Das passiert, wenn
Türkis-Blau kommt

Viele Experten gehen von Schwarz-Blau bzw. Türkis-Blau als kommende Regierung für Österreich aus. Aber welche Wahlkampfschlager werden sich im Regierungsprogramm finden? Ein Faktencheck von der Steuerreform bis zum Klimaschutz

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Politik - Das passiert, wenn
Türkis-Blau kommt

Nichts ist so alt wie die Wahlversprechen von gestern. Nach diesem Motto wurde schon oft koalitionsverhandelt. Lässt man am grünen Tisch ursprünglich als "unverhandelbar" titulierte Forderungen fallen, kann man das ja schließlich bequem auf den störrischen Koalitionspartner in spe schieben.

Das kann natürlich auch passieren, wenn ÖVP und FPÖ um ein Regierungsprogramm ringen. Andererseits: In den Wahlprogrammen beider Parteien gibt es große Übereinstimmung bei vielen großen Themen. Einigen sich Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache also auch noch bei Posten und Personal, lässt sich heute schon erahnen, was kommt, wenn - wie nach dem Wahlergebnis von vielen prophezeit - Türkis-Blau regiert.

1. Steuern

Keine neuen Steuern, lautet ein Wahlversprechen von Sebastian Kurz. Auch die FPÖ lehnt z. B. eine Erbschaftssteuer ab. Einig ist man sich, dass die kalte Progression für alle Steuerstufen abgeschafft werden soll.

Steuerexperte Bernhard Gröhs von Deloitte Österreich setzt "große Hoffnung aus Wirtschaftssicht" in eine grundlegende Reform des Abgabensystems. "Die Lohnverrechnung muss extrem vereinfacht werden. Das jetzige System mit unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen für Lohnsteuer und Sozialversicherung hindert viele Kleinunternehmer daran, Leute einzustellen." Gröhs empfiehlt der neuen Regierung, "radikal Sonderbestimmungen und das Zulagen-Wirrwarr" bei Löhnen und Gehältern zu streichen und dafür "die Steuertarife zu reduzieren." Natürlich werde es bei einer solchen Reform auch potenzielle Verlierer geben, erklärt Gröhs. Beispiel: Arbeitnehmer, die viel unterwegs sind und Tagesdiäten verlieren. Im ÖVP-Wahlprogramm hieß es, die Steuersätze sollen von 25 auf 20, von 35 auf 30 und von 43 auf 40 Prozent gesenkt werden. Laut Gröhs wäre eine Steuerreform innerhalb von sechs Monaten machbar.

2. Bildung

Bei einem Punkt sind sich alle Experten einig: Die Bestrebung, Schülerinnen und Schüler erst nach Absolvierung einer Art "mittleren Reife" aus der Schule zu entlassen, ist wünschenswert. "Das würde, glaube ich, von ÖVP/FPÖ umgesetzt werden", sagt Bildungsexpertin Heidi Schrodt. Auch IV-Bildungssprecher Christian Friesl ortet "von der Umsetzung her durchaus positive Signale", was das Thema Stärkung der Elementarbildung betrifft. Als "äußerst problematisch" sieht Schrodt die Forderung, dass Deutschkenntnisse als Voraussetzung für die Schulreife gelten sollen.

Das Reizwort "Gesamtschule" werde nicht mehr so schnell fallen, vermutet die Forscherin Christa Koenne. Sie glaubt allerdings nicht, dass das Thema "gemeinsame Schule" ganz vom Tisch ist. "Es gibt auch einen sehr vernünftigen Zugang: gemeinsame Schule als gemeinsames Haus, in dem es viel Freiraum gibt, um die eigenen Begabungen auszuprobieren." Friesl formuliert es so: "Ein klassisches, starres Gesamtschulmodell, das zentral gesteuert wird, will heute niemand mehr. Aber ich glaube, auch mit ÖVP und FPÖ ist es möglich, darauf zu achten, dass die Übergänge zwischen den Schulen weniger werden."

Ganz wichtig sei, wer das Bildungsressort übernehmen werde, mein Koenne: "Bei der FPÖ nehme ich Orientierungslosigkeit und eine Verherrlichung der Vergangenheit wahr. Wenn das Ressort bei der ÖVP landet, bin ich zuversichtlich. Harald Mahrer sollte Bildungs-und Wissenschaftsminister werden. Der versteht was davon, der liegt richtig und weiß, dass es Veränderungen braucht."

