Wahrheit ist im Wahlkampf zumutbar

Ist das Wahlkampffinale in Oberösterreich Grund für die zögerlichen Anticoronamaßnahmen? Wahlkampfexperten sagen: Die ÖVP hätte mehr Leadership zeigen können. Denn sie stößt Geimpfte vor den Kopf und gewinnt bei den Ungeimpften sowieso nicht

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Politik - Wahrheit ist im Wahlkampf zumutbar

Natürlich hätte Thomas Stelzer lieber einen Feel-Good-Wahlkampf geführt. Er hätte auf den Wirtschaftsaufschwung nach der Coronakrise, die vielversprechende Lage am Arbeitsmarkt und den Anteil seiner Politik daran verwiesen. Er hätte bei schlechten Nachrichten wie der fortschreitenden Klimakrise den "Hausverstand" bemüht und über kostenpflichtige Coronatests oder gar eine Impfpflicht am liebsten gar nicht mehr geredet. Über den Sommer schien das alles möglich. Die Lage der ÖVP in den Umfragen war für sie erfreulich. Nach der Wahlschlappe 2015, als man rund 36 Prozent und damit ein Minus von zehn Prozentpunkten einfuhr, zeichnete sich ein deutlicher Aufwärtstrend ab.

Doch mit dem Herbst kam die vierte Coronawelle ins Land. Impfskeptiker treiben die Umfragewerte für die einschlägige Wahlliste MFG ebenso in die Höhe wie die Nervosität aller Parteien, bei denen sie Wählerinnen und Wähler abfischt. Indessen schnürt die (Bundes-)Politik Maßnahmenpakete gegen Corona, bei denen sich Experten einig sind: zu langsam und zu lasch. Viele meinen, zu wissen: Vor der Oberösterreich-Wahl wollte oder durfte der Kanzler den Wahlkampf seiner Parteifreunde nicht stören.

"Unangenehmes wird zugedeckt"

Darf man den Wählerinnen und Wählern so kurz vor der Wahl unangenehme Wahrheiten und vielleicht nicht bei allen populäre Maßnahmen zumuten? Würde man damit vielleicht sogar Leadership zeigen, die Stimmen bringt? News hat Wahlkampfmanager dazu befragt.

Heidi Glück, die für Wolfgang Schüssel und Othmar Karas erfolgreiche Wahlkämpfe organisiert hat und heute als Politik-Beraterin tätig ist, lässt Kritik an Zaudern der ÖVP durchklingen: "Wahlkämpfe sind besondere Zeiten, es wird vor allem über Politik geredet, weniger Politik gemacht. Sie sind eine rhetorische Verdichtung von Politik, die politischen Versprechen haben Hochkonjunktur. Wählerinnen und Wähler wählen Vertrauen und Sicherheit. Dem wollen die Politiker entsprechen. Die Konsequenz daraus: Vor allem unangenehme Wahrheiten werden den Wählerinnen und Wählern am wenigsten im Wahlkampf zugemutet. Hier wird zugedeckt, was nicht gut ankommen könnte, und vor allem geschönt. Viel Inhaltliches bleibt diffus, so auch besonders beim Thema Corona."

Dabei, meint die Expertin, könnten sich Wahlkämpfer etwas trauen: "Die Zumutbarkeit einer verpflichtenden Impfung wäre im Interesse der Allgemeinheit, sie wäre gut argumentierbar und hätte vermutlich sogar die Zustimmung der Mehrheit. Trotzdem sind die Politiker mutlos und verstecken sich hinter Stufenplänen oder allgemeinen Aussagen, in der irrigen Annahme, die Impfskeptiker damit zu überfordern. Was nicht gesagt wird, ist, dass Impfskeptiker nicht nur sich selbst schaden und damit alle Geimpften in Geiselhaft nehmen. Die Ausrede lautet: Wir sind für die Selbstbestimmtheit. Die Mehrheit der Geimpften würde sich sicher klare Argumente -und die gäbe es zuhauf -für eine Impfpflicht wünschen." Italien, "auf das das politische Österreich immer gern arrogant herabblickt", Frankreich (wo nächstes Jahr gewählt wird) und Großbritannien seien in dieser Frage mutiger, meint Glück. "Die Wahrheit wäre zumutbar, es passiert aber nicht. Vielleicht nach der Landtagswahl in Oberösterreich."

