Wenn Liebe in Hass umschlägt

Die Geschichte des Polizisten, der Frau und Kind getötet haben soll

Ein Polizist greift im eigenen Schlafzimmer zur Dienstwaffe. Wenig später sind seine schwangere Lebensgefährtin und sein 21 Monate alter Sohn tot. Ein Gewaltverbrechen -aber auch die Geschichte zweier Menschen, die sich fest aneinanderklammerten. So fest, dass ihre Liebe in Hass umschlug

von Mann Pistole © Bild: Shutterstock

An jedem der beiden Eichensärge lehnt ein silbern umrahmtes Foto: Das eine zeigt Claudia, entspannt lächelnd. Auf dem anderen ist ihr Sohn Noah abgebildet, der Knirps im Batman-Kostüm winkt aufgeregt in die Kamera. "Auto" war eines seiner ersten Wörter, deswegen zieren die sprechenden Vehikel aus dem Disney-Animationsfilm "Cars" seine Trauerparte. Geboren am 8. Jänner 2015, wurde Noah 21 Monate alt. Claudia starb mit 25 Jahren. Zum Todeszeitpunkt war sie im sechsten Monat schwanger: Ihr Baby, Noahs kleiner Bruder, hätte den Namen Louis tragen sollen.

Es war am 7. Oktober am späten Vormittag, als Polizisten die sterblichen Überreste von Claudia und Noah auf einem verwilderten Grundstück am Stadtrand von Trofaiach fanden: die junge Frau in einem braunen Reisekoffer, das Kleinkind in einer zerknitterten Sporttasche. Ein Polizist war es auch, der die beiden verzurrten Gepäckstücke zuvor in seinem privaten Renault Clio dorthin verfrachtet hatte. "Killer-Cop" nennt ihn die Boulevardpresse seither. Eigentlich heißt er Daniel, ist 23 Jahre alt und versah seinen Dienst als Inspektor in einem Wiener Wachzimmer. Daniel war Claudias Lebensgefährte und Noahs Vater. Auch der Vater von Louis wäre er in etwa drei Monaten geworden. Doch nun ist seine Familie tot. Und Daniel steht unter dringendem Mordverdacht.

"Plötzlich habe ich eine große Wut und einen Hass empfunden, ich sah keinen Ausweg mehr und griff zu meiner Dienstwaffe", gab Daniel im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung zu Protokoll. "Dann ist mir gekommen, dass ich jetzt ein Mörder bin", sagte er eine Woche nach seiner mutmaßlichen Tat. "Warum kann man so etwas Schreckliches machen?", fragte er sich selbst. Eine Frage, die sich in diesen Tagen fast das ganze Land stellt: Ja, warum nur?

In den sozialen Medien schlägt der Familie der Mordopfer eine Woge der Anteilnahme entgegen. Selbst Popsängerin Christina Stürmer, deren Fan Claudia war, meldete sich in einer Grußbotschaft an die Hinterbliebenen zu Wort: "Die Schwester der Toten hat mich gebeten, einige Worte zu finden. Aber was sagt man Menschen, die einen so unglaublichen Schicksalsschlag ertragen müssen?"

Iris Augendoppler ist Daniels Anwältin, seit dessen Einlieferung in die Justizanstalt Josefstadt ist Augendoppler seine wichtigste Bezugsperson. Ein halbes Dutzend Male hat sie ihren Mandanten bereits in der U-Haft besucht. "Er wirkt gebrochen", sagt sie. Wenn er spreche, dann stockend und leise, immer wieder breche er in Tränen aus. "Für das, was er eingestanden hat, gibt es keine Entschuldigung, und das weiß er." Was es aber sehr wohl gebe, seien Erklärungsansätze.

Szenen einer tristen Kindheit

Wer ist dieser Daniel, über dessen Verhalten derzeit ganz Österreich rätselt, aus welchen Verhältnissen stammt er, und was hat ihn entscheidend geprägt? Vor allem aber: Wie konnte die anfangs durchaus harmonische Beziehung zwischen Claudia und ihm so fatal kippen?

