Anschluss verpasst

Mit einem neuen Vorsitzenden will die SPÖ ihre Krise überwinden. Dazu ist jedoch mehr nötig. Die Partei hinkt schon lange gesellschaftlichen Veränderungen hinterher.

von Politische Analyse - Anschluss verpasst © Bild: Privat

Es ist kein Zufall, dass sich sowohl die SPÖ als auch die ÖVP in einer Krise befinden. Das ist auch nicht allein auf die Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) und Karl Nehammer (ÖVP) zurückzuführen.

Zu lange hat sich die SPÖ als bloße Kanzlerpartei definiert und vernachlässigt, dass ihre größte Zielgruppe, die Arbeiterschaft, immer kleiner wird. Beziehungsweise, dass eine Masse, der sie sich von ihrem Selbstverständnis her widmen müsste, nicht wahlberechtigt ist: ausländische Staatsangehörige, die im Durchschnitt weniger verdienen und besonders auf Gerechtigkeit in allen Bereichen angewiesen wären.

Der Politologe Anton Pelinka meint seit Jahren, dass sich die Partei um einen erleichterten Zugang zur österreichischen Staatsbürgerschaft bemühen müsste. Bisher überwiegt jedoch die Angst, dass man damit nur die FPÖ stärken würde. Wohl aus diesem Grund spricht sich auch Hans Peter Doskozil nicht dafür aus. Das ist einer der deutlichsten Unterschiede zwischen ihm und Andreas Babler, also seinem Mitbewerber für die Rendi-Wagner-Nachfolge. Dieser ist dafür.

Das Zielgruppen-Problem ist allerdings umfassender: Aus vielen Kindern ehemaliger Arbeiter sind Akademiker mit gut bezahlten Jobs geworden, die zu Grünen oder Neos tendieren. Es gab durchaus Versuche in der SPÖ, dem Rechnung zu tragen. Alfred Gusenbauer, Vorsitzender in den 2000ern, sprach sich für eine solidarische Hochleistungsgesellschaft aus. Nachnachfolger Christian Kern versuchte später mit seinem "Plan A", junge Selbstständige zu umwerben. Übrig geblieben ist davon jedoch nichts.

Klassische Kickl-Anhänger

Zuletzt hat es die SPÖ nicht einmal geschafft, davon zu profitieren, dass ihr die Teuerung thematisch liegen müsste. Sie konnte so gut wie nichts daraus machen. Kein Wunder: Neben ehemaligen Anhängern, die aufgestiegen sind, gibt es jene, denen das nicht gelungen ist und die sich daher als Verlierer sehen; denen die Inflation ganz massiv zusetzt und die sich mehr denn je durch die freiheitliche Erzählung verstanden fühlen, dass man sie hängen lasse. Das sind klassische Herbert Kickl-Anhänger.

Unter diesen Umständen wird es schwer für den künftigen SPÖ-Chef, zu Wahlerfolgen zu kommen. Wobei es kein Trost für ihn sein wird, dass die ÖVP mit sehr Ähnlichem zu kämpfen hat. Das bestätigt nur, wie groß die Herausforderungen sind, die mit gesellschaftlichen Veränderungen einhergehen.

Im Falle der Volkspartei geht es um eine Erosion der bürgerlichen Mitte, die sie einst ausgemacht hat. In Verbindung mit steigenden Zinsen führen auch hier hohe Preise zu einer Verschärfung: Immer mehr Menschen leiden darunter, dass Leistung allein nicht reicht; dass sie sich abrackern können, wie sie wollen, sich den Traum vom Eigenheim aber nicht erfüllen können. Damit geht Frustration einher – und eine Neigung, zu Kickl zu wechseln, der sie gezielt anspricht.

