Außer Kontrolle

Die SPÖ ist auf dem Weg zu einer basisdemokratischen Bewegung, in der Überzeugungen wichtiger sind als Regierungsbeteiligungen. Das Kanzleramt ist damit in weite Ferne gerückt.

von Politische Analyse - Außer Kontrolle © Bild: Privat

Analyse

Wenn man unter etwas Revolutionärem einen grundlegenden und nachhaltigen Wandel eines Systems versteht, dann kann man feststellen, davon gerade Zeuge in der SPÖ zu werden. Meist ist sie von der Löwelstraße (Zentrale) und vom Wiener Rathaus aus gemeinsam mit ein paar Gewerkschaftern geführt worden. Jetzt ist sie auf dem Weg zu einer basisdemokratischen Bewegung.

Vor allem der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) muss erkennen, dass er keine Kontrolle über das Geschehen hat. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre Pamela Rendi-Wagner auch über die nächste Wahl hinaus Bundesparteivorsitzende geblieben. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass sie durch den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil herausgefordert wurde, den er zutiefst ablehnt. Es kann ihm auch kein Trost sein, dass der Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler bei der Mitgliederbefragung über den Vorsitz ähnlich viele Stimmen erhielt wie der Burgenländer und dieser mit gerade einmal 33,7 Prozent auf Platz eins landete. Das Problem für Ludwig ist, was hier zum Ausdruck kommt: Ein Machtverlust für ihn und seinesgleichen bzw. eine Machtdemonstration einer Basis, die für etwas steht, was in der Partei seit Jahrzehnten unterdrückt wird; nämlich kompromisslos-leidenschaftlicher Einsatz für eigene, überwiegend linke Überzeugungen.

Durch die Mitgliederbefragung hat diese Basis Lust auf mehr bekommen. Sie wird sich diese Mitbestimmung nicht mehr nehmen lassen. "Holen wir uns die SPÖ zurück", sagte Babler und stellte sich gegen ein "Establishment", also die bestehende Führung. Das war auch gegen Ludwig gerichtet. Er wird sich damit abfinden müssen. Genauso wie jede und jeder künftige Bundesparteivorsitzende. In den eigenen Reihen pragmatische Lösungen, geschweige denn Zugeständnisse an mögliche Koalitionspartner durchzusetzen, wird schwer bis unmöglich.

Sie wären jedoch mehr denn je nötig, sofern man sich nicht auf Dauer mit der Oppositionsrolle begnügen möchte: Gerade eine linke SPÖ macht eine rot-pink-grüne Ampel noch unwahrscheinlicher, als sie es schon ist. Der Grund dafür ist einfach: Ist eine solche Sozialdemokratie erfolgreich, ist sie dies am ehesten auf Kosten der Grünen. Für eine Mehrheit müssten aber auch diese zulegen, müsste die SPÖ vor allem rechts der Mitte punkten.

Also würde sich allenfalls nur Rot-Türkis oder Türkis-Rot ausgehen. Die ÖVP dafür zu gewinnen, würde jedoch voraussetzen, dass man auf alles verzichtet, was einem wichtig ist, von einer Gesamtschule bis zu einer Vermögensbesteuerung. Und dass man ihr gibt, was sie sich wünscht; inhaltlich wie personell – zumal sie in Niederösterreich und Salzburg gerade signalisiert hat, dass sie eine Zusammenarbeit mit den Freiheitlichen trotz aller Kritik daran ganz eindeutig bevorzugt.

Zahl

Kickls große Testwahl

Auf die Europawahl in einem Jahr freuen sich Herbert Kickl und alle, die mit ihm und seiner Partei, der FPÖ, sympathisieren: Am 9. Juni 2024 könnten sie erstmals bei einem bundesweiten Urnengang für ein Parlament vorne liegen. Die Ausgangslage ähnelt jener für die Nationalratswahl, die spätestens im Herbst darauf stattfinden wird und bei der sie in Sonntagsfragen seit Monaten führen.

2019 ging die Europawahl wenige Tage nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos mit dem damaligen Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache über die Bühne. Die Freiheitlichen verloren, die türkise Volkspartei des seinerzeitigen Kanzlers Sebastian Kurz triumphierte. Doch das ist Geschichte.

Heute weiß Kickl um seine Chance, aber auch die Bedeutung dieser Wahl: Mit einem Erfolg in einem Jahr kann er eine Wendestimmung zu seinen Gunsten und eine Depression bei den Mitbewerbern verstärken, die ihm dann auch bei der Nationalratswahl hilft. Längst hat er begonnen, sich inhaltlich zu positionieren: Nicht nur in der Asylpolitik ist der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sein Vorbild, sondern auch in der Europapolitik. Die Sanktionen gegen Russland lehnt er ab, die nationale Souveränität möchte er durch eine Volksabstimmung festigen und "Österreich vor Übergriffen der EU schützen", wie er in einer Ansprache zum 1. Mai betonte.

Spiel mit einem "Öxit"

Dieser inoffizielle Wahlkampfauftakt stand damit auch für ein Spiel mit einem "Öxit", also einem EU-Austritt, vor dem Bundespräsident Alexander Van der Bellen schon länger warnt. Kickl rechnet jedoch damit, dass ihm so eine relative Mehrheit nicht mehr zu nehmen ist. Immerhin lehnt gut ein Viertel der Österreicher die Sanktionen gegen Russland ab und meinen fast 40 Prozent, dass die Republik außerhalb der EU besser aufgehoben wäre, als sie es in ihr ist. Das greift niemand so hemmungslos auf wie der FPÖ-Chef.

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Bericht

EU schaut auf Regierungsinserate

Gemessen an der Bevölkerung dürfte die öffentliche Hand in kaum einem anderen Land so viel für Werbung ausgeben wie in Österreich. Allein im vergangenen Jahr handelte es sich um rund 200 Millionen Euro. Davon entfielen knapp 29 Millionen Euro auf Inserate der Bundesregierung und mehr als 25 Millionen Euro auf ebensolche der Stadt Wien.

Im Zuge türkiser Affären ist der Druck, ein strengeres Regelwerk einzuführen, so groß geworden, dass Transparenzbestimmungen ausgeweitet werden. Das allein verkleinere das Korruptionsrisiko nicht, warnen Kritiker wie der Medienwissenschaftler Josef Trappel allerdings. Er vermisst eine Obergrenze für freihändige Inseratenvergaben.

Immerhin: Über die EU wird das Thema ebenfalls angegangen. Ihr Zugang ist, dass im Binnenmarkt faire Verhältnisse für alle herrschen müssen. Wobei in einem Vorschlag der Kommission auch ein demokratiepolitisches Problem gesehen wird: Staatliche Werbung sei für viele Medien eine wichtige Einnahmequelle. Sie könne "anfällig" machen für "ungebührliche staatliche Einflussnahme". Dem soll ein Riegel vorgeschoben werden.

Ob aufgrund dessen Verschärfungen notwendig werden in Österreich, ist offen. EU-Kommissarin Vera Jourová betont, dass es darum gehe, Mindeststandards für alle Mitgliedstaaten zu definieren. Noch wird verhandelt. Jedenfalls aber hat Brüssel schon einmal deutlich gemacht, dass Regierungsinserate im weitesten Sinne nicht nur eine nationale Angelegenheit sind, die ebendort gehandhabt werden kann, wie es politisch gefällt. Es gibt vielmehr auch eine Beobachtung durch die EU.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at