Unsere gezeichnete Welt:
Krisen und Konflikte in Comics

Abseits von Mickey Mouse und Co.: Politische Comics im Jahr 2016

Flüchtlinge, Kriege, politische Auseinandersetzungen: Krisenherde gibt es überall. Nachrichten bilden diese tagtäglich in ihren diversen Ausprägungen ab und dabei ist es schwer, dauerhaftes Interesse zu bewahren und nicht abzustumpfen. Ein Medium, das es hingegen vermag, auch komplexe politische Themen emotional näher zu bringen, ist der Comic. Die Erzählform kann dabei von Reportage über Satire bis zu fiktiven Superhelden reichen. Ein Überblick über die aktuelle politische Comic-Landschaft zeigt jedoch: Es könnte durchaus mehr davon geben.

von Comic Culture Clash © Bild: Comic Culture Clash

Menschen einen emotionalen Zugang zu schwierigen Themen zu verschaffen: Das ist die Stärke von Comics, denn "ein Comic muss nicht immer nur an den Fakten kleben. Eine Comic-Erzählung darf subjektiv und emotional sein", wie der Augsburger Grafik-Design-Professor und Comic-Experte Mike Loos erklärt. Außerdem "muss der Zeichner notgedrungen vereinfachen und Schwerpunkte herausarbeiten."

"Tatsächlich gelingt es Comics, Menschen an Themen heranzuführen, um die diese ansonsten einen großen Bogen machen“, so auch der Münchner Kommunikationswissenschafter Ralf Palandt, denn "die Kombination von Bild und Text ermöglicht eine größere Sinnlichkeit."
Als bahnbrechendes Werk in Sachen in Sachen politischer Comic wird zumeist Art Spiegelman und seine „Maus“ angegeben, der Holocaust in Comicform aus dem Jahr 1986. Einer der ersten Comics, die nicht nur der Unterhaltung dienten. Das ist inzwischen jedoch 30 Jahre her. Was hat der Graphic-Novel-Markt zu aktuellen Themen im Angebot?

In 20 Konflikten um die Welt

Comic Culture Clash
© comic culture clash

Gerade erst erschienen ist ein thematischer Rundumschlag in Sachen Krisen der Welt. „Comic Culture Clash“ nennt sich das Projekt der Berliner Comicmagazine Moga Mobo und Epiderpmopyhtie, das eine Liste von 20 Konflikten behandelt. Die zahlreich an dem Projekt teilgenommenen Künstler und Zeichner wurden vorab in „Konfliktpaare“ unterteilt und mussten zugeteilte Konfrontation auf dem Zeichenbrett austragen. Die Konfrontationsthemen wurden dabei vorgegeben und reichen thematisch von „Russland-Ukraine“ über „Israel-Palästina“ bis zu „Festung Europa-Wirtschaftsflüchtlinge“ oder „Nationale Identität-Europäische Vereinigung“. Als Ziel der Übung sollten sich die Zeichner mit der eigenen, zugeteilten, Position zu beschäftigen, um dann einen Schritt zurück zu treten und den Blickwinkel zu ändern. Die Ergebnisse dieser zeichnerischen Konflikte sind nun Ende September in einem 264-Seiten starken Buch erschienen, das oben drauf gratis (nur gegen Portokosten) bestellt werden kann.

Comic Culture Clash
© Comic Culture Clash Aus dem "Comic Culture Clash"

Gezeichnete Kriegsreportage

Ein anderes Werk, das auf einem „konventionelleren“ Weg entstand, ist „Im Schatten des Krieges“ von Sarah Glidden. Auch im Werk der amerikanischen Zeichnerin steckt die Absicht dahinter, die für viele Landsleute wohl eher abstrakte Thematik des Irakkrieges zugänglich zu machen. Der Weg, den Glidden dafür geht, ist aber wiederum alles andere als konventionell. Sie begleitet zwei junge US-Journalisten, die in den Nahen Osten reisen um vor Ort über die Realität des Irakkriegs und die Situation der Kriegsflüchtlinge zu berichten. Für Konfliktpotenzial sorgt dabei ein Freund aus Kindertagen, der als Soldat im Irak war und nun als Zivilist dorthin zurückkehrt. Glidden dokumentiert diese Reise, die für die jungen Amerikaner auch immer ein Ringen darum ist, mit ihren eigenen Entschlüssen und denen ihres Landes ins Gericht zu gehen.

