Kickls Rache

Der FPÖ-Chef hat die Volkspartei in der Hand und lässt sie dies auch spüren. Leidtun muss sie einem nicht. Sie hat ihr Schicksal selbst gewählt

von Politische Analyse - Kickls Rache © Bild: Privat

Analyse

Die ÖVP hätte sich nach dem Abgang von Sebastian Kurz neu ausrichten können. Sie zog es jedoch vor, rechtspopulistisch zu bleiben. Jetzt zahlt sie ihren Preis dafür. Bei den jüngsten Landtagswahlen sind Massen von ihr zu den Freiheitlichen abgewandert. In Niederösterreich und Salzburg waren es so viele Wähler, dass sie sich zu einer schwarz-blauen Koalition gezwungen sah bzw. sieht: Es entspricht der Logik, mit dem zusammenzuarbeiten, an den man am meisten verliert. Die gemeinsame Politik soll enttäuschte Anhänger zufriedenstellen.

Der Glaubwürdigkeitsverlust, den sich die ÖVP dabei einhandelt, ist groß. Die Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner (NÖ) und Wilfried Haslauer (Salzburg) hatten sich im Wahlkampf distanziert von Freiheitlichen, die im Geiste ihres Obmannes Herbert Kickl tätig sind. Hinterher war das vergessen.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) mag sich bemühen zu vermitteln, dass sie sich eine Koalition mit Kickl auf Bundesebene nicht vorstellen kann. Bloß: Was sind solche Aussagen noch wert?

Bei kommenden Wahlen droht der ÖVP ein doppelter Verlust: Nicht nur einen in Richtung der FPÖ, dem Original, das Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) weniger überzeugend kopieren kann als Sebastian Kurz; sondern auch einen in Richtung anderer Parteien - ausgelöst durch Leute, die es sich ersparen wollen, sie zu wählen und dann vielleicht mit einem Kanzler Kickl aufzuwachen.

Herbert Kickl nimmt keine Rücksicht: Es ist, also wolle er sich rächen dafür, dass sie infolge der Ibiza-Affäre im Mai 2019 auf seine Ablöse als Innenminister bestand. Wobei das Ergebnis bekannt ist: Nicht nur er, alle freiheitlichen Regierungsmitglieder mussten sich verabschieden, es kam zu einer Neuwahl und einem Absturz der FPÖ.

Letztlich kann es Kickl sogar egal sein, dass der ehemalige CDU-Politiker Michel Friedman die Freiheitlichen in einer Gedenkveranstaltung gegen Gewalt und Rassismus gerade als "Anti-Demokraten" bezeichnet hat. Deswegen wird sich kaum jemand abwenden von ihnen. Für die ÖVP aber ist es schmerzlich, dass Friedman betonte, dass sie trotz allem immer wieder eine Koalition mit ihnen eingeht und sie "koschert". Das könnte potenzielle Wähler von ihr fernhalten.

Zumal Kickl gerne auch darauf setzt, wenn er signalisiert, dass mit ihm eine antieuropäische Festung Österreich sowie ein Volkskanzler zu erwarten ist, der Eliten tritt. So vergrößert er das selbstgewählte Schicksal der ÖVP: Sie, die Brücken zur SPÖ abgerissen hat, muss fast alles ertragen. Sie tut sich schwer, sich unmissverständlich und klar von ihm zu distanzieren. Was würde ihr dann noch bleiben, zumal sich andere Konstellationen, wie die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Grünen, nicht mehr ausgehen? Natürlich: Der Gang in die Opposition. Aber einen solchen mag sie sich nach fast ununterbrochener, 36-jähriger Regierungsbeteiligung schon gar nicht antun.

