"Die SPÖ Wien ist
eine Kampfmaschine"

Wiens Bürgermeister, Michael Ludwig, erklärt im News-Sommergespräch, mit welchen Themen er gegen ÖVP und FPÖ im Wiener Wahlkampf punkten will. Und wie die Grünen vorgezogene Wahlen provozieren können

von Politik - "Die SPÖ Wien ist
eine Kampfmaschine" © Bild: Ricardo Herrgott

Lange Zeit war der Wiener Bürgermeister ein Machtfaktor, nach dem Motto: Wer unter mir Kanzler ist, ist mir wurscht. Jetzt wird nicht einmal mit Ihnen verhandelt. Etwa wenn es um die Kindergartenfinanzierung geht. An wem liegt das?
Es scheint derzeit so zu sein, dass die Bundesregierung von Gepflogenheiten, die unser Land vorangebracht haben, abgeht. Etwa indem sie die Sozialpartnerschaft oder die Wirksamkeit des Föderalismus schwächen will. In diesem Fall ist allerdings eine 15a-Vereinbarung mit den Ländern nötig. Die Bundesregierung wird sich also bequemen müssen, mit allen Ländern zu sprechen – nicht nur mit ausgewählten. Daher bin ich zuversichtlich, dass mich irgendwann auch ein Anruf eines Mitglieds der Bundesregierung ereilen wird.

Wird hier bewusst ein Gegenpol aufgebaut: hier Wien, da der Bund?
Da gibt es mehrere Gründe aus Sicht der Bundesregierung. Zum einen will sie die Solidarität unter den Bundesländern zerstören, indem sie nur mit einigen verhandelt. Ich glaube nicht, dass das gelingen wird, weil die Länder in der Vergangenheit immer über Parteigrenzen hinweg Lösungen gefunden haben. In der Landeshauptleutekonferenz herrscht ja Einstimmigkeitsprinzip. Der zweite Punkt ist aber sicher, dass die Bundesregierung ein starkes Ziel hat: nämlich Wien in seinen Grundfesten zu erschüttern. Das merkt man ja an einer ganzen Reihe von politischen Entscheidungen.

Am Anfang waren Sie sehr auf Konsens bedacht. Jetzt schalten Sie auf Angriff gegen den Bund?
Ich sage immer: Ich bin wie der Wald, in den man hineinruft. Und die Rufe, die mich derzeit aus der Bundesregierung ereilen, lassen mich pointierter formulieren. Denn mir geht es darum, die Interessen der Wienerinnen und Wiener zu vertreten, und da sehe ich Maßnahmen, die schwerwiegende Auswirkungen haben werden. Diese Bundesregierung hat nur ein Thema: Zuwanderung, Migration, Asyl. Alle Maßnahmen, die sie trifft, zahlen in dieses Gesamtthema ein. Und sie nimmt dafür in Kauf, dass es Nachteile für die Wirtschaft oder Familien gibt. Man fragt sich, wie das eine Partei vertreten kann, die sich selbst als Wirtschafts- und Familienpartei definiert, oder eine andere, die immer vorgab, Arbeitnehmerinteressen zu vertreten.

Bis jetzt war die Kritik der Opposition, die ÖVP mache Politik nur für ihre Spender, also die Wirtschaft.
Auch nicht immer. Jetzt braucht die Wirtschaft ganz dringend Lehrlinge, trotzdem trifft die Bundesregierung Entscheidungen, die ins Gesamtthema Zuwanderung einzahlen und den Interessen der Wirtschaft entgegenstehen.

Sebastian Kurz hält dieses Thema bewusst am Köcheln?
Wir merken in Wien ja schon lange, dass gerade die Parteien, die immer kritisieren, dass es Probleme in der Integration gibt, bei allen konkreten Beschlüssen in Wien automatisch immer dagegen stimmen. Wenn man sich nicht nur auf Schlagzeilen konzentriert, sondern auf das, was real in der Politik passiert, wird man die Gesamtstrategie dieser Bundesregierung schnell erkennen. Alle anderen Vorschläge und groß angekündigten Reformen sind ja bisher nichts außer Schlagzeilen.

