Chancen genutzt, und Trump hat dabei sehr geholfen. Die Chinesen sind wirtschaftlich äußerst aggressiv vorgegangen. Sie haben das erfolgreiche amerikanische Konzept von früher verwirklicht: Wenn man mit genügend Dollar über die Welt drübergeht, kann man sich eine Menge an Einfluss und Zuwendung kaufen. Sie haben Millionen Dollar in die Seidenstraßen-Projekte gesteckt, also in Infrastrukturprojekte mehrerer Kontinente, die den Menschen dort überhaupt nicht zugute gekommen sind, sondern nur strategischen Zielen gedient haben. Man baut Straßen und Eisenbahnen in Afrika und lässt nicht einmal die Bevölkerung mitwirken, die damit etwas Geld verdienen würde. Sondern man bringt Zehntausende chinesische Arbeiter nach Afrika. Wer auf diese Art und Weise Hilfe leistet, ist kein Freund.

Und wie geht es Russland?
Putin kann eine zurückhaltende, aber seinen machtpolitischen Zielen durchaus dienende Politik betreiben, indem er die bestehenden Konflikte für Russland nutzt. Der Islamische Staat war zu liquidieren, aber kein einziger europäischer Staat hat sich gefunden, der zu diesem Angriff bereit war. Die Deutschen, die Franzosen, die Engländer haben Berufsarmeen und haben sie gegen den Islamischen Staat nicht eingesetzt. Die Russen haben es getan und voll und ganz ihre eigene Armee eingesetzt, sowohl Bodentruppen als auch die Luftwaffe, sogar einen Flugzeugträger. Für Putin war das eine großartige Chance, sich im Nahen Osten als die Ordnungsmacht zu etablieren. Aber den Terror hat der Westen.

Das Interview ist ursprünglich in der Printausgabe von News (51-53/2020) erschienen!