"Man kann auch etwas gewinnen"

"Im Wahlkampf zählt jeder Fehler doppelt", sagt Strategieberater Lothar Lockl, der zuletzt bei der Bundespräsidentschaftswahl 2016 für Alexander Van der Bellen im Einsatz war. Jede Partei versuche, Angriffspunkte zu vermeiden, die nicht zur Hauptbotschaft im Wahlkampf passen. "Aber", sagt Lockl, "man kann auch etwas gewinnen und sich von der Konkurrenz unterscheiden, wenn man sagt: ,Ich setze aus Verantwortungsbewusstsein Maßnahmen, die umstritten, aber notwendig sind.' Damit zeigt man Leadership und kann punkten."

Derzeit lege die Politik den Fokus auf die Ungeimpften. Man versucht zwar, diese zur Impfung zu motivieren, will sie aber nicht mit harten Maßnahmen wie Impfpflicht oder Lockdowns zur politischen Konkurrenz treiben. Lockl: "Dabei vergisst man aber auf die Mehrheit, die geimpft ist und sich vor Einschränkungen und Einkommensverlusten fürchtet, wenn durch ein weiteres Ansteigen der Coronazahlen härtere Maßnahmen für alle nötig wären." Was, so Lockl, gar nichts bringt: "Herumeiern. Damit vergrault man jene, die sich Klarheit wünschen." Die ÖVP setze im Wahlkampf auf jene, die beim letzten Mal FPÖ gewählt haben und nach dem Ibiza-Skandal zu haben seien. "In dieser Gruppe gibt es eben auch Corona-Skeptiker. Dadurch entsteht aber auch der Eindruck, die Maßnahmen seien chaotisch. Das ist in der Krise kein günstiges Profil. Die Leute wollen jemanden, der Entscheidungen trifft, auch wenn man sie vielleicht nicht teilt."

Vor allem Geschlossenheit sei in einer Wahlbewegung wichtig. Es bringe nichts, wenn es innerhalb einer Partei (zu) unterschiedliche Meinungen zu einem Thema gebe. "Da denken sich die Menschen: Wie wollen die Verantwortung für das Land übernehmen, wenn sie schon im eigenen Bereich nicht einig sind?" Genau dieses Risiko sieht der Strategieberater mittlerweile auch bei der FPÖ, wo sich Geimpfte (wie Ex-Parteichef Norbert Hofer) und Ungeimpfte (wie der jetzige Chef Herbert Kickl) in der Endphase des Wahlkampfes unterschiedlich zum Thema Impfen positionieren.

"Sensible Wahlkämpfer"

Josef Kalina, ehemaliger SPÖ-Manager und nunmehr ebenfalls Politik-Berater, sieht in der Frage, wie viel Corona-Strenge ein Wahlkampf verträgt, "das Problem weniger bei den Wählerinnen und Wählern, sondern im Spannungsverhältnis zwischen Bundes-und Landespartei." In allen großen Parteien hätten die jeweiligen Landesorganisationen eine gewichtige Rolle. Daher könnten die Länderchefs starken Druck auf die Bundespolitik ausüben, wenn sie ihre Kreise im Wahlkampf gestört sehen. "In Wahlkämpfen sind die Landesparteien besonders sensibel und belastet. Und man sucht schon frühzeitig Möglichkeiten, warum jemand anderer am Wahlergebnis schuld ist."

Alle sechs Jahre wird in Oberösterreich gewählt. Entsprechendes Gewicht hat so ein Wahlkampf für alle Beteiligten. "Viele Politiker empfinden es so, als wäre das die wichtigste Wahl in diesem Jahrzehnt", sagt Kalina. "Daraus entsteht ein irrationaler Druck. Bei jeder Kleinigkeit werden der Kanzler und sein Umfeld buseriert:,Das könnt ihr doch nicht machen!'", erinnert er sich an seine Jahre mit den SPÖ-Kanzlern Viktor Klima und Alfred Gusenbauer.

Umgekehrt könne die Bundespolitik natürlich wertvolle Schützenhilfe für die Wahlkämpfer in den Bundesländern leisten, weist Kalina auf die jüngste Erhöhung kleinerer Pensionen hin. Auch wenn Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger gegen Supermarktketten ins Feld zieht, die den Bauern zu wenig für ihre Produkte zahlen, richtet sich diese Botschaft an Wähler im ländlichen Raum in Oberösterreich.

Und bei Corona? Auch Kalina plädiert für Leadership. "Empirisch gesehen gewinnst du mit dem Versuch, niemandem wehzutun, nix."

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr. 38/21

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