Zum Beispiel?
Die groß angekündigte Reform der AUVA, mit der 500 Millionen Euro eingespart werden sollten. Auf die Nachfrage, wo, ist gesagt worden: in der Verwaltung. Bis man errechnet hat, dass es da nur 94 Millionen Gesamtaufwand gibt. Das geht sich rein rechnerisch nicht aus. Die Mathematik ist halt ein Hund. Jetzt kommt die Bundesregierung auf die Idee, dass man den größten Teil des Sparens an andere Sozialversicherungsträger und Gebietskörperschaften delegiert. Da kann ich leicht ein Budget sanieren, wenn ich die Aufwendungen an Dritte delegiere.

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Wie stark ist die Länderfront dagegen?
Das wird auch eine Belastungsprobe für die bisher gute Kooperation der Länder sein. Man wird sehen, ob manchen Landeshauptleuten der parteipolitische Rock näher ist als das landespolitische Hemd.

Die Bundesregierung ist offenbar der Meinung, sie muss nicht mit allen reden.
Na, da wird sie sich noch wundern.

Neben der Finanzierung der Kindergärten gibt es das Konfliktfeld Deutschklassen.
Dagegen gibt es Bedenken in mehrfacher Hinsicht. Zum einen, weil das Lernen der Sprache im Klassenverband nach Meinung vieler Pädagogen Sinn macht. Zum anderen ist aber auch die Frage ungeklärt, wie die Finanzierung zusätzlicher Schulräume erfolgt. Auch hier ist es wieder so, dass der Bund vermeintlich „gute Ideen“ hat, und Länder und Gemeinden sich darum zu kümmern haben, dass es diese Räume gibt.

Und es passt nicht ganz zur Schulautonomie, die die ÖVP immer gefordert hat?
Ja, aber wenn man über die ­Sozialpartnerschaft und den Föderalismus drüberfahren will, dann wird man sich über die Schulautonomie auch nicht groß den Kopf zerbrechen, habe ich den Eindruck.

Der nächste Konflikt bahnt sich in der Mindestsicherung an. Oder ist da eine Lösung in Sicht?
Da war ich immer der Meinung, dass eine bundeseinheitliche Regelung gut ist und man einen Schwerpunkt bei den Sachleistungen setzt. Also die Möglichkeit hat, je nach regionaler Situation einen gewissen Aufschlag für das Wohnen vorzusehen. Denn die Miethöhen sind in Wien und auch in anderen Städten ein Thema. Damit will ich zeigen, dass ich durchaus kooperativ bin, was die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung betrifft. Wogegen ich mich aber stark ausspreche, ist, wenn ein Politiker, der selber 15.000 Euro im Monat verdient, sagt, eine siebenköpfige Familie kann mit 2.000 Euro leicht auskommen. Das halte ich echt für menschenverachtend. Das geht nicht nur an die Grenzen des guten Geschmacks, sondern gefährdet auch das friedliche Zusammenleben. Wir ­haben eine Verantwortung für die Kinder, die in dieser Stadt leben, unabhängig davon, welchen Vornamen sie tragen.

Die Umwandlung der Notstandshilfe in die Mindestsicherung …
… ist ungerecht den Menschen gegenüber, die es trifft und die ihre Ersparnisse einbringen müssen. Und die Kosten werden wieder delegiert. Das reiht sich in die Gesamtstrategie und ist wieder gegen Wien gerichtet.

Vorerst letzter Nadelstich ist die Absiedelung von Bundesbehörden aus Wien.
Ah ja, in die ruralen Gebiete Klosterneuburgs. Wir haben sehr konstruktive Angebote für den Verbleib des Umweltbundesamtes gemacht. Die Beschäftigten wollen auch in Wien bleiben. Und wenn man schon argumentiert, dass man eine Bundeseinrichtung in in­frastrukturell schwache Gebiete verlegen will, wäre ich, ehrlich gesagt, nicht auf Klosterneuburg gekommen, wo die Grundstückspreise höher sind als in weiten Teilen Wiens. Man will wieder Wien schädigen. Ich bin eigentlich ein starker Befürworter der Zusammenarbeit der Bundesländer in der Ostregion. Ich habe ein Machtwort gegen die Citymaut gesprochen, weil die enge Kooperation Wien-Niederösterreich tangiert wäre. Aber das ist keine Einbahn. Ich bin zwar freundlich, aber nicht deppert, wie man bei uns in Wien sagt. Darum werden sich alle anderen Politiker damit abfinden müssen, dass ich sehr genau schaue, wie man mit uns ­kooperiert.

© Ricardo Herrgott Im Wiener Wahlkampf wird Ludwig auf Kurz, Blümel und Strache treffen: „Mir ist jeder Gegner recht“

Soll Wien für die nächste Wahl weichgeklopft werden?
Das ist sicher so.

