Wir sitzen an der alten Donau, es ist glühend heiß wie schon seit Wochen, und man hat das Gefühl, dass sich das Bewusstsein für Klimawandel endlich bei großen Teilen der Bevölkerung durchgesetzt hat. Wie ärgerlich ist es für Sie, dass die Grünen genau in dieser Phase politisch so schwach sind?
Damit ist wohl gemeint, dass die Grünen gerade nicht im Nationalrat vertreten sind. Das ist ärgerlich, wir würden dort sicher mehr zustande bringen und mehr Druck machen können. Aber es gelingt erstens außerhalb des Nationalrats viel, und zweitens arbeiten wir ja mit unseren Landesregierungsmitgliedern. Die machen natürlich viel grüne Politik, vor allem für Klimaschutz.
Christian Kern hat jüngst den Vorschlag gemacht, die SPÖ solle sich verstärkt grünen Themen widmen. Ist das Konkurrenz für Sie?
Das könnte so sein irgendwann, aber das würde ja Glaubwürdigkeit seitens der Sozialdemokratie voraussetzen. Kern nehme ich den Vorstoß ab. Aber die Geschichte der SPÖ ist eine andere. Ich würde mir wünschen, dass die SPÖ sich ändert, weil ich über jeden froh bin, der da etwas zustande bringt. Aber es gibt auch derzeit viele Umweltschutzfragen, wo die SPÖ mit Absicht auf der falschen Seite steht.
Interessant an der Diskussion, die die SPÖ derzeit führt, ist auch, dass Kerns Vorstoß sofort mit dem Verweis abgeschmettert wurde, man möge sich mehr um das Thema Migration kümmern. Hat man mit Klima- und Umweltschutz gegen das Über-Thema Migration derzeit keine Chance?
Chancen hat man schon, aber bekanntermaßen wird seit Herbst 2015 zu 90 Prozent alles von diesen Themen zugestellt. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Grünen nicht mehr im Nationalrat sind. Das Thema ist ja auch nicht unwichtig, aber diese Überdominanz ist in Österreich speziell. Nicht einmal in der Bundesrepublik ist es annähernd so. Das wird von all jenen Kräften befeuert, die in Wahrheit den Sozialabbau zudecken wollen, auch dass in der Ökologie wieder Retro angesagt ist. Die große Kraftanstrengung und Kunst wird sein, hier gegenzuhalten. Im Umweltbereich macht die Regierung Gesetzesvorschläge, dass einem die Haare zu Berge stehen.
Sie meinen das Standortentwicklungsgesetz.
Ich nenne es Umweltschädigungsgesetz mit Vorsatz. Wenn das so kommt, geschieht das in umweltverbrecherischer Absicht. Weil hier Verbrechen an Natur, Umwelt und der Gesundheit der Menschen drohen. Ich sage ja nicht, dass es automatisch so sein wird, aber es droht.
Die Klimastrategie der Regierung gefällt Ihnen wahrscheinlich auch nicht?
Selten hat der Spruch so gut gepasst: Die Ankündigung ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht. Es gibt keine verbindlichen Ziele. Ich kenne nur ein einziges, und das wird von der Regierung selber torpediert: Sie haben sich ausgerechnet den Radverkehr ausgesucht, der bis 2025 verdoppelt werden soll. Überall dort, wo Grüne regieren, probieren wir, Radwege und neue Radwegkonzepte durchzusetzen. Aber wer hindert uns am meisten daran? Es ist fast immer die ÖVP, und lauter noch, aber nicht immer gleich mächtig, die FPÖ.
Eine wichtige Frage für die Grünen ist doch auch: Wie bringt man die Menschen dazu, das Thema ernst zu nehmen – ohne in alte, alarmistische Muster zu kippen?
Ich glaube, es ist schon viel damit erreicht, wenn man es immer wieder thematisiert und wenn durch die sicherlich unnatürliche Hitzewelle mehr Sensibilität da ist. Es rennen ja schon viele Leute aus der Wirtschaft herum, die sehen, wie viel Schaden das verursacht. Das ist die erste Bedingung dafür, dass sich auch die Politik ändert. Ich glaube nicht, dass die Österreicher weniger Klimaschutz wollen, sondern dass das Thema für sie unterm Jahr einfach zugestellt ist. Solange so getan wird, als würde durch die Migration die Welt untergehen, ist alles andere nachrangig. Daher ist es Aufgabe der Grünen, da nicht auch noch Öl ins Feuer zu gießen, sondern die Umwelt- und die soziale Frage in den Vordergrund zu schieben.
Gehen Sie damit nicht in eine argumentative Falle? Man wirft den Grünen seit Jahren vor, das Migrationsthema nicht ernst genug zu nehmen.
Davon kann ja keine Rede sein. In der Migrations- und Integrationsfrage müssen zwei Prinzipien unter einen Hut gebracht werden: Menschlichkeit und Ordnung. Die Zuschreibung, dass wir völlig naiv wären und Millionen Menschen einfach so nach Österreich holen würden, ist völliger Schwachsinn. Der wird absichtlich gestreut. Umgekehrt muss das individuelle Menschenrecht auf Asyl gelten. Es gibt da vernünftige Wege. Aber das muss man halt mit Vernunft betrachten können. Unsere Kunst wird sein, diese vernunftorientierten Zugänge zu emotionalisieren.
Wie wollen Sie das konkret machen?
Erstens, indem wir uns in diesem Sinne ausdrücken und damit Bewusstsein schaffen. Das wichtigste Instrument in der Politik ist die Rede und die Überzeugungskraft. Da fehlt uns natürlich was im Nationalrat, auch was Fernsehdiskussionen betrifft.
Diese Woche saß Peter Pilz statt Ihnen im Sommergespräch.
Wir erkämpfen uns trotzdem unsere Auftritte, und die gilt es zu nutzen. Mit Umwelt- oder sozialen Organisationen werden wir stärker zusammenarbeiten und uns lauter Gehör verschaffen. Unsere Enquete in Sachen Klimaschutz, noch lange vor der Hitzewelle, hat sich diesbezüglich sehen lassen können. Wir sind schon wieder stark genug, den Diskurs so weit zu beeinflussen, wir sagen etwa: Liebe Bundesregierung und liebe SPÖ, bis zum Spätherbst sind gegenüber der Europäischen Union verbindlich Maßnahmen vorzulegen. Und das können wir auch außerhalb des Parlaments vorantreiben. In Sachen Umweltschädigungsgesetz werde ich noch diese Tage eine entsprechende Stellungnahme im Gesetzgebungsverfahren einbringen. Auf diese Weise kommt sie in die parlamentarischen Materialien. Ich nehme für die grüne Sache ein Bürgerrecht wahr.
Der Grüne Georg Willi wurde im Mai zum Bürgermeister von Innsbruck gewählt. Steht hinter seinem Wahlerfolg eine Strategie, die für die Grünen richtungsweisend sein könnte?
Er ist von seiner Art her sehr umgänglich, das sollten sich die Grünen mehr aneignen. Zugänglich sein, zuhören und trotzdem zuspitzen können. Willi bringt grüne Konsequenz mit und ist von seinen persönlichen Eigenschaften her entsprechend verbindlich. Insofern ist es ein persönlicher Erfolg, den man nur ihm zuschreiben darf.
Die Öko-Handschrift und die Verbindlichkeit kann man also auf die künftige bundesgrüne Linie übertragen?
Und radikales und soziales Engagement. Ohne dass Georg Willi sich dabei in ein Transparent einhüllt, auf dem fünfmal „links“ steht. Der macht das einfach. Und es ist links, was er macht.
Wie wichtig ist dieses alte Links-rechts-Schema noch für die Grünen?
Wir sollten Politik machen, die im alten Schema da oder dort durchaus linke Vorstellungen umsetzt, wenn es um Gerechtigkeitsfragen geht, da haben wir in Österreich immer mehr Schieflage. Beim Georg Willi sieht man ja genau, er macht diese Politik, da ist sicherlich einiges links davon, er würde aber nie auf die Idee kommen, sich ein derartiges Schild umzuhängen.
Entlang welcher Begrifflichkeitsachse wird sich die Neuaufstellung der Partei dann orientieren?
Ich glaube, soziale Gerechtigkeit und Ökologie sind für uns die Wegweiser. Da wird Linkes dabei sein, da wird Liberales dabei sein, und da wird vor allem die Einmaligkeit des Umweltgedankens enthalten sein.
Am 22. September findet der letzte Zukunftskongress mit Vertretern europäischer Grün-Parteien statt. Was wollen Sie lernen?
Wir waren auch schon in Belgien, Holland und Deutschland. Alle drei genannten haben vor wenigen Jahren noch in Österreich Anleihe genommen, vor allem bei der Strategie und Kampagnenübersetzung. Jetzt ist es halt umgekehrt, wir haben eine kleine Panne und müssen beschleunigen. Wir wollen unter anderem lernen, wie man mit wenig Geld kampagnenfähig wird. Und: Mit welchen Zuspitzungen punktet man, damit aus einer kleinen Truppe wieder eine richtige Bewegung wird?
Wollen Sie über den November hinaus Bundessprecher der Grünen bleiben?
Ich will, dass die Grünen auch bundesweit eine gescheite Vertretung haben. Mit oder ohne meine Person.
Sind Sie momentan die einzig denkbare?
Nein, natürlich nicht, es gibt andere auch. Aber falls ich es machen soll, habe ich ein paar Vorstellungen. Ein Punkt ist die richtige Mischung der Personen in den Führungsgremien. Wir brauchen Jüngere, aber auch eine ähnlich große Anzahl an erfahrenen, uneitlen Kämpferinnen, die den Karren ziehen. Und der zweite Punkt ist, dass die Verknüpfung der ökologischen und sozialen Anliegen im Vordergrund bleibt.
Sehen Sie sich als Interimschef und Reformer oder als längerfristigen Parteichef?
Klar war es eine Interimslösung, weil es gar nicht anders ging. Irgendwer musste die Verantwortung übernehmen. Jetzt ist es eine Arbeit auf mittlere Frist. Aber in so einer existenziellen Situation ist mittelfristig auch schon zwei, drei Jahre. Das würde ich gegebenenfalls so anlegen wollen. Und diese Phase muss genutzt werden, um ein neues Team aufzubauen.
Dieses Interview erschien ursprünglich in der Ausgabe 33 2018