Als die beiden einander im Jänner 2014 über ein Datingportal kennenlernten und sich knapp drei Monate später zu einer festen Beziehung entschlossen, war Daniel 22 Jahre alt und Claudia 24. Sie hatte zuvor schon mehrere Freunde gehabt, den ersten mit 15, er war elf Jahre älter. Für Daniel hingegen war Claudia die erste fixe Partnerin. "Einmal hat er erzählt, dass es bei ihm zu Hause sehr schlimm wäre", erzählt Claudias Mutter bei ihrer polizeilichen Einvernahme. "Er meinte, dass wir uns nicht vorstellen können, wie es dort zugehen würde."

Im obersteirischen Trofaiach als ältestes von drei Geschwistern aufgewachsen, litt Daniel von klein auf unter der Trennung der Eltern: Als er acht war, ließen sie sich scheiden; die Mutter heiratete kurze Zeit später erneut, Daniels Vater nahm sich das Leben, als sein Sohn sechzehn war. "Er hing sehr an seinem leiblichen Vater", erinnert sich Daniels Stiefvater. Daniel sei eigentlich stets ein sehr umgängliches Kind gewesen, doch der leibliche Vater habe ihn immer wieder enttäuscht, etwa, indem er Daniel nicht zum vereinbarten Zeitpunkt abgeholt habe oder betrunken erschienen sei. "Das hat Daniel sehr getroffen", ist der Stiefvater überzeugt. Dennoch sei der Teenager stets umgänglich gewesen. "Er hat nie über den Tod seines Vaters gesprochen, er hat sich nie geöffnet", sagt Daniels Patentante. Zwar habe er ab und zu geweint, aber nie über Probleme gesprochen.

Daniel besuchte erst die Hauptschule, dann die Handelsakademie in Eisenerz, er hatte stets gute Noten, bestand die Matura, leistete seinen Präsenzdienst ab. Danach absolvierte er die Eignungsprüfung bei der Wiener Polizei, doch bis zu seiner Aufnahme verging ein Jahr, in dem Daniel für eine Leihfirma jobbte und für verschiedene Hilfsarbeiten verleast wurde. "Er war sich für nichts zu schade", sagt der Stiefvater. Anfang 2014 schließlich nahm ihn die Exekutive auf, und Daniel besuchte fortan die Polizeischule in Krumpendorf am Wörthersee. Später einmal Karriere bei der Polizei in Wien zu machen, das sei von Anfang an sein großes Ziel gewesen, erzählt er seiner Anwältin.

In diesen Tagen der ersten beruflichen Selbstbestätigung und der endgültigen Abnabelung von zu Hause lernte Daniel dann Claudia kennen. Sie wohnte noch bei ihren Eltern, in einer kleinen Marktgemeinde im Umland von Klagenfurt, 25 Kilometer von Krumpendorf entfernt. Doch auch sie hatte bereits schwierige Jahre hinter sich. "Die Claudia war ein normales Kind, bis zur dritten Klasse Volksschule", blickt die Mutter zurück. Doch dann habe sie sich verändert, Probleme mit den Lehrern bekommen, sich immer ungerecht behandelt gefühlt. Während der Hauptschuljahre habe sie dann an einer Nierenkrankheit gelitten, fehlte oft, erhielt schlechte Noten und war dem Spott der Mitschüler ausgesetzt.

Danach, erzählt die Mutter, habe sich Claudia zur Bürokauffrau ausbilden lassen wollen, später zur Masseurin, doch beide Versuche scheiterten. Die Eltern waren ratlos, mit 17 zog Claudia in eine betreute Wohngemeinschaft, doch nach drei Monaten kehrte sie nach Hause zurück. "Die Betreuer wollten keine Verantwortung mehr für sie übernehmen, da sie einmal gesagt hat, dass sie aus dem Fenster springen werde", sagt die Mutter aus.

Zwei Außenseiter im Glück

Seit 20. März 2014 waren Daniel und Claudia offiziell ein Paar. Und noch im selben Frühjahr bezogen sie eine gemeinsame Wohnung im Obergeschoß von Claudias Elternhaus. Beide wussten sie bereits um die düsteren Seiten des Lebens, doch beide waren sie wild entschlossen, es gemeinsam aufzuhellen. Claudia und Daniel, das waren zwei Außenseiter, die einander als Chance begriffen, vielleicht als letzte, das Leben in bürgerlich-geregelte Bahnen zu lenken. "Als Daniel mir Claudia vorgestellt hat, war alles normal", erinnert sich Daniels Patentante. "Beide waren glücklich und verliebt."

