"Skandalöses Vorgehen"
der Polizei bei Wiener Derby

Über 1.000 Anhänger wurden stundenlang festgehalten

Das historische 6:1 im Wiener Fußball-Derby zwischen Austria und Rapid hatte am Sonntag einen unrühmlichen Nebenschauplatz. Denn 1.338 Rapid-Anhänger wurden von der Polizei stundenlang zu Identitätsfeststellungen vor dem Stadion angehalten - ein Vorgehen, das der Polizei nun Kritik einbringt. Rapid prangerte mangelnde Verhältnismäßigkeit an und sprach von einem "skandalösen Vorgehen".

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Aufreger - "Skandalöses Vorgehen"
der Polizei bei Wiener Derby

Auslöser für das Vorgehen war laut Polizei, die rund um das Match mit 550 Beamten im Einsatz war, die zehnminütige Sperre der Wiener Südosttangente (A23) im Vorfeld des Derbys. Laut Angaben der Exekutive hatten bereits als Risiko-Fans bekannte Männer pyrotechnische Gegenstände, Getränkedosen und Schneebälle auf die meistbefahrene Autobahn Österreichs geworfen, die unmittelbar an der Generali Arena der Austria vorbeiführt. Die Polizei überprüfte daraufhin die Identität von 1.338 Personen, die am Rapid-Fanmarsch hin zum Stadion teilgenommen hatten.

Siebenstündiger Einsatz

Einige Quellen, unter anderem die "Rechtshilfe Rapid", die sich als "Solidargemeinschaft von Fans für Fans des SK Rapid" bezeichnet, berichteten, dass die Amtshandlungen erst um kurz vor 22 Uhr - und damit knapp sieben Stunden nach Beginn der Einkesselung - abgeschlossen worden waren. Erst dann konnten die Fußballfans nach Hause gehen.

Rapid-Präsident mit scharfer Kritik

Rapid-Präsident Michael Krammer übte am Montag scharfe Kritik am Vorgehen. "Ich habe als ehemaliger Offizier des Bundesheers großes Verständnis für rechtsstaatliche Prinzipien. Was ich am Sonntagabend erlebt habe, hätte ich aber im Rechtsstaat Österreich nicht für möglich gehalten", wurde Krammer in einer Aussendung des Clubs am Montagvormittag zitiert. "Hier war keinerlei Verhältnismäßigkeit gegeben, Menschen über Stunden bei Minusgraden einer solchen Situation auszusetzen, halte ich für skandalös."

Keine groben Zwischenfälle

Laut Polizei sei der Einsatz ohne gröbere Zwischenfälle abgelaufen. Es mussten "lediglich drei Personen von der Rettung abtransportiert werden". Laut Rechtshilfe Rapid wurde der zur medizinischen Versorgung zwischenzeitlich angerückte Katastrophenzug des Roten Kreuzes aber unverrichteter Dinge wieder weggeschickt. "Die Polizei verweigert eine medizinische Versorgung", heißt es in einem diesbezüglichen Tweet. Dies deckt sich mit Club-Angaben. "Den perlustrierten Personen, darunter auch Kinder, Frauen und ein Mädchen, das aufgrund einer Diabetes-Erkrankung insulinpflichtig ist, mussten ohne Versorgung (Getränke oder Essen) und ohne Möglichkeit sanitäre Anlagen aufzusuchen, dort verharren."

Zwei Anzeigen

Der Einsatz endete mit zwei Anzeigen. Laut Polizei gab es eine Anzeige wegen vorsätzlicher Gemeingefährdung und eine verwaltungsrechtliche Festnahme. Zahlreiche pyrotechnische Gegenstände, darunter "eine Rauchgranate polnischen Fabrikats" seien sichergestellt worden. Krammer: "Egal ob ein Gegenstand oder mehrere, so eine Aktion ist natürlich ohne Wenn und Aber zu verurteilen."

Geplante Retourkutsche

In Fankreisen und in den sozialen Netzwerken wurde über eine geplante Retourkutsche der Polizei auf eine Anti-Polizei-Choreografie gemutmaßt. Vor dem Anpfiff des Europa-League-Spiels am vergangenen Donnerstag - dem 13.12. - hatte die organisierte Fanszene tribünenübergreifend in großen, grünen Lettern den Schriftzug "1312" präsentiert. Ein Code für die Abkürzung "ACAB", die für die Beschimpfung "All Cops Are Bastards" steht. Die Justiz stellte am Montag gegenüber der APA klar, dass der Einsatz nicht von ihr angeordnet worden sei.

"Gewalt hat auch beim Fußball nichts verloren"

Wiens Landespräsident Gerhard Pürstl hatte sich noch am späten Sonntagabend in einer Aussendung zu Wort gemeldet. "Gewalt hat auch beim Fußball nichts verloren. Die Wiener Polizei ist dieser entschieden entgegengetreten", wurde Pürstl zitiert. Er wünscht sich nun, dass der Verein "gegen alle gewaltbereiten Fans, soweit sie ihm bekannt sind, konsequent, auch mit Stadionverboten, vorgeht".

Generalverdacht angeprangert

Krammer prangerte den Generalverdacht gegenüber über 1.300 Personen an. "Ich stimme dem Landespolizeipräsidenten absolut zu, dass Gewalt auch im Fußball nichts verloren hat. Daher sollten jene zur Verantwortung gezogen werden, die sich in diesem Zusammenhang strafbar machen, aber nicht über 1.300 Personen unter Generalverdacht gestellt und über Stunden unter menschenunwürdigen Umständen festgehalten werden."