Zahl

Zerfall der Mitte beschleunigt sich

Die Krise traditioneller Volksparteien wie SPÖ und ÖVP sowie der Aufstieg der Freiheitlichen ist vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verwerfungen wenig überraschend. Die alte, staatstragende Mitte, deren Leitmotive "Stabilität" und "Normalität" waren, zerfalle, so eine Botschaft der "Sinus Milieu-Studie" des Meinungsforschungsinstituts Integral im vergangenen Jahr. Übrig bleibe unter anderem eine Gruppe, die für Unzufriedenheit stehe. Diese Gruppe wird von Freiheitlichen gezielt und immer wieder erfolgreich umworben.

Das verheißt nichts Gutes für SPÖ und ÖVP: Durch die massive Teuerung könnte sich dieser Prozess beschleunigen. Steigende Preise setzen auch der Mittelschicht oder dem weiter zu, was davon noch vorhanden ist.

Darauf lassen Erhebungen zu Krisenfolgen schließen, die von der Statistik Austria regelmäßig durchgeführt werden. Im vierten Quartal des vergangenen Jahres befand sich eher schon mehr als ein Viertel der Menschen in Österreich in finanzieller Not. Und zwar insofern, als sie sich Freizeitaktivitäten wie Kino- und Restaurantbesuche, die Geld kosten, nicht leisten können. Oder dass sie angeben, dass sich ein einwöchiger Urlaub pro Jahr für alle Haushaltsmitglieder nicht ausgehe. Fast 30 Prozent können unerwartete Ausgaben von 1.300 Euro wiederum allenfalls nur auf Pumpt tätigen. Das bedeutet, dass sie praktisch keine Reserven haben.

Vor allem die Wohnkosten setzen mehr und mehr Menschen zu: Waren sie Ende 2021 noch von 14,2 Prozent als schwere Belastung bezeichnet worden, so handelte es sich zuletzt um 23,6 Prozent. Davon betroffen sind Mieter, aber auch Hausbesitzer, die einen offenen Kredit bedienen müssen und denen steigende Zinsen zu schaffen machen. Bei ihnen hat sich der Anteil innerhalb von zwölf Monaten verdoppelt. Politisch droht hier der ÖVP eine Klientel wegzubrechen - sie sieht sich immerhin auch als "Eigentümerpartei".

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Bericht

Deutsch als Zweitsprache

Sebastian Kurz, ehemaliger Kanzler und ÖVP-Obmann, engagiert sich eineinhalb Jahre nach seinem Rücktritt wieder politisch. In der deutschen "Welt" warnte er vor "Gefahren unkontrollierter Zuwanderung". So sei Deutsch in Wien für jedes zweite Schulkind nicht mehr Umgangssprache. Abgesehen davon, dass kaum jemand unkontrollierter Zuwanderung das Wort redet, sondern der Trend ohnehin Richtung Zaun- und Festungsbau geht, weckt Kurz damit Erinnerungen an eine Botschaft von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP): In einem "Krone"-Interview versuchte sie 2020, den hohen Anteil von Kindern mit einer fremden Umgangssprache zu problematisieren. Bei der Zeitung hatte sie damit jedoch keinen Erfolg. Das Blatt betonte vielmehr, dass das nichts über Deutschkenntnisse aussage.

Tatsächlich handelt es sich um einen unbrauchbaren Hinweis auf Zuwanderungsprobleme. Erstens: Deutschkenntnisse werden in der amtlichen Statistik wirklich nicht ausgewiesen. Zweitens: Angegeben wird lediglich die erste Umgangssprache. In Wien ist Deutsch aber immerhin bei sieben Prozent der Schüler die zweite oder dritte Umgangssprache. Drittens: Zuwanderung ist divers geworden. Zunehmend geht sie etwa auch auf Fachkräfte zurück, denen nicht nur die eigene Bildung ein besonderes Anliegen ist, sondern auch die ihrer Kinder. Viertens: Mehrere Sprachen zu sprechen, ist eine Qualifikation. Das relativiert einiges. These: Wem es um die Lösung von Problemen geht und nicht darum, mit Problemen Politik zu machen, schaut genauer hin. Zumal der Handlungsbedarf groß genug bleiben würde.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at