Oft umarmten die beiden einander. Oder umklammerten sie einander bereits, nahmen sie schon voneinander Besitz? Wann wurde aus ihrer Verbissenheit, das perfekte Paar abzugeben, jene mörderische Verbitterung, die Daniel daheim zur geladenen Dienstwaffe greifen ließ?

Noch war nach außen hin alles gut, sehr gut sogar. Im Jänner 2015 wurde Söhnchen Noah geboren. Zweifel an Daniels Vaterschaft, geschürt durch dessen Familie, verloren rasch an Bedeutung. Denn Daniel, der Polizist in Ausbildung, ging in seiner neuen Rolle auf, wickelte, fütterte, wärmte Fläschchen. Endlich war da diese Ahnung von Nestwärme, die er während der eigenen Kindheit vermisst hatte. Aber vor allem Claudia, die den Buben rund um die Uhr umsorgte, wuchs an ihrer Verantwortung. "Ich weiß sehr wohl, was für einen tollen Jungen ich auf die Welt gesetzt habe", schrieb sie in einer Whatsapp-Nachricht an ihre Mutter und schmückte ihre Worte mit einem Herzsymbol. "Ihr wisst ja gar nicht, was für einen Goldschatz ihr bekommen habt, der bringt so viel Liebe und Heiterkeit ins Leben, weil er sooo herzig ist", antwortete die Mutter.

Doch im Oktober 2015 begann für Claudia und Daniel, die stolzen Eltern, ein völlig neuer Lebensabschnitt. Nach seiner Grundausbildung wurde der angehende Inspektor - wie er es sich von Anfang an gewünscht hatte -nach Wien versetzt. Das Paar, bisher nur geruhsame Dörfer und ländlich geprägte Städtchen gewohnt, übersiedelte mit Kleinkind Noah in die unpersönliche Metropole. Wo gestern noch Nachbarn waren, die leutselig über den Gartenzaun grüßten, war nun die Anonymität der Großstadt -und eine knapp 70 Quadratmeter große Wohnung im dritten Stock eines Gemeindebaus als neues Zuhause. "Schon der Umzug war problematisch, da der Vormieter nicht fristgerecht ausgezogen ist", sagt Claudias Mutter.

Für ihre Tochter begann nun ein eintöniges Leben hinter schmutzig-grauen Fassaden. Da war kaum wer, den sie gut kannte, und ein paar andere junge Mütter, mit denen sie sich am Spielplatz lose anfreundete, waren ihr einziger Kontakt. Claudia suchte in ihrer Kärntner Welt von gestern Zuflucht, täglich telefonierte, chattete oder skypte sie mehrmals mit ihrer Mutter. Claudia vereinsamte, während Daniel all seine Kraft verbrauchte, um sich beruflich zu akklimatisieren. Wenn er zu Hause war, schlief er, wenn er wach war, arbeitete er.

Sie warf ihm vor, sich zu wenig um sie und den Kleinen zu kümmern, er zog sich immer weiter zurück, redete kaum noch und blieb immer länger fort, auch nach Dienstschluss. Einmal, als er freihatte, tauchte er einen ganzen Tag lang unter, drehte sein Handy ab. Claudia machte sich Sorgen, schrieb ihm unzählige Nachrichten, rief in seiner Dienststelle an. Abends tauchte Daniel dann auf, so, als ob nichts gewesen wäre. In seiner Vernehmung sagt er, er habe sich einfach einmal "Auszeit vom Stress zu Hause" nehmen müssen.

Etwa 1900 Euro netto verdiente er, dazu bekam Claudia noch Karenzgeld, große Sprünge waren da nicht möglich. "Sie sagte, dass ich einen Scheißberuf habe, ich hätte etwas Gescheites lernen sollen", gibt Daniel bei seiner Einvernahme an.

Ein Kind der Hoffnung

Diese jungen Leute, die gekommen waren, um Wien zu erobern, waren beide desillusioniert. Von ihrem neuen Leben, das sich eigentlich so hoffnungsvoll angelassen hatte. Und voneinander. Beide wurden immer dünnhäutiger, sie reagierte auf die wechselseitigen Kränkungen und Unterstellungen immer gereizter, er zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Schließlich wurde Claudia erneut schwanger, und beide hofften, dass die Familie durch ein zweites Kind, das sie "Bauchzwergi" nannten, wieder enger zusammenwächst.