Die Neos warten schon auf eine mögliche Mehrheit jenseits der SPÖ und wollen einen „unabhängigen“ Bürgermeister wählen.
Es gibt schon Übereinkünfte zwischen Neos, ÖVP und FPÖ. Und manche sprechen das ja auch offen aus. Da wird sich die Wiener Bevölkerung entscheiden müssen. Wir sind die Wien-Partei, haben diese Stadt vorangebracht und haben für die Zukunft vieles vor. Dann gibt es Parteien, die, wenn sie in der Bundesregierung sind, alles daran setzen, Wien zu schädigen und der Bevölkerung Nachteile zu verschaffen. Das soll man der Bevölkerung nicht verheimlichen.

Das also wird die Wahlkampflinie der SPÖ?
Ja, wenn man die Auseinandersetzung mit Wien sucht, wird man sie finden.

Sie pflegen ostentativ den Kontakt zum Wirtschafts­flügel der ÖVP. Sind Sie schon auf der Suche nach neuen Mehrheiten?
Ich setze mich für den Wirtschaftsstandort ein. Darum bin ich ein Anhänger der Sozialpartnerschaft und habe ein ­gutes Einvernehmen, wenn es darum geht, Unternehmen gute Bedingungen zu bieten und Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern ein gutes Auskommen zu garantieren. Wir sind eine der kaufkraftstärksten Regionen in Europa, und das ist sicher ein Verdienst dieser guten Kooperation.

Und die Wiener Wirtschaft wird dann vielleicht Interesse an einer Koalition mit der SPÖ haben?
Die Wiener Wirtschaft hat Interessen, und wir haben Interessen. Mir ist jedenfalls wichtig, mit der Wiener Wirtschaft gut zu kooperieren. Drum habe ich auch mit Wirtschaftskammerpräsident Walter Ruck ein Übereinkommen für den Wirtschaftsstandort Wien präsentiert.

Und werden Sie auch noch für den Wiener ÖVP-Obmann Gernot Blümel Ihre Sympathien entdecken?
Ich bin in einer aufrechten Koalition. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein sehr treuer Mensch bin – in privaten Angelegenheiten genauso wie in der Politik. Wir werden das Koalitionsübereinkommen mit den Grünen abarbeiten – bis zum nächsten Wahltermin.

Maria Vassilakou wird dann nicht mehr die Wiener Grünen führen. Stellt sich die Koalitionsfrage, wenn sie die Regierung verlässt?
Die Koalition ist eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien. Ich mische mich prinzipiell nicht in Personalentscheidungen anderer Parteien ein. Ich habe in den letzten Monaten mit Personalentscheidungen meiner eigenen Partei genug zu tun gehabt. Aber was ich deutlich mache, ist: Es geht nicht, dass man in einer gemeinsamen Regierung Oppositionsarbeit macht. Da muss man sich entscheiden, was man möchte. Ich werde mit Sicherheit nicht einer Regierung vorstehen, die interne Diskussionen in der Öffentlichkeit führt.

Interne Opposition hieße Neuwahl oder fliegender Koalitionswechsel?
Oppositionspolitik in der Stadtregierung würde ich nicht dulden. Da würden dann sicher die Wählerin und der Wähler zu Wort kommen.

Steht die Wiener SPÖ gut genug da für einen Wiener Wahlkampf?
Wir haben die innerparteilichen Diskussionen inhaltlich und personell, wie ich meine, abgeschlossen. Wir sind sehr gut aufgestellt. Wir haben ein neues Team im Stadtsenat, in der Landespartei und in der Klubführung, und viele in diesem Team brennen darauf, zu zeigen, was sie können. Mir wäre es prinzipiell lieber, wenn wir Projekte für die Stadt umsetzen, aber wir sind auch auf jede politische Auseinandersetzung vorbereitet. Da ist die SPÖ Wien, wenn es hart auf hart geht, immer eine Kampfmaschine.

Haben Sie interne Umfragen, die dieses Selbstbewusstsein rechtfertigen?
Ich bin ein sehr seriöser und gewissenhafter Arbeiter, würde keinen Streit und keinen Wahlgang unnötig vom Zaun brechen. Aber man soll Auseinandersetzungen nicht scheuen, wenn sie notwendig sind.

