Thomas Stelzer: "Mit diesen Hasstiraden und Verschwörungstheorien können wir nichts anfangen"

Oberösterreichs Landeshauptmann, Thomas Stelzer, und sein Wahlkampf in Coronazeiten: Er muss die Interessen von Geimpften und nicht Geimpften ausbalancieren. Und er will Stimmen, die 2015 zur FPÖ abgewandert sind, mit striktem Kurs zurückholen

von Politik - Thomas Stelzer: "Mit diesen Hasstiraden und Verschwörungstheorien können wir nichts anfangen" © Bild: Ricardo Herrgott/News

In Oberösterreich hat die Schule begonnen. Noch bevor sich die Coronatests der Kinder niederschlagen können, liegt die Sieben-Tage-Inzidenz schon bei 195. Was läuft da schief?
Wir sehen, dass sich das Virus überall in Europa vergleichbar entwickelt. Mir ist sehr wichtig -und das haben wir mit dem Bund vereinbart -, dass wir nicht mehr nur auf die Inzidenzen starren, sondern auf die Belegung der Intensivstationen. Das muss die Messlatte sein.

Ab zehn Prozent greifen Maßnahmen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig ist das viel zu langsam.
Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Es ist wichtig, dass die Maßnahmen österreichweit gelten, weil das die Akzeptanz erhöht und das Virus keine Grenzen kennt.

Jeweils sieben Tag nach dem Erreichen bestimmter Werte auf den Intensivstationen sollen strengere Maßnahmen kommen. Experten sagen, das dauert viel zu lange.
Experten sind wichtig. Ich bin auch froh, dass uns viele beraten. Aber die Politik muss umfassender Entscheidungen treffen. Nachdem das Virus nicht weggeht, müssen wir lernen, wie wir ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Leben damit organisieren. Der Stufenplan, auf den wir uns geeinigt haben, hilft und wirkt.

Was war das ausschlaggebende Argument, nach dem die Politik die Entscheidung für eine Sieben-Tage-Frist getroffen hat?
Man kann eine Verordnung schnell beschließen, aber man braucht Zeit, bis alles organisiert ist und die Bevölkerung das nachvollzieht. Eine Woche ist ein vertretbarer Zeitraum.

Frage an den Vater: Ihre Tochter geht in die achte Klasse. Haben Sie den Durchblick, was passiert, wenn ein Coronafall auftritt? Zehn Tage Quarantäne, 14 Tage, kürzer, gar keine?
Ich hoffe sehr, dass alles gutgehen wird. Unsere Tochter ist zweimal geimpft. Ich glaube, dass alles klar ist und die Schulen vor Ort das gut handeln können. Wichtig ist, dass wir die Regelung mit den mehrfachen Tests haben. Nachdem uns das Virus weiter begleiten wird, kann man nur schauen, dass wir maximalen Schutz bieten. Ich rechne auch damit, dass wir bei den Impfungen der über Zwölfjährigen nach dem Schulstart vorankommen. Das Wichtigste ist, dass wir Schulen und Kindergärten offen halten. Und: Wichtig ist, dass die Geimpften nicht draufzahlen und mit mehr Maßnahmen belegt werden. Diese haben ja den maximalen Schutz.

Es heißt, die Maßnahmen für Ungeimpfte seien deshalb so weich und spät gekommen, weil die ÖVP ihren Wahlkampf nicht stören wollte.
Die Gesetzgebungsperiode in Oberösterreich endet Ende September. Das Virus hat sich noch nie an Termine gehalten, auch nicht an Wahltermine. Der Maßnahmen-Stufenplan orientiert sich an klaren Zahlen und nicht am 26. September.

Bei der Landtagswahl kandidiert eine Liste von Impfskeptikern, die den Sprung in den Landtag schaffen könnte und Stimmen von der ÖVP holt. Wieso gibt es in Oberösterreich eine so starke Corona-Skeptiker- Szene?
Wir sind das einzige Land, wo es heuer eine Landeswahl gibt, darum wird diese Szene bei uns sichtbar. Es sind schwierige Zeiten, es treten elf Parteien an. Mir geht es darum, zu sagen: Es ist eine Entscheidung, die jetzt fällt, aber für sechs Jahre gilt. Ich hoffe, dass sich die Leute das sehr gut überlegen.

Sie waren anfänglich für eine Impfpflicht, sind aber zurückgerudert -um diese Wähler nicht zu vergraulen?
Wir haben uns, noch bevor die Impfung gekommen ist, österreichweit geeinigt, dass es keine Impfpflicht geben wird. Daher ist das für mich erledigt.

