„Wir lassen uns
nicht zurückdrängen“

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger geht bald in die Baby-Pause. Zuvor noch ein Gespräch über Frauenbilder, Familienförderung und ihren Umgang mit den Plänen des Innenministers.

von Politik - „Wir lassen uns
nicht zurückdrängen“ © Bild: Ricardo Herrgott

Sechs Wochen noch, dann ist der errechnete Geburtstermin für die dritte Tochter von Beate Meinl-Reisinger. Zwei Wochen noch, dann nimmt sie sich eine Auszeit vom politischen Tagesgeschäft. Wenn alles passt, ist die Neos-­Chefin zur Nationalratssitzung nach Ostern oder – ein paar Tage später – zum Wahlkampfauftakt für die EU-Wahl wieder da. „Vorausgesetzt, dass es dem Butzerl und mir gut geht. Das ist das allerwichtigste.“

Während die Regierungsparteien den „Papa-Monat“ von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache einführen will, lebt die Familie Meinl-Reisinger ein anderes Modell. „Mein Mann wird ab der Geburt zuhause sein und seinen Urlaub konsumieren und dann für ein Jahr in Karenz gehen“, erzählt sie. „Ich freue mich schon sehr, dass er gleich da ist und wir Zeit haben, mit den Kindern zu fünft zueinanderzufinden. Für sie ist es ja auch eine neue Situation.“

Ungefragte Ratschläge, sie möge länger zuhause bleiben, gibt es, berichtet die Politikerin. „Ich war auch erstaunt, wie viele Menschen, sich darüber Gedanken machen, ob ich stille oder nicht.“ Wie sie es findet, dass Strache für seine Auszeit gefeiert wird? „Ich hab da ein ambivalentes Verhältnis. Ich könnte es mir leicht machen und das als PR-Schmäh abtun. Doch ich finde es gut, dass er dieses Zeichen setzt. Ich finde aber auch: Ein Monat ist definitiv zu wenig.“

Zwei Mal zwölf Monate

Die Neos propagieren ein Modell, in dem sich beide Elternteile je zwölf Monate Zeit nehmen können und dabei Kinderbetreuungsgeld bekommen. Wie sie sich diese einteilen, bleibt ihnen überlassen. „Es geht uns um eine Familienzeit: Eltern können gleich am Anfang Zeit miteinander und dem Kind verbringen, ihre Monate aber auch bis zum Schuleintritt flexibel einsetzen, wenn es die Familiensituation erfordert.“

Zum einen, so Meinl-Reisinger, würde das die Frauen nicht zu lange der Arbeitswelt entziehen, zum anderen würde es – verbunden mit finanziellen Anreizen wie einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld – einen Beitrag zu mehr ­Väterbeteiligung leisten. „Es geht ja auch um die Frage des Einkommensverlusts bei einem niedrigen Betreuungsgeld. Solange Frauen weniger verdienen, verstehe ich schon, wenn ein Paar sagt, da bleibt die Frau zuhause, weil da ist weniger Einkommensverlust.“

Studien würden zeigen, dass es in jenen Ländern mehr Kinder gibt, in denen Väter stärker ihre Verantwortung wahrnehmen (können). „Wenn konservative Kräfte glauben, man kann das Rad der Zeit zurückdrehen, und wenn Frauen wieder zurück am Herd sind, gibt es wieder mehr Kinder – kann ich nur sagen: Das ist Wunschdenken, das funktioniert nicht. Wir Frauen machen die Hälfte aller akademischen Abschlüsse und werden uns sicher nicht in diese Rolle zurückdrängen lassen.“

Auch, weil die Teilhabe von Frauen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht nur gefordert, sondern aktiv gelebt werden muss. „Ich habe die Sorge, dass wir in vielen Bereichen wieder einen Backlash erleben. Dass viele Errungenschaften von emanzipierten Frauen und des Feminismus durch traditionelle Rollenbilder wieder in Frage gestellt werden. Und ich will nicht, dass ­viele Frauen durch falsche Anreizsysteme wieder in die ökonomische Abhängigkeit von Männern getrieben werden.“