Zahl

Nicht einmal Gießkanne

Mit 30. Juni läuft die befristete Erhöhung der Pendlerförderung aus. Sie ist im vergangenen Frühjahr aufgrund der gestiegenen Spritpreise fixiert worden. Die durchschnittliche Entlastung pro Liter beträgt knapp 30 Cent, wie der Budgetdienst des Parlaments ermittelt hat. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ist für eine Verlängerung der Maßnahme: "Selbstverständlich muss die Erhöhung von Pendlerpauschale und Pendlereuro verlängert werden. Es geht darum, dass diese Menschen zu ihrer Arbeit kommen können", sagte sie in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse". Das hat bisher aber nicht einmal eigene Parteifreunde auf Bundesebene überzeugt. Zumal die Spritpreise wieder weit unter zwei Euro pro Liter liegen und sich einem Niveau angenähert haben, das sie vor Beginn der verstärkten Teuerung hatten. Vor allem aber ist die Erhöhung der Pendlerförderung ein Beispiel dafür, auf Treffsicherheit bei Ausgleichsmaßnahmen zu pfeifen. Schlimmer: Sie entspricht nicht einmal dem Prinzip "Gießkanne". Fast die Hälfte der insgesamt rund 550 Millionen Euro gehen laut einer Berechnung des Budgetdienstes ans oberste Fünftel der Haushalte nach Einkommen. Ans unterste Fünftel, denen die Preise am meisten zusetzen, fließt mit zwei, drei Prozent so gut wie nichts.

Regierung säumig

Schon im Regierungsprogramm aus dem Jahr 2019, als die Teuerung noch nicht absehbar war, wurde ein grundsätzlicher Reformbedarf eingestanden. Zu dem, was darin festgehalten ist, ist es bisher jedoch nicht gekommen: "Ökologisierung und Erhöhung der Treffsicherheit des Pendlerpauschales." Das unterstreicht, dass es doppelten Handlungsbedarf geben würde, nicht nur sozialen. Laut Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO ist die Förderung zudem "klimakontraproduktiv": Sie begünstige "das Inkaufnehmen langer Arbeitswege" und eine "Zunahme des motorisierten Individualverkehrs".

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Bericht

Umfragen zum Krenreiben

Dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil geht es nun so ähnlich wie der scheidenden SPÖ-Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner mit ihm: Es gibt Umfrageergebnisse, die belegen sollen, dass die Partei mit einem anderen Spitzenkandidaten besser abschneiden würde. Mit ihm würde sie bei einer Nationalratswahl auf 24, 25 Prozent kommen, mit dem Traiskirchner Bürgermeister Andreas Babler auf 26 Prozent. Im Herbst hatte eine Erhebung im Auftrag der SPÖ Burgenland ergeben, dass er die Partei gar auf 32 Prozent, Rendi-Wagner aber "nur" auf 27 Prozent führen könnte.

Das zeigt, wie viel diese Umfragen wert sind: Im besten Fall handelt es sich um Momentaufnahmen, in der Regel aber nicht einmal um das. Wenn überhaupt, beschäftigen sich mehr und mehr Wähler nur in Wahlkämpfen mit Politik, um sich dann spontan zu entscheiden – zum Beispiel für einen Kandidaten, der ihnen gefällt oder der in ihrer Umgebung, an der sie sich orientieren, gut ankommt.

Das relativiert auch die Erfolgsaussichten, die der KPÖ mit bis zu sieben Prozent im Hinblick auf eine Nationalratswahl attestiert werden. Gerade sie lebt von Persönlichkeiten. In Graz hätte sie ohne Elke Kahr wohl nie das Bürgermeisterin-Amt erobert, in Salzburg wäre sie ohne Kay Michael-Dankl bei der jüngsten Landtagswahl nicht auf 11,7 Prozent gekommen. Auf Bundesebene fehlt ihr eine vergleichbare Persönlichkeit. Und solange das so ist, besagt jeder Umfragewert allenfalls, was sie vielleicht erreichen könnte, wenn sie eine Kahr oder einen Dankl ebendort hätte.

Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at