In Niederösterreich gibt es eine Impfpflicht im Landesdienst. Die erfasst Personal in Schulen, Kindergärten, Pflegeheimen und in Spitälern.
Bei uns ist nicht daran gedacht. In wichtigen Berufsgruppen wie im Spital oder in den Schulen sind wir mit der Impfung schon weit gekommen. Da wurde Verantwortung übernommen. Daher setze ich weiter auf den Zugang, dass man sich frei entscheiden kann.

In einem News-Interview zu Jahresanfang haben Sie gesagt, man hätte früher mit einer Impfkampagne beginnen sollen. Die ist über den Sommer überhaupt eingeschlafen. Ist die Bundesregierung zu lasch?
Wir alle lernen im Umgang mit dieser Herausforderung. Als die Impfung gekommen ist, sind wir überrannt worden. Es konnte gar nicht schnell genug gehen. Plötzlich ist das Interesse abgeflacht. Das ist eine Entwicklung, die niemand vorhergesehen hat. Wir haben in Oberösterreich eine Meinungsumfrage in Auftrag gegeben, um herauszufinden, warum sich Menschen nicht impfen lassen wollen. Auf diese zugeschnitten wird es eine Impfkampagne geben.

Zum Beispiel?
Eine wichtige Gruppe sind junge Frauen, bei denen es viele Befürchtungen und Ängste gibt. Da versuchen wir, mit den Frauenärztinnen und -ärzten sehr genaue Informationen zu geben. Es hat sich bei der Befragung aber auch herausgestellt, dass sich die Leute mehr Impfungen im Betrieb wünschen.

Die ÖVP hat im Sommer plakatiert: Die Pandemie ist gemeistert. Auch das hat beim Impfen gebremst.
Mit der Impfung gibt es ein Mittel gegen das Virus, damit es nicht länger unsere Gesundheit und unsere Freiheit bedroht. Der anfängliche Schwung ist abgerissen, der Sommer war sehr unbeschwert. Jetzt müssen wir uns wieder bemühen, dass wir weiterkommen.

Beim ÖVP-Wahlkampfauftakt haben Sie versprochen, dass es keine Lockdowns geben wird. Gilt das auch nach der Wahl?
Es ist unser Ziel. Wir bemühen uns mit allen Maßnahmen, dass es keine Lockdowns gibt und Schulen und Kindergärten offen blieben. Das ist ja einer der größten Schäden, die das Virus gebracht hat.

Was haben die Lockdowns mit Kindern und Jugendlichen gemacht? Welche Folgen wird das noch haben?
Klar ist, dass diese Ausnahmezeiten und diese Grenzerfahrungen mit uns allen etwas gemacht haben und sich auf die Gesellschaft auswirken. Wir haben aber jetzt einen Riesenaufschwung, Rekordbeschäftigung, die Leute gehen in Konzerte und nehmen Kontrollen auf sich. Diesen Schwung, nehme ich nicht als gegeben an. Ich weiß, dass wir daran arbeiten müssen, dass der Aufschwung in Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig bleibt.

Die Wirtschaft erholt sich schneller als die Psyche.
Es ist auf jeden Fall erfreulich, dass wir so schnell aus der Startrampe gekommen sind. Schneller, als es die Experten prognostiziert haben. Aber ein Blick in die Welt zeigt auch, dass die Zeiten und Herausforderungen nicht leichter werden. Das Wichtigste ist jetzt, dass der oberösterreichische Erfolgsweg nicht gefährdet wird.

Viele Kinder und Jugendliche benötigen psychologische Behandlung wegen der Krisenfolgen. Kassenplätze dafür sind rar. Wird es für sie ein Hilfsprogramm geben?
Wir versuchen, zu unterstützen und über die Jugendservicestellen Gesprächsangebote zu machen. Wir wissen, dass wir dort mehr hinschauen müssen, wie groß der Bedarf wirklich ist.

Während die ÖVP bei der Impfkampagne im Sommer sehr still war, hat sie ein anderes Thema forciert: keine Aufnahme von Menschen aus Afghanistan. Demonstrative Härte für den Wahlkampf?
Es ist eine grundsätzliche Linie, die die ÖVP vertritt. Wir sind als Österreich und Oberösterreich in den letzten Jahren ein Vorzeigeland gewesen, was Aufnahme und Integration anlangt. Daher können wir jetzt nicht unbegrenzt weiter aufnehmen. Der Staat muss sich ernst nehmen. Es gibt Asylbestimmungen, und wer kein Asylrecht hat, kann nicht bleiben. Zum Beispiel straffällig gewordene Asylwerber.