Polit-Satire und Biografien

BUMF
© Edition Moderne Joe Saccos "BUMF"

Ein Vorreiter in Sachen journalistischer Comic ist auf jeden Fall Joe Sacco, der mit seinem ersten Reportage-Band „Palästina“ vor mehr als zehn Jahren viel Aufmerksamkeit erfuhr. In seinem neuesten Werk wendet er sich allerdings von dieser Erzählweise ab und kehrt zu seinen beruflichen Wurzeln zurück: Der Polit-Satire. „BUMF“ (was soviel bedeutet wie „Toilettenpapier“) ist eine bitterböse Polit-Satire über das Geschehen in den USA. Fokus auf die Vereinigten Staaten legt auch Kriegsreporter Ted Rall in seinen Comics. Jedoch nimmt er im Gegensatz zu Sacco keine satirisch-wertende Haltung ein, sondern schafft seinen Protagonisten Edward Snowden, Donald Trump und Bernie Sanders in seinen gleich drei neuen Werken („Snowden“, „Trump“ und „Bernie“) eher objektive Biografien, für die er mit Grafiken, Zitaten, Fakten und Fiktionen sowie auch dem Einsatz von realen Bildern spielt.

Investigativ im rechtsextremen Milieu

Der Name Joe Sacco fällt auch beim deutschen Journalisten David Schraven, der den Comic-Reporter als sein Vorbild bezeichnet. Inspiriert vom amerikanischen Kollegen wählte auch Schraven die Comicform, um seine Recherchen aufzubereiten und an die Öffentlichkeit zu bringen. In „Weiße Wölfe“ behandelt er die Dortmunder Neonazi-Szene. Ausgehend von der Frage, warum der NSU einen seiner zehn - zumeist rassistisch motivierten - Morde ausgerechnet in Dortmund begangen hat, macht er sich auf eine zwei Jahre dauernde Recherche. Geschildert wird in "Weisse Wölfe" der Werdegang eines jungen Mannes bis zur Gründung einer eigenen Gruppe, die Terror und Anschläge verüben will. In drastischen und eindrücklichen Bildern vermittelt „Weiße Wölfe“ einen tiefen Einblick in eine skrupellose und beängstigend selbstgewiss agierende Szene.

Besonders ist hier vor allem der investigative Aspekt. Der Journalist lässt den Leser mit eintauchen ins rechtsextreme Milieu, während er ihn zugleich an seiner journalistisch aufwendigen Arbeit - etwa beim Treffen mit Informanten - teilhaben lässt. Von Saccos betont subjektiver Herangehensweise unterscheidet Schraven dann auch die sachlich-distanzierte Haltung zu seinem Protagonisten.

Flucht-Reportagen

Ein mit dem Rechtsextremismus eng verwobenes Feld bearbeitete der Grafik-Design-Professor Mike Loos gemeinsam mit Studenten der Fakultät für Gestaltung an der Hochschule Augsburg. Für den Band "Geschichten aus dem Grandhotel - Blicke in den Flüchtlingsalltag" beleuchten acht Studenten das Thema Flucht, nachdem sie zuvor in einem Augsburger Flüchtlingsheim die Schicksale einiger dort lebender Asylsuchender recherchiert haben. So erzählt ein Comic die Geschichte des Palästinensers Serge, der nach einer Odyssee um die halbe Welt inzwischen in Deutschland gelandet ist. Eine andere Comic-Reportage wirft einen Blick in das Seelenleben der aus dem Kosovo stammenden Alena, die drohte an den Problemen ihrer anfänglichen Sprachlosigkeit in Deutschland - so sagt sie - fast zu zerbrechen. Aber auch das Thema Ausländerfeindlichkeit thematisiert der Band: Der Kunststudent Paul Rietzl schildert, wie ein Nachbar gegen das im Augsburger Domviertel geplante Flüchtlingsheim mobilisiert - und dabei in düstersten Farben bereits einen drohenden Glaubenskrieg an die Wand malt. Eine amüsante Comic-Lektüre sieht anders aus.