Damit haben Sie aber unsere Frage nicht beantwortet.
Das ist so wie mit der Kriegskasse: Die veröffentlicht man auch nicht. Aber ich bin guten Mutes.

Im Wiener Wahlkampf würden Kurz, Strache und Blümel auftreten.
Mein Gott, die haben wir schon alle gehabt. Kenne ich alle vom Gemeinderat. Und es hat sie immer in andere Regionen der Politik gezogen. Irgendwie hat man den Eindruck, sie haben für die Wiener Kommunalpolitik nie ausreichend Interesse gehabt. Immer nur knapp vor den Wahlterminen.

Wer der drei wird der unangenehmste Gegner?
Mir ist jeder recht. Das habe ich auch beim innerparteilichen Wettbewerb so gesehen.

Der letzte Nationalrats­wahlkampf wurde mit dem Thema Migration ent­schieden. Wird das bei der Wien-Wahl auch so sein?
Wenn man mit den Menschen spricht, merkt man, dass sie ganz andere Probleme haben. Man muss unterscheiden zwischen dem, was die Menschen bewegt, und dem, was in der politischen Debatte transportiert wird. Und da gelingt es der Bundesregierung immer noch, durch Message Control schöne Bilder und Schlagzeilenpolitik zu machen. Ich persönlich glaube nicht, dass das auf Dauer funktionieren wird. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem die Leute sagen: Okay, was habt ihr noch? Das wird dann für die Bundesregierung ein herbes Erwachen.

Sie setzen im Moment aber auch auf das Thema Recht und Ordnung …
Nicht erst jetzt. Das habe ich schon als Wohnbaustadtrat gemacht, als ich in den Gemeindebauten Ordnungsberater, Wohnpartner und Videoüberwachung eingeführt habe. Das ist am Beginn kritisiert, aber dann als positiv anerkannt worden.

Mit einem Kebab- und Leberkässemmelverbot holt man wirklich Wählerstimmen?
Das Thema wird verkürzt auf die Frage Kebab oder Leberkässemmel. Es muss auch möglich sein, dass weiterhin alle sozialen Schichten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind und nicht wie in anderen Städten alle, die es sich leisten können, mit dem Auto oder dem Taxi fahren. Das ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz und der Finanzierung öffentlicher Leistungen. Wenn man die Spaltung in der Gesellschaft vorantreibt, wie es manche tun, und sagt: „Öffentliche Verkehrsmittel sind nur noch für die sozial Schwachen“, vertieft das den Graben in der Gesellschaft.

Ein Thema im Wahlkampf wird der Skandal um das Krankenhaus Nord sein. Was war das: Unfähigkeit, Freunderlwirtschaft?
Das wird sich herausstellen. Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich die Untersuchungskommission durchgesetzt habe, weil die Opposition sich nicht einig war. Ich bin für eine transparente Aufklärung aller Details. Ich habe da nichts zu befürchten.

Man hat den Eindruck, die Stadt ist mit Großprojekten überfordert.
Nein. Wir bauen mit Bauträgern Tausende Wohnungen jedes Jahr, Infrastrukturprojekte in einem Ausmaß, wie es sie sonst in Österreich nicht gibt, und es läuft alles nach Plan. Zugegeben: Ein Spitalsprojekt ist komplizierter aufzusetzen als andere Projekte, man wird sehen, was man für die Zukunft daraus ableiten kann. Aber nicht alles, von dem die Opposition behauptet, es ist ein Skandal, ist ein Skandal.

Sie gelten in der SPÖ als Rechtsverbinder – auch, weil sie die SPÖ-FPÖ-Koalition im Burgenland verteidigt haben.
Ich habe als Wiener die burgenländische Koalition nicht zu verteidigen, aber richtig ist, dass ich dafür Verständnis gehabt habe, dass Landeshauptmann Niessl mit 42 Prozent SPÖ-Stimmen nicht in Opposition gehen möchte. Das war mir schon sehr schlüssig.

Würden Sie in einer ähnlichen Situation mit der FPÖ verhandeln?
Ich bin nicht in einer vergleichbaren Situation und bin auch überzeugt, dass es in Wien nicht dazu kommen wird. Wir haben für die nächste Wahl eine Koalition mit der FPÖ aus inhaltlichen Gründen ausgeschlossen, weil es sehr viele Punkte gibt, wo wir diametral anderer Auffassung sind. In der Politik muss man inhaltlich argumentieren können und sich nicht auf emotionale Befindlichkeiten verlassen.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der Printausgabe 36 2018