Polizei veröffentlicht Klarstellung

Die Landespolizeidirektion Wien hat nach Kritik an ihrem Vorgehen am Rande des Wiener Fußball-Derby am Montagnachmittag nun Teile des chronologischen Einsatzprotokolls und Auszüge aus polizeilichen Videoaufnahmen veröffentlicht. Videos und Protokoll wurden auch auf dem Twitter-Account publiziert.

Einsatz verbotener Gegenstände

Unter anderem geht aus dem Protokoll hervor, dass es bereits um 12.30 Uhr, also viereinhalb Stunden vor dem Spielbeginn, zum Einsatz verbotener pyrotechnischer Gegenstände kam, nämlich beim Marsch zum Bahnhof Hütteldorf und schließlich im Bahnhofsareal. Selbiges geschah laut Angaben der Exekutive auch beim Umstieg am Karlsplatz und setzte sich bei der U-Bahn-Station Reumannplatz und beim anschließenden Abmarsch der Fans in Richtung Generali-Arena fort. Die Polizei vermerkte zudem, dass es gegenüber dem Fanblock "keinerlei polizeiliche Anweisungen gab", auf der Brücke der Süd-Ost-Tangente (A23) stehen zu bleiben, was laut den Angaben gegen 15.00 Uhr der Fall war. Die Autobahn sei dann beworfen worden, "die Behauptung einer Sperre der Autobahn vor dem Bewurf ist - wie in den gesicherten Videos ersichtlich - falsch", hieß es weiter.

Anhaltung kurz nach 15.00 Uhr

Die Landespolizeidirektion äußerte sich zu den Vorwürfen, dass Kinder, Familien und gebrechliche Personen stundenlang festgehalten wurden, und hielt in diesem Zusammenhang fest, dass es kurz nach 15.00 Uhr zu einer Anhaltung von über 1.000 Personen kam. Etwa 40 Minuten darauf erfolgte eine Durchsage per Lautsprecherwagen, bei der die Anwesenden über das weitere Vorgehen seitens der Exekutive informiert worden wären, nämlich eine Identitätsfeststellung und anschließende Wegweisung aus dem Sicherheitsbereich. "Dies hat erneut polizeifeindliche Parolen zufolge. Anwesende führende Fangruppierungen schließen ein Mitwirken für sich und alle anderen Anwesenden aus, weshalb anfänglich nur sehr wenige Personen den Bereich verlassen wollen", hieß es in dem Protokoll.

Fans wollten sich nicht ausweisen

Auch erneuten Aufrufen zur Mitwirkung wäre nicht nachgekommen worden, jedoch habe sich ein großer Teil der Fans geweigert, sich auszuweisen. Bei diesen Durchsagen sei auch darauf hingewiesen worden, dass Frauen, Kinder sowie gebrechliche Personen "vortreten mögen und bevorzugt behandelt werden". Um 21.55 Uhr - und damit fast sieben Stunden nach der Anhaltung - erfolgte dann schließlich die letzte Identitätsfeststellung, insgesamt wurden 1.338 Personen kontrolliert und erfasst.

Rapid bekräftigte Polizei-Kritik

Der SK Rapid hat seine Kritik am Einsatz der Polizei beim Wiener Fußball-Derby am Montagabend bekräftigt. "Hier wurden, aus welchen Motiven auch immer, Leute ihrer Freiheit beraubt und zwar wurden sie stundenlang in einer völlig unangemessenen und jegliche Verhältnismäßigkeit mit Füßen tretenden Art und Weise in einem Kessel festgehalten", sagte Rapids Vizepräsident Nikolaus Rosenauer.

»Es gab keine Chance auf irgendeine Art der menschenwürdigen Behandlung«

Rapid-Präsident Michael Krammer, der sich laut Eigenaussage von 18:30 Uhr bis zum Ende der Identitätsfeststellung um kurz vor 22:00 Uhr selbst ein Bild vom Einsatz entlang der Südosttangente vor der Generali Arena machte, sprach von einer "absurden" Situation. "Es gab keine Chance auf irgendeine Art der menschenwürdigen Behandlung", erklärte Krammer, der sich bei der Pressekonferenz "nicht als Rapid-Präsident, sondern als Staatsbürger" äußern wollte. "Aus meiner Sicht: Das war nicht spontan, das war geplant. Der Einsatz war nicht verhältnismäßig."

"Polizeistaatliche Maßnahmen"

Die mittlerweile durch Videoaufnahmen belegten (Schneeball)-Würfe durch Rapid-Anhänger auf die Südosttangente verurteilte die Vereinsführung. Jene waren laut Polizei der Auslöser für die folgenden - knapp sieben Stunden andauernden - Identitätsfeststellungen von 1.338 Personen gewesen. Ein solcher Werfer sei "kein Rapidler, das ist ein Krimineller, der Rapid missbraucht und für sich vereinnahmt", erklärte Rosenauer. Der (hauptberufliche) Anwalt hatte für das Folgende aber keinerlei Verständnis. "Den Rest unter Generalverdacht zu stellen, das sind für mich polizeistaatliche Maßnahmen. Insgesamt wenn dies ohne jegliche Genehmigung durch die Justiz erfolgt."

Die Funktionäre prangerten zudem die Wahl der Streckenführung des Fanmarsches an. Diese erfolge durch die Polizei. "Warum wählt man von Behördenseite so einen Weg zum Stadion über die meistbefahrene Straße Österreichs?", fragte Krammer. Der Weg über die Brücke sei zudem unzureichend gesichert gewesen.

Auf die Frage, ob eine kurz- bis mittelfristige Entspannung im Verhältnis Rapid-Rapidfans-Polizei überhaupt möglich sei, entgegnete Krammer nur: "Mir geht es darum, dass das rechtsstaatliche Prinzip funktioniert. Darum werden wir uns kümmern und wir gehen auch davon aus, dass sich die Behörden darum kümmern."