Menschen, die es aus Afghanistan nach Österreich schaffen und einen Asylantrag stellen, werden ein Verfahren bekommen und auch Asyl. Operiert die Politik mit Halbwahrheiten?
Mir ist wichtiger, dass man das tut, was wirklich Verantwortung heißt: nämlich vor Ort Hilfe zu schaffen. Die Flucht beginnt ja nicht in Österreich, sondern dort, wo die Risikoherde sind, und in den umliegenden Regionen. Dort muss man menschenwürdige Zustände schaffen. Wir als Oberösterreich beteiligen uns daran. Wir haben gerade den Bau einer Wasserversorgungsanlage für ein Flüchtlingslager in Bosnien finanziert und als Soforthilfsmaßnahme 200.000 Euro für Afghanistan und die umliegenden Regionen zur Verfügung gestellt.

Die eine Hilfe schließt die andere nicht aus.
Europa ist eine Gemeinschaft, da müssen diese Aufgaben von allen übernommen werden. Es kann nicht sein, dass nur einige wenige Länder Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Ja, Flüchtlinge haben ein unendliches Leid, aber es gibt ein organisiertes Schlepperwesen dahinter, wo alle Meldungen registriert und die Ströme gelenkt werden. Da darf man nicht das Signal geben: Europa öffnet seine Tore.

Österreich ist mit seiner Haltung in der EU in Verruf geraten. Stört Sie das nicht?
Die, die versucht haben, Österreich in Verruf zu bringen, sind schnell verstummt, als ihnen vorgehalten wurde, was ihre eigenen Länder geleistet haben in dieser Frage.

Ist diese Haltung der ÖVP dem Wahltrauma von 2015 geschuldet? Ihre Partei ist in Oberösterreich von 46,8 auf 36,4 Prozent abgesackt.
Was wir auf 2015 mitgenommen haben, ist, dass bei vielen Menschen der Eindruck geherrscht hat, der Staat hat sich aufgegeben und weiß gar nicht, wer reinkommt. Das ist ein Zustand, den ein Rechtsstaat, eine entwickelte Demokratie nicht mehr zulassen darf.

Die Wirtschaft klagt über Arbeitskräftemangel und holt Menschen aus Drittstaaten nach Österreich. Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat vorgeschlagen, dafür Menschen aus Krisengebieten zu holen.
Man muss diese Themen auseinanderhalten: Eines ist Flucht und unaussprechliches Leid. Das andere ist Arbeitsmarktpolitik: Welche Leute brauchen wir aus wirtschaftlichen Gründen? Wir haben momentan Rekordbeschäftigung, gleich viele offene Stellen wie Arbeitslose. Wir investieren viel in Schulung und Qualifikation, aber es gibt, weil wir ein internationaler Standort sind, auch viele internationale Mitarbeiter.

Die Babyboomer gehen bald in Pension, dann wird die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter steigen. Derzeit diskutiert man, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen. Müssten nicht Unternehmen ihr Angebot verbessern?
Ich bin viel in Unternehmen unterwegs. Es gibt fast keines, das nicht Mitarbeiter sucht. Alle überlegen sich, wie man diese locken kann, von Kinderbetreuung bis Weiterbildung.

Bleibt am Ende "Österreich braucht Zuwanderung"?
Wir haben in Oberösterreich einen Vorteil. Wir sind Lehrlingsland Nummer eins. Betriebe bilden viele Mitarbeiter selber aus. Aber es wird da und dort Bedarf geben, neue Leute von außen dazuzuholen.

Glauben Sie, dass sich diese hier wohl fühlen, wenn sie den Migrationskurs der ÖVP und die Ressentiments der Bevölkerung sehen?
Da haben wir in Oberösterreich einen sehr entspannten Umgang, nachdem wir so ein internationaler Standort sind. Erst jetzt haben wir eine Schule in Linz eröffnet, mit Englisch vom Kindergarten bis zur Matura. Wir investieren in die Begleitung der Familien.