Erst Kinder, dann Eltern pflegen

Nach der Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Kindern stellt sich für viele Frauen die Frage nach Vereinbarkeit von Beruf und zu pflegenden Angehörigen. Ziel des Masterplans Pflege, der von der Regierung heuer ausgearbeitet wird, ist die Ermöglichung der Pflege zu Hause. Da ist man schnell beim Einfordern der Eigenverantwortung der Kinder, vor allem wenn das System für den Staat zu teuer wird. Wer die Pflegearbeit zumeist stemmt? Ehefrauen, Töchter, Schwiegertöchter.

Die Neos formulieren derzeit mit Ex-Ministerin Andrea Kdolsky ihren eigenen Pflegeplan. Meinl-Reisinger: „Wir wissen, dass es der Wunsch der Älteren ist, möglichst lange zuhause zu bleiben. Nur: Auch da muss man Geld in die Hand nehmen. Man kann nicht sagen, ich entlaste die institutionelle Pflege im Heim und tue nichts, um Familien in der 24-Stunden-Pflege zu entlasten und die Pflege insgesamt leistbar zu machen.

Mit der Kürzung der Kinderbeihilfe für im Ausland lebende Kinder passiert ja sogar das Gegenteil: Ich wundere mich, was die Regierung macht und wie kurzsichtig das ist. Ökonomisch blöd. Wir können dankbar sein, dass Frauen aus Osteuropa nach Österreich kommen und die Pflege machen. Wer würde es sonst tun? Und zu welchem Preis?“ Am Ende des Masterplans Pflege dürfe nicht nur stehen, „dass man sagt, pflegt zuhause, das muss in der Finanzierung gelöst sein.“ Ihr Vorschlag: „Für uns ist klar, dass es sowohl eine solidarische Komponente bei der Finanzierung geben muss als auch eine Form der Versicherungspflicht, um das finanzierbar zu machen.“

Keine Frage der Quote

Stichwort: Weibliche Teilhabe an der Spitzenpolitik. Neos stellen bei der EU-Wahl die einzige Spitzenkandidatin. Sie halten generell bei einem Frauenanteil von 50 Prozent, obwohl sie keine Quote im Programm haben. „Da haben wir durchaus ein Tal der Tränen durchschritten. Am Anfang hatten wir ja keinen hohen Frauenanteil. Aber wir haben gesagt, wir wollen das, und haben entsprechende Programme gestartet.

Ja, mir ist das ein Anliegen, und ich habe die Erfahrung gemacht, dass man Frauen öfter fragen muss.“ Bei jeder Sitzung stellt man die Frage, ob sie mit Kindern machbar sei, und bei Mitgliederversammlungen gibt es Kinderbetreuung. „Wenn es dann gewisse Rolemodels gibt, wird es wieder leichter. Wir haben wirklich tolle Frauen, müssen sie nicht krampfhaft suchen, um eine Quote zu erfüllen.“

Opposition, aber richtig

Für sie selbst sei der Anreiz: „Ich liebe es, politisch tätig sein zu können. Gerade in einer solchen Zeit, in der liberale Überzeugungen durch Protektionismus, Populismus und Nationalismus weltweit in Bedrängnis gebracht werden. Es ist ein Privileg, dass ich etwas sagen kann. Und dann sage ich es auch. Es ist wichtig, im Parlament zu sein.“ Dort fällt der Opposition derzeit unter anderem auch die Aufgabe zu, Regierungsvorhaben, die eine Zweidrittelmehrheit erfordern, zu unterstützen – oder eben nicht.