Trauriges Schicksal

Mit dem zumeist mit Comics konnotierten Amüsement haben auch die 145 Seiten des Berliner Comic-Zeichners Reinhard Kleist nichts zu tun. "Der Traum von Olympia" zeigt schonungslos das Fluchtschicksal der jungen Somalierin Samia Yusuf Omar - einer Sprinterin, die ihr Land 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking vertrat und vier Jahre später auf ihrer Flucht über das Mittelmeer vor der Küste Maltas ertrank. Dabei verfehlt der Flucht-Comic nur selten seine Wirkung: Wenn Kleist den Comic in Schulklassen vorstellt, "sind die Schüler jedes Mal geflasht", sagte der 46-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Und auch die Verkaufszahlen des Bands belegen: Selbst für Comics mit schwer verdaulichen Themen wie das Thema Flucht und Vertreibung scheint es immer mehr Käufer zu geben. Die bereits im Vorjahr im Carlsen-Verlag erschienene Graphic Novel hat sich fast 10.000 Mal verkauft - bereits eine verkaufte Auflage von 5.000 gilt in der Szene als Bestseller.

Fiktion als Lehrstück

No Borders
© Epsilon Verlag "No Borders"

Das ebenfalls deutsche Werk „No Borders“ nimmt zwar die Realität zum Anlass, nämlich die Realität der staatlichen Überwachung, spinnt diese aber in einer fiktiven Zukunft weiter. In dieser von Michael Barck (Text) und TeMeL (Zeichnungen) erschaffenen Zukunft im Jahr 2040 herrscht totale Kontrolle durch den Staat, die infolge eines Terroranschlags installiert wurde. Ein chinesischer Hacker reist mithilfe des Internets in die Vergangenheit, um diese zu ändern. Dabei thematisiert „No Borders“ aktuelle Missstände und bezieht klar Stellung. Indem reihenweise Aussagen in Bezug auf den staatlichen Eingriff in die Privatsphäre wie etwa „Das dient doch unserer Sicherheit“ entkräftet werden, eignet sich „No Borders“ vor allem als Art Lehrstück für Jugendliche.

Superheld bezieht Stellung

Politisch Stellung bezog im Mai dieses Jahres auch ein ganz anders Kaliber aus der Welt der gezeichneten Künste: Der große Comicverlag schickte seinen bekannten Captain America in einer Heftreihe in den Kampf gegen die innenpolitischen Bedrohungen. Auf diese trifft der Superheld in Form von Red Skull, der das amerikanische Volk gegen ethnische Minderheiten aufhetzt mit der Begründung, Flüchtlinge würden den Amerikanern Jobs wegnehmen und die amerikanische Kultur zersetzen. Gegen wen hier Captain America in Einsatz treten muss ist eine ganz und gar nicht versteckte Botschaft.

Service-Links:
"Comic Culture Clash"
"Im Schatten des Krieges" von Sarah Glidden
Zu "BUMF" von Joe Sacco
"Snowden", "Trump" und "Bernie" von Ted Rall
"Weiße Wölfe" von David Schraven
"Geschichten aus dem Grandhotel - Blicke in den Flüchtlingsalltag"
"Der Traum von Olympia" von Reinhard Kleist
"No Borders" von Michael Barck und TeMeL

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