Nehammers größte Prüfung

Der Kanzler bleibt auch in Kriegszeiten konsequent pro-israelisch. Wenn er das durchhalten will, muss er jedoch anfangen, größere Teile der Bevölkerung mitzunehmen.

von Politische Analyse - Nehammers größte Prüfung © Bild: Privat

ANALYSE

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) widerlegt, dass sich Politiker immer nur an Stimmungslagen orientieren. Seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober konzentriert er sich auf das, was er notwendig findet. Konkret, an der Seite Israels zu stehen. Das hält auch in Kriegszeiten an. Österreich zählte zu den wenigen Staaten, die in der UN-Vollversammlung eine Waffenruhe in Gaza abgelehnt haben. Nehammer begründete es damit, dass in der Resolution dazu weder die Terrororganisation Hamas beim Namen genannt noch Israels Recht auf Selbstverteidigung erwähnt worden sei.

Für die einen beweist der Kanzler Haltung, für andere ist er noch dazu mutig. Mutig ist das, was er macht, insofern, als es alles andere als selbstverständlich sein dürfte für erhebliche Teile der Bevölkerung. Erstens: Sie neigen zu einem Neutralitätsverständnis, das auf maximale Zurückhaltung hinausläuft. Zweitens: Im konkreten Fall kommt Antisemitismus dazu. Importierter, aber auch schon lange vorhandener. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) warnt, dass er in der Mitte der Gesellschaft sei. Darauf gibt es Hinweise: Immerhin 30 Prozent stimmten im vergangenen Jahr bei einer Erhebung im Auftrag des Parlaments der Aussage zu, dass "die Israelis die Palästinenser im Grunde nicht anders behandeln als die Deutschen im Zweiten Weltkrieg die Juden". Drittens: Die Gräueltaten der Hamas haben viele Menschen erschüttert. Mehr und mehr gibt es aber auch Nachrichten wie jene, wonach UN-Generalsekretär António Guterres meint, dass Gaza aufgrund der Kampfhandlungen zu einem "Friedhof für Kinder" werde und es sich überhaupt um eine "Krise der Menschheit" handle.

Das beschert Nehammer seine größte Prüfung bisher: Von Tag zu Tag wächst der Bedarf zu erklären, warum es wichtig ist, an der Seite Israels stehen zu bleiben. Schlimmer: Er muss nachholen, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist. Hierzulande hat man die Mitschuld am Holocaust jahrzehntelang verleugnet; ist kein Geist verbreitet, wie ihn der deutsche Vizekanzler Robert Habeck zum Ausdruck gebracht hat, als er daran erinnert hat, dass die Gründung Israels nach dem Holocaust ein Sicherheitsversprechen an Jüdinnen und Juden gewesen sei; und dass man daher nach wie vor verpflichtet sei zu helfen, dass es erfüllt werden kann.

Wenn man vergisst, die Leute mitzunehmen, riskiert man viel. Das sieht man in Bezug auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: Die Mehrheit, die Verständnis dafür hat, dass das neutrale Österreich Sanktionen gegen Moskau mitträgt, schwindet. Schon bald könnte eine Mehrheit dagegen sein. Dann wird es schwer bis unmöglich, diesen Kurs auch über die kommende Nationalratswahl hinaus fortzusetzen. Zumal die führende FPÖ von Herbert Kickl bereits angekündigt hat, ihn zu beenden.

ZAHL

Was Babler antreibt

Zur Geschichte der SPÖ gehört auch dies: Sie war einmal eine Arbeiter-Partei. Eine relative Mehrheit der Arbeiter, die es heute noch gibt, wählt jedoch die FPÖ. Ihre Kinder, die studiert haben, tendieren wiederum zu den Grünen; oder bei der jüngsten Landtagswahl in Salzburg zur KPÖ. Die ehemaligen SPÖ-Chefs Christian Kern und Alfred Gusenbauer haben sich bemüht, dem gerecht zu werden und beide Gruppen zu umwerben. Bezeichnend dafür war die Ansage Gusenbauers, eine solidarische Hochleistungsgesellschaft zu errichten.

Andreas Babler, der sich an diesem Wochenende in Graz seinem ersten Parteitag als Vorsitzender stellt, steht hingegen für eine Rückbesinnung: Die Forderung etwa, "Leistbares Leben" in der Verfassung zu verankern und Preissteigerungen bei Lebensmittel zu begrenzen, soll im Sinne "kleiner Leute" sein, die er als "unsere Leute" bezeichnet.

Die SPÖ hat diese Gruppe in den vergangenen Jahren vernachlässigt und große Teile davon verloren. Das bringt eine Erhebung zu Haushaltsvermögen zum Ausdruck, die die Nationalbank durchgeführt hat. Wobei unter anderem auch die Parteipräferenz erhoben wurde. Ergebnis: Bei ÖVP- und Grünen-Anhängern beträgt das Vermögen im Median fast 200.000 Euro, bei Neos-Wählern rund 140.000 Euro (Median bedeutet, dass es bei jeweils 50 Prozent darüber und 50 Prozent darunter liegt). SPÖ-Wähler kommen auf 97.200 Euro. Das ist zwar deutlich weniger, aber noch immer mehr als FPÖ-Anhänger erreichen: 75.200 Euro.

Das ist bitter für die SPÖ: Von ihrem Selbstverständnis her müssten gerade diejenigen, die in den bescheidensten Verhältnissen leben und daher am meisten zu kämpfen haben, auf ihrer Seite sein; dann dürften diese Männer und Frauen nie zu den Freiheitlichen abgewandert sein. Das war ein Super-GAU – und erklärt die Vehemenz, mit der Babler auf Sozialpolitik setzt: Es ist der Versuch, sie zurückzugewinnen.

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BERICHT

Was Frauen zu schaffen macht

Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich mit seiner Rede vor Parteifreunden in Salzburg, die im September durch ein Video öffentlich geworden ist, Spott, Häme und Kritik eingehandelt. "Wie muss es einer Teilzeit arbeitenden Mutter oder einer Alleinerzieherin gehen, die jeden Euro umdrehen muss, wenn sie solche Worte hört?", meinte etwa die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer. "Wenn ich zu wenig Geld habe, gehe ich mehr arbeiten", hatte Nehammer erklärt. Für die Verköstigung der Kinder empfahl er einen warmen, aber günstigen Hamburger.

Mittlerweile hat der Kanzler das Gespräch mit Kritikern gesucht und das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) eine Studie präsentiert, die es im Auftrag der Arbeiterkammer erstellt hat. Darin wird unter anderem ausgeführt, warum so viele Frauen nur Teilzeit arbeiten und daher auch weniger Geld verdienen: Das Fehlen ausreichender Kinderbetreuungsangebote sei der wesentliche Grund dafür und zwar "insbesondere in ländlichen Regionen".

Extrem ist es bei Frauen, die grundsätzlich eine höhere wöchentliche Arbeitszeit wünschen, diese aber nicht gleich erbringen könnten. Jede zweite ab 15-Jährige gibt hier als Hauptgrund für Teilzeit die Betreuung von Kindern oder pflegedürftigen Angehörigen an. Bei 35- bis 44-Jährigen sind es wesentlich mehr. Bezeichnend: Bei Männern handelt es sich nur um einen Bruchteil davon: Nicht 50, sondern sieben Prozent. Männer arbeiten eher Teilzeit, weil sie einer Aus- oder Weiterbildung nachgehen (35 Prozent) oder keinen 40-Stunden-Job gefunden haben (18 Prozent).

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at