Doch die Situation war bereits zu verfahren. Es kam zu ersten Handgreiflichkeiten: Claudia behauptete gegenüber einer Freundin, er habe sie gewürgt. Daniel behauptete gegenüber einer Bekannten, sie habe ihm das T-Shirt zerrissen. Bei der Polizei sagt Daniel aus, dass sie "krankhaft eifersüchtig" gewesen sei, ihn mit den Fäusten auf den Hinterkopf geschlagen habe, ihm sein Geld weggenommen habe.

"Er hat Stimmungsschwankungen", schrieb Claudia ihrer Mutter am Abend des 29. September 2016 per Whatsapp. Dann erzählte sie ihr von einer Axt und Müllbeuteln, die Daniel Stunden zuvor in einem Heimwerkermarkt gekauft und unterm Doppelbett versteckt hatte. Angeblich ein Geburtstagsgeschenk für einen Cousin, wird Daniel nach seiner Verhaftung aussagen. Doch Claudia plagten schwere Zweifel. "Er hat am ganzen Körper gezittert, das ist doch nicht normal", schrieb sie der Mutter. Und die antwortete: "Daniel muss dringend zum Arzt." Tags darauf riet sie der Tochter: "Wenn er wieder zu zittern anfängt, ruf bitte den Notarzt, weil es kommt heute oder morgen wieder, du musst an dich und an eure Kinder denken, bitte." Und wieder antwortete die Tochter: "Er hat Angst, dass er seinen Job verliert, es ist nicht so einfach als Polizist."

Einen Tag später, am 2. Oktober 2016 gegen 13 Uhr, kam es wieder zu Streitigkeiten. "Da sagte ich ihr, dass ich mich endgültig von ihr trennen werde", erklärt Daniel im Verhör. Claudia hätte ihm daraufhin damit gedroht, dass er Noah nicht mehr sehen werde. "Ich habe mich entschlossen, einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen", sagt Daniel der Kripo.

Ausflug in den Familienpark

Nun ging alles ganz schnell: Daniel griff laut Protokoll ins oberste Fach des Kleiderkastens. Hinter dem Gewand lag eine Glock 17, seine Dienstwaffe. "Sie ist immer geladen", sagt er. Dann soll er abgedrückt haben. Claudia lag am Bettrand. Ein Projektil drang in ihren Kopf ein. Danach soll Daniel einen Gürtel ergriffen und eine Schlinge um Claudias Hals gezogen haben. Als sie tot war, überzog er sie mit einem Müllsack und dichtete ihn mit Klebeband ab. Die Leiche versteckte er im Keller.

Es war bereits Nachmittag, als sich Daniel mit einer Bekannten verabredete, einer 29-jährigen Kellnerin, die zwei Kinder hat. War Claudias Eifersucht doch begründet? "Wir hatten eine offene Beziehung", wird Daniels Bekannte später aussagen. Sie glaubte, Daniel hätte sich von Claudia getrennt. Gemeinsam besuchte man den Wiener Freizeitpark "Family Fun", die Frau mit ihren Kindern, Daniel mit Noah. Daniel lud sie für den kommenden Tag, den 3. Oktober, in seine Wohnung ein. "Claudia wird nicht mehr da sein", sagte er laut ihren Angaben. Sie besuchte ihn in der Früh, befand, die Wohnung sei "weiblich eingerichtet". Als sie wieder weg war, beschlichen Daniel "Angst und Mitleid":"Ich dachte, wie wird mein Sohn aufwachsen, ohne Mama? Ich hatte solche Wut auf mich selber", sagt Daniel. Um neun Uhr soll er Noah am Hals gepackt und zugedrückt haben.

Daniel meldete sich krank, einen Tag später, am 4. Oktober, erstattete er Anzeige: Seine Partnerin und das Kind seien verschwunden, behauptete er. Doch Blutspuren im Stiegenhaus brachten die Ermittlungen ins Rollen. Am 5. Oktober machte sich Daniel in seinem Renault auf nach Trofaiach zu seiner Familie. Im Kofferraum befanden sich ein brauner Koffer und eine zerknitterte Sporttasche. Als die Polizisten zwei Tage später die beiden Gepäckstücke öffneten, prallten sie entsetzt zurück.

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