Kommt eine neue
Protest-Generation?

Weg vom Klickaktivismus und raus auf die Straße.

Jugendliche gelten als politikverdrossen. Der Mythos der unreflektierten Jugend, die politisch nicht weiter als zu einem Like auf Facebook kommt, ist weit verbreitet. Doch ganz so stimmt es nicht. Studien zeigen, dass das politische Interesse in den vergangen 10 Jahren deutlich gestiegen ist. Der "March of Our Lives" in den USA und der "Tag-X-Schülerstreik" in Wien haben gezeigt: Die Jugend geht wieder auf die Straße.

von Demonstration © Bild: shutterstock

Es war einer der größten Jugendproteste seit dem Vietnamkrieg. Über 1,2 Millionen Menschen gingen Ende März in den USA auf die Straße, um nach dem Schulmassaker von Parkland, bei dem 17 Menschen starben, für strengere Waffengesetze zu demonstrieren. Unter dem Motto "March for Our Lives" wurde an 450 verschiedenen Orten protestiert. Der große Zulauf der Demonstration kann vor allem engagierten Schülern und Schülerinnen zugeschrieben werden. Die Jugendlichen wagten unmittelbar nach der Tragödie den Schritt vor die zahlreichen TV-Kameras und zeigten sich stark auf Social Media. Das hartnäckige Auftreten weniger führte zu einer Demonstration von Menschenmassen.

Auch in Wien gingen in der jüngsten Vergangenheit Schüler auf die Straße. Nicht in der Größenordnung wie in den USA, aber durchaus auffällig viele. Bei der schwarz-blauen Regierungsangelobung im Dezember riefen politische Jugendorganisationen zum Schulstreik auf und wurden von der Gewerkschaftsjugend unterstützt. Das Bild der demonstrierenden Jugendlichen passt nicht zum Bild einer desinteressierten Jugend.

»Wenn man Probleme mit dem Auto hat, geht man ja auch zum Mechaniker. Warum spricht man nicht mit den Schülern, wenn man über Bildungspolitik diskutiert?«

Jugend fühlt sich in Politik nicht repräsentiert

Jasmin Chalendi ist Bundesvorsitzende der SPÖ-nahen "Aktion kritischer Schüler_innen" und überzeugt davon, dass Jugendliche sich für gesellschaftliche Themen interessieren: "Ich sehe jeden Tag, dass junge Menschen Lust auf Politik haben, allerdings werden viele davon abgeschreckt, dass die meisten Politiker 50 plus sind". Als Chalendi vor wenigen Jahren in der Landesschülervertretung aktiv wurde, merkte sie schnell, dass sie von den "vielen alten Männern" als junge Frau oft nicht ernst genommen wurde.

Junge Menschen sind in der Politik nicht nur wenig als Repräsentanten vertreten, ihre Anliegen finden auch häufig keine Beachtung. Warum Jugendliche nicht verstärkt in den politischen Entscheidungsprozess einbezogen werden ist für die Jungpolitikerin unverständlich: "Wenn man Probleme mit dem Auto hat, geht man ja auch zum Mechaniker. Warum spricht man nicht mit den Schülern, wenn man über Bildungspolitik diskutiert?"

»Bei jungen Menschen bleibt überall dort, wo sie das Gefühl haben, nicht wirklich etwas bewegen oder verändern zu können, die Begeisterung mitzumachen aus«

"Bei jungen Menschen bleibt überall dort, wo sie das Gefühl haben, nicht wirklich etwas bewegen oder verändern zu können, die Begeisterung mitzumachen aus", erläutert die wissenschaftlich Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung Beate Großegger. Laut einer Studie der Universität Wien, die im Auftrag des Parlaments durchgeführt wurde, bezeichneten sich 2013 nur 25 Prozent der Erstwähler als sehr politisch interessiert, 2017 stieg die Zahl auf 60 Prozent an. Lässt sich aus dem gestiegenen Interesse also schlussfolgern, dass Jugendliche durchaus das Gefühl haben etwas bewegen zu können?

"Für Österreich muss man sagen, dass Jugendliche, auch wenn sie sich vom politischen System nicht ausreichend vertreten fühlen und zurecht den Eindruck haben, dass ältere Wählergruppen die Wahlen entscheiden, sehr oft trotzdem zur Wahl gehen und dann das aus ihrer Sicht 'kleinste Übel' wählen", erläutert die Wissenschaftlerin. Frage man dann danach, warum sie trotzdem an Wahlen teilnehmen, sei die Antwort "Wählen ist eben eine Staatsbürgerpflicht".

Ist der Klickaktivismus vorbei?

Jugendliche fühlen sich also häufig nicht angemessen verstreten, gehen aber trotzdem – oder vielleicht auch genau deshalb – wählen und demonstrieren. Ein wichtiger Ort für Protest befindet sich allerdings online. Klickaktivismus, also die politische Beteiligung über Klicks in sozialen Netzwerken, wird häufig als bequeme Art des Protests gesehen. "Politische Statements in sozialen Netzwerken teilen, Online-Petitionen unterzeichnen oder eine politische Institution auf Facebook liken – der persönliche Aufwand für diese Formen der politischen Artikulation ist gering", so Großegger. Klickaktivismus wird von seinen Kritikern häufig als unreflektiert angesehen. Eine Petition sei online schließlich schnell unterschrieben, nachhaltig etwas politisch verändern könne man hier nicht. Gutes Gewissen per Mausklick also.

Doch auch wenn politischer Aktivismus im Netz häufig als oberflächlich abgetan wird, kann Chalendi der Sache einiges Gutes abgewinnen: "Über Social Media sehen wir, dass andere Personen Dinge in die Hand nehmen. Dies trägt zum Bewusstsein für die Sache bei und kann Menschen politisieren." Gerade die Jugendlichen, die in den USA für strengere Waffengesetze kämpfen, sind ein Beispiel dafür, wie Onlinekommunikation eine Bewegung vorantreiben kann. Informationen werden schnell verbreitet und somit Menschenmassen leicht mobilisiert. "In den Lebenswelten der digitalen Jugendlichen, geht es nicht um entweder online oder offline, sondern Online- und Offline-Aktivitäten fließen ineinander", ist auch Großegger überzeugt.

Trend zu schnell abflachendem Protest

Die Geschichte der Schüler und Studenten, die gesellschaftliche Missstände durch Proteste angeprangerten, ist lang. Seit der legendären 1968er Bewegung hat sich allerdings einiges verändert. "Protest, der weltanschaulich verankert ist und mit klarer politischer Programmatik vorgetragen wird, findet man heute nur noch selten", erläutert die Jugendforscherin. "Protestbewegungen, die fernab von weltanschaulichen Grundsatzdebatten Probleme aus dem Alltag der Menschen aufgreifen und darauf hinweisen, dass sich die Politik zu wenig um deren Lösung kümmert, markieren hingegen den Trend." Hierfür steht der Protest für strengere Waffengesetze in den USA genauso wie eine Demonstration gegen die aktuelle Regierung in Österreich.

Großegger sieht zudem eine Tendenz dazu, dass Proteste derzeit zwar schnell aufkeimen, aber genauso schnell wieder abflachen. Dies hat auch damit zu tun, dass junge Menschen schlichtweg wenig Zeit dafür haben. "Die breite Mehrheit junger Menschen fühlt sich in Ausbildung und Beruf so sehr gefordert, das für intensiveres politisches Engagement weder Zeit noch Energie bleibt". Und somit bleibt abzuwarten, ob die aktuellen Proteste nur ein kurzes Aufflammen waren oder zu einer anhaltenden Bewegung werden.