Wahlkampfthema: "Klimapolitik mit Hausverstand". Was heißt Hausverstand bei fortschreitender Klimakrise?
Man kann es ganz einfach festmachen: Wir sitzen hier im künstlichen Nebel, einem Kunstprojekt. Als ich in Linz aufgewachsen bin, war immer Nebel, weil wir ein Industriestandort waren. Heute ist die Luft sauber. Industrieproduktion und Umweltschutz müssen Hand in Hand gehen. Dafür ist von den Unternehmen viel investiert worden. Die Gleichung "Je mehr man produziert, desto größer ist der Energieaufwand" wurde entkoppelt. Nun ist der Auftrag, weiter zu gehen und erneuerbare Energien zu nutzen.

Im Wahlkampf geht es meist um Straßen und Autos, die die ÖVP "nicht verteufeln" will. Muss man den Menschen nicht reinen Wein einschenken und sagen: "Es wird sich etwas ändern"?
Oberösterreich ist ein Flächenbundesland. Bei uns wird es immer Pendler geben -Gott sei Dank, weil die dann Arbeit haben. Wir werden es mit dem besten öffentlichen Verkehrsnetz nicht schaffen, es wird immer individuelle Mobilität geben. Es werden bei uns schon jetzt Verbrennungsmotoren hergestellt, die de facto keinen Ausstoß haben. Nun muss die Umstellung auf neue Antriebsformen gelingen. Aber auch E-Autos werden künftig Straßen brauchen. Es muss ein modernes Straßennetz geben, und wir investieren in den öffentlichen Verkehr.

Bei der in den Ländern umstrittenen Asfinag-Prüfung für Straßenbauprojekte hat es rasch grünes Licht für die S10 in Oberösterreich gegeben. Klimaministerin Leonore Gewessler hat ihr Prestigeprojekt, das Klimaticket, mit Ihnen präsentiert. Warum leisten die Grünen Wahlkampfhilfe für die ÖVP?
Da sieht man einfach, dass wir in Oberösterreich gut zusammenarbeiten können und auf das Miteinander schauen.

Ist das eine Vorleistung für Schwarz-Grün in OÖ?
Jetzt gibt es einmal die Wahl. Ich bemühe mich um Klarheit als Nummer eins. Es kommen schwierige Jahre auf uns zu, je schneller wir die Dinge anpacken können, desto besser. Mit wem wir dazu eine Partnerschaft eingehen, werden wir nach der Wahl ausmachen.

Sie koalieren mit der FPÖ. Diese ist mit ihrer Corona- Linie mitverantwortlich für die niedrige Impfquote. Trotzdem kommt sie als Partnerin weiter in Frage?
Wir haben mit der oberösterreichischen FPÖ auch in Coronazeiten gut zusammengearbeitet. Wir schauen aber sehr genau, ob das eine oberösterreichische FPÖ bleibt oder ob mehr Herbert Kickl ins Spiel kommt. Mit diesen Hasstiraden und Verschwörungstheorien können wir nichts anfangen. Die wollen wir nicht. Daher auch das Angebot an die vielen, die 2015 die FPÖ gewählt haben: Diesmal gibt es die Sicherheit bei mir, weil man nicht sagen kann, ob sich Kickl oder wer anderer durchsetzt.

Kickl ist fleißig im Wahlkampf unterwegs: Wie wollen Sie das trennen?
Darum gibt es ja eine Wahl. Da werden die Leute entscheiden, ob das eine oberösterreichische FPÖ ist oder nicht.

Am Ende müssen Sie entscheiden, wen Sie sich in die Regierung holen.
Das ist eine Frage nach der Wahl.

Die Landesregierung hat den deutschnationalen "Landesdelegiertenconvent der pennalen und fachstudentischen Corporationen Oberösterreichs" mit 110.000 Euro gefördert. Ist das der Preis für eine FPÖ-Koalition?
Es gibt sehr viele Förderungen, die wir an alle im Rechtsrahmen zugelassenen Vereine und Vereinigungen auszahlen. Die werden auch vom Rechnungshof kontrolliert. Diese Förderung wurde in der Regierung einstimmig beschlossen.

Haben Sie in den letzten eineinhalb Jahren Angst gehabt, die Pandemie könnte außer Kontrolle geraten?
Es waren sicher schlaflose Nächte dabei. Und Sorgen, weil du nie gewusst hast, ob die Maßnahmen auch helfen, die Bevölkerung zu schützen. Aber es ist uns gelungen, mit den Herausforderungen zurande zu kommen. Und diese werden uns noch eine Weile bleiben.

Das Interview erschien ursprünglich in der News Ausgabe Nr 37/21

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