Schon frühere ­Regierung hätten dem Parlament keine gewichtige Rolle eingeräumt und ihre Gesetzesvorlagen von den eigenen Abgeordneten „abnicken“ lassen, so Meinl-Reisinger. „Doch der aktuelle Grad der Geringschätzung des Parlaments ist schon noch einmal höher.“ Dennoch übe man keine Fundamentalopposition. „Das hielte ich für demokratiepolitisch unreif und kindisch und nicht mit meinem Gewissen vereinbar.“

Dem jüngsten Ökostrom-Gesetz hat man zugestimmt. Jetzt wartet man, mit welchen Vorschlägen Innenminister Herbert Kickl kommen wird, der eine Sicherungshaft für Asylwerber fordert. „In meiner Welt prüft man erst einmal, ob die Behörde im Fall Dornbirn (wo ein Asylwerber, über den bereits ein Aufenthaltsverbot verhängt wurde, einen Beamten erstach, Anm.) nicht hätte anders handeln können oder sogar müssen. Vielleicht hätte die bestehende Gesetzeslage gereicht. Wenn es möglich gewesen wäre, diesen Fall schneller zu prüfen und Schubhaft zu verhängen, muss ich nicht die Verfassung ändern. Diese Regierung hat sich entschlossen, nur mehr Politik nach Stimmungslage zu machen. Ich halte das für brandgefährlich. Außerdem halte ich es für überheblich, mit einem unausgereiften Vorschlag an die Öffentlichkeit zu gehen und mittels Stimmung moralischen Druck auf die anderen Parteien zu machen, dass sie zustimmen.“

Als Innenminister müsse man sehr verantwortungsvoll mit seinem Amt umgehen, dürfe nicht mit Sicherheit und Freiheitsrechten spielen. „Das ist ja das Konzept vieler Populisten: Freiheitsrechte unterdrücken, Bürgerrechte einschränken, um möglichst autoritär regieren zu können. Dagegen werden wir uns mit allem, was uns zur Verfügung steht, wehren.“

»Aber in Wirklichkeit, Verzeihung, verbrunzt die FPÖ jede Sicherheitsdebatte, weil sie das Thema missbraucht, um parteipolitisch Stimmung zu machen.«

Erwarten viele Menschen nicht verständlicherweise, dass straffällig Gewordene abgeschoben werden können? „Natürlich. Das ist ja der Punkt, wo ich wirklich grantig werde: Auf der einen Seite werden gut integrierte Lehrlinge abgeschoben, in einem Fall, wo ein Mann ein Aufenthaltsverbot hat, ist die Behörde nicht in der Lage, das schnell zu prüfen und gegebenenfalls Schubhaft zu verhängen? Das versteht wirklich keiner. Darum brauchen wir ja eine ernsthafte Diskussion darüber, denn jeder ist bereit, Lücken zu schließen. Aber in Wirklichkeit, Verzeihung, verbrunzt die FPÖ jede Sicherheitsdebatte, weil sie das Thema missbraucht, um parteipolitisch Stimmung zu machen. Das haben sie in der Opposition gemacht, Aber jetzt sind sie in der Regierung und haben eine andere Verantwortung. Verdammt noch mal!“

Sicherheitsthemen werden auch im EU-Wahlkampf eine Rolle spielen. Wer sich da durchsetzen wird? Die Pro-Europäer oder die Europaskeptiker? „Noch etwas Richtung Anti-Europäer und Richtung FPÖ. Was sie machen, ist zutiefst unpatriotisch. Es ist das Interesse von Trump, Putin und China, Europa zu schwächen. Und wer sind die Handlanger und betreiben munter deren Politik der Destabilisierung Europas? Das sind die, die sich hierzulande als angebliche Patrioten aufschwingen.“

Meinl-Reisinger fischt ein Buch aus einem Sackerl. Die Welt im Jahr 2035, wie das die CIA sieht. „Die stellen die These auf, dass die Ära der Populisten und Nationalisten noch zwei Jahrzehnte andauern wird. Das ist eine verdammt lange Zeit, die uns noch sehr viel Wohlstandsverlust bescheren wird. Also wenn es nach mir ginge, wäre das nicht so lang.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 8/2019.