3. Integration

Was von den im Wahlkampf angekündigten Maßnahmen wirklich umgesetzt wird, könne man derzeit noch nicht seriös abschätzen, sagt Thomas Schmidinger von der Universität Wien. "Was man aber bereits jetzt sagen kann, ist, dass sich viele NGOs im Asylund Integrationsbereich vor finanziellen Kürzungen fürchten und dass es vor allem gegenüber Muslimen zu einer Verschärfung des politischen und gesellschaftlichen Klimas kommen kann."

Diese Vermutung hat auch der Integrationsexperte Kenan Güngör. Konkret geht er von einem Kopftuchverbot in bestimmten Arbeitsfeldern wie zum Beispiel bei Lehrerinnen aus, sowie von Verschärfungen des Umgangs mit islamischen Organisationen wie der Millî Görüş und ATIB. Im Asylbereich rechnet Güngör mit der Ausweisung von nicht anerkannten Flüchtlingen, einer Reduktion der Anerkennungsquoten und Forcierung der freiwilligen Rückkehr. Zu befürchten sei die "Weiterführung eines einseitigen, politisch negativen Diskurses im Kontext von Migration, Integration und Vielfalt" - Errungenschaften oder positive Beispiele werden einfach ausgeblendet. Generell, meint Güngör, "wird vieles davon abhängen, wie sehr sich die ÖVP von der FPÖ treiben und in diesen Fragen dominieren lässt."

4. Soziales

Unter den Wahlkampfthemen beider Parteien fand sich ein "Zuwanderungsstopp" ins Sozialsystem. Darunter fallen Maßnahmen wie: eine Anpassung der Kinderbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an dortige Lebenshaltungskosten oder Beschränkungen bei der Mindestsicherung. Sozialforscher Bernd Marin hält die erste dieser Maßnahmen für schlicht europarechtswidrig. "Das wird nicht halten." Trotzdem würde eine neue Regierung solche Maßnahmen wohl eher rasch setzen: "Es wird viel Symbolpolitik geben, man wird mit viel Trara Flüchtlinge schlechter stellen und sich mehr Konflikte einhandeln, als das Einsparungen bringt."

Was der Sozialforscher auf anderen Gebieten erwartet: "Die allergrößte Wählergruppe der ÖVP sind die Pensionisten, weil sich Kurz im Wahlkampf bei Pensionserhöhungen und Frauenpensionsalter eindeutig positioniert hat. Er ist zu sehr Stimmenmaximierer, um sich das wieder zusammenzuhauen." Soll heißen: eher keine einschneidende Pensionsreformen. Was hingegen kommen könnte: Pflegegeld und Mindestsicherung zumindest teilweise auf ein Gutscheinsystem umzustellen. Und jedenfalls fix: die Zusammenlegung der Sozialversicherungen, auch wenn es hier vor allem um "Symbolik und Hausverstand" als um das große Geld geht.

5. Umwelt

Eher in Allgemeinplätzen erging sich das türkise Wahlprogramm zu Umwelt-und Klimaschutz. Der potenzielle Koalitionspartner FPÖ hat überhaupt Zweifel am von Menschen verursachten Klimawandel. Was heißt das nun für die Klimapolitik? Hanna Simons von WWF Österreich meint: "Es wird in einer solchen Regierung wieder keine visionäre Strategie zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzvertrages geben. Österreich wird die dringend notwendigen Weichenstellungen für eine umfassende Dekarbonisierung der Wirtschaft verpassen: keine ökologische Steuerreform, keine konkreten CO2-Reduktionsziele, kein Ausstiegsplan aus fossiler Energie."

Zudem erwartet sie, dass die Deregulierungswünsche von Sebastian Kurz zum Abbau von jahrelang erkämpften Umweltund Naturschutzauflagen führen könnten. Kurz hatte ja im Wahlkampf wiederholt die lange Verfahrensdauer für eine dritte Piste am Flughafen Wien kritisiert. Die Reform der Förderungen und ein allfälliger Sparkurs zur Gegenfinanzierung einer niedrigeren Abgabenquote oder anderer Vorhaben könnten Kürzungen bei Umweltförderungen bewirken, lautet eine Befürchtung.

Allerdings sieht Hanna Simons auch etwas Positives in den Ankündigungen von ÖVP und FPÖ: nämlich das Zurückdrängen des Einflusses von Sozialpartnern, konkret der Wirtschaftskammer. "Diese hat sich bisher als größter Blockierer einer visionären Klima-und Energiepolitik erwiesen."

Spannend wird, was Kurz bei den Ministerien plant: Wird die Umwelt wieder ein Anhängsel eines anderen Ressorts oder wird sie aufgewertet?

Im Video: Warten auf Regierungsbildung