Die SPÖ und ihre Frauen

Die Nominierung von Pamela Rendi-Wagner zur roten Parteichefin freut eine Gruppe ganz besonders. Die Frauen in der Sozialdemokratie hoffen nun nämlich darauf, dass frauenspezifische Themen in den Vordergrund rücken. Und damit auch die damit befassten Personen stärker ins Licht der Öffentlichkeit treten.

von Politik - Die SPÖ und ihre Frauen © Bild: Trend Lukas Ilgner

Die Geschichte der Sozialdemokratie ist auch eine Geschichte der Missverständnisse. Begonnen hat das schon bei der Gründung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zum Jahreswechsel 1888/89. Natürlich sollte beim Parteitag eine weibliche Delegierte dabei sein. Immerhin verurteilt das Hainfelder Programm jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Trotzdem war die nominierte Anna Altmann nicht vor Ort. Ihre Genossen hatten sie kurzerhand zugunsten eines anderen – männlichen – Kandidaten abgelehnt.

Die sozialdemokratischen Frauen hat das von ihrer politischen Arbeit freilich nicht abgehalten. Über den Arbeiterinnen-Bildungsverein, die Arbeiterinnen- Zeitung und die Frauengewerkschaft reklamierten sie sich 1909 zurück in die Partei. Mit Erfolg: 1918 wurde in Österreich das Frauenwahlrecht eingeführt – wesentlich getragen von den roten Politikerinnen Adelheid Popp und Gabriele Proft.

Und auch wenn es andere Parteien waren, die ihre Frauen schneller in die Regierungsverantwortung hievten – 1945 stellte die KPÖ mit Helene Postranecky die erste Staatssekretärin, die ÖVP machte 1966 Grete Rehor zur ersten Ministerin –, waren Sozialdemokratinnen aus dem politischen Prozess nicht wegzudenken. SPÖ-Frauen wie Hertha Firnberg, Johanna Dohnal oder Barbara Prammer sind heute noch für ihre Leistungen, vor allem aber für ihr politisches Selbstverständnis bekannt.

Ein Novum

Trotzdem musste es erst 2018 werden, bevor mit der Gesundheitsministerin a. D., Pamela Rendi-Wagner, tatsächlich eine Frau auf dem Chefsessel der Partei Platz nimmt. „Zum ersten Mal seit 130 Jahren steht eine Frau an der Spitze der Sozialdemokratie. Das ist sehr wichtig für uns“, sagt die frühere Ministerin und jetzige Bundesfrauenvorsitzende, Gabriele Heinisch-Hosek. „Der Weg dahin war sehr lang.“

Die Freude kommt nicht von ungefähr. Denn obwohl Frauen in der SPÖ präsent sind, ihre Meinungen vertreten und sich für öffentliche Ämter interessieren, kommt es regelmäßig vor, dass im letzten Moment doch noch ein Mann aus dem Talon gezogen und die Frau ausgebremst wird. Ein prominentes Beispiel ist die frühere Nationalratsabgeordnete Sonja Ablinger. Nach dem Tod von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hätte sie aus frauenpolitischen Überlegungen (Prammer war davor Frauenministerin und sehr auf die Rechte von Frauen bedacht, Anm.) über die oberösterreichische Landesliste auf deren Mandat nachrücken sollen. Geworden ist es der formal vorgereihte männliche Kandidat. Ablinger, die 2015 aus Frust über die Partei ihre Mitgliedschaft zurücklegte, freut sich nun umso mehr mit Rendi-Wagner: „Es ist ein ganz wesentliches und wichtiges Signal, dass endlich auch Frauen gewählt werden.“ Auch wenn ein kleiner Wermutstropfen bleibt: „Den Vorwurf, dass es in der Krise dann doch wieder die Frauen sind, die den Karren aus dem Dreck ziehen, würde ich nicht ganz beiseiteschieben.“ Die Favoritner Politikerin Petra Bayr ergänzt: „Das biologische Geschlecht schlägt sehr wohl auf die Politik durch.“ Dass Rendi-Wagner nun an der Spitze der Partei stehe, sei dennoch „dem Kampf der Frauen über viele Jahrzehnte“ zu verdanken: „Frauen packen immer dann an, wenn die Unsicherheit groß ist.“

© Profil Walter Wobrazek „In der Krise sind es doch wieder die Frauen, die den Karren aus dem Dreck ziehen“ Sonja Ablinger Parlamentarierin a. D., Austritt wegen rot-blauer Koalition

Mehrere Bündnisse

Tatsächlich wird hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand darüber gesprochen, dass sich angesichts der offensichtlichen Probleme der Roten diesmal kein Mann gefunden hätte, der den Job übernehmen hätte wollen. „Es wären auch viele Männer daran interessiert gewesen“, entgegnet dem Bayr. Auch die Krise der SPÖ sei kein Argument für oder gegen eine Frau. „Eigentlich befindet sich die SPÖ schon seit 25 Jahren in der Krise“, so Ablinger. Man müsse die Vorteile sehen, etwa dass zur Zeit die gesamte Oppositionsspitze weiblich ist (Beate Meinl-Reisinger bei den Neos und Maria Stern von der Liste Pilz, Anm.): „So können Bündnisse geschlossen werden.“ Verlassen würde sie sich allerdings nicht darauf, sagt Ablinger: „Frauensolidarität ist immer brüchig.“

Dennoch ist das etwas, worauf die neue Parteichefin setzen kann und auch muss. Immerhin versichern in einem News-Rund­ruf bekannte SPÖ-Frauen der neuen Vorsitzenden ihre Unterstützung. „Pamela Rendi-Wagner ist eine kompetente Teamplayerin und eine emanzipierte Feministin“, sagt die Parlamentarierin Nurten Yilmaz: „Und sie ist tatsächlich die erste Wahl.“ Die frühere Ministerkollegin und jetzige Parlamentarierin, Sonja Hammerschmid, sieht aber auch einiges auf Rendi-Wagner zukommen: „Die erste weibliche Vorsitzende zu sein ist viel mehr als nur ein schöner Titel.“ Jetzt sei es „hoch an der Zeit, sehr intensiv an der Gender-Gleichstellung zu arbeiten“.

© Ricardo Herrgott News Ricardo Herrgott „Ich erwarte mir das Voran­treiben des innerparteilichen Demokratisierungsprozesses“ Nurten Yilmaz Nationalratsabgeordnete, früher Wiener Gemeinderätin

Alte Kernthemen

Das passiert etwa dadurch, dass Frauen Vorbilder für andere Frauen seien: „Das bewirkt auch gesellschaftlich viel“, sagt die Vorsitzende der SPÖ Tirol, Elisabeth Blanik. „Frauen denken sich: ,Oh, die hat Kinder so wie ich und der Job geht sich trotzdem aus‘“, erklärt die Chefin der SPÖ Oberösterreich, Birgit Gerstorfer.

Rendi-Wagner, die – durchaus als Gegenentwurf zu vielen ihrer Vorvorgänger – in der Öffentlichkeit als junge, urbane Frau wahrgenommen wird, passe außerdem zur in der SPÖ vorhandenen Vielfalt. „Die Partei war immer dann stark, wenn sie alle Bevölkerungsschichten hinter sich hatte“, so Blanik: „Wichtig ist, dass das Gemeinsame vor das eigene Ego gestellt wird.“ Alle Politiker und Politikerinnen seien Alphatiere, „ich selbst genauso“.

Das vorrangige Ziel aber ist es, die offiziell zwar nicht zerstrittene, aber doch auseinanderdriftende Partei zu einen. Nicht umsonst nennt Yilmaz das Vorantreiben des innerparteilichen Demokratisierungsprozesses wie das Schaffen von Kontinuität als wesentliche Aufgaben der Neo-Chefin. Zudem erwarten die Genossinnen starke Statements bei den sozialdemokratischen Kernthemen Arbeit, Soziales und Bildung „Das sind alles Bereiche, die Teil des Wohlstandes von Frauen sein können“, so Hammerschmid. Oder auch nicht: „Wir haben nach wie vor einen Gender Pay Gap (Frauen verdienen weniger als Männer, Anm.) und keinen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung“, so Gerstorfer.

Klar ist aber auch, dass die politische Bewegung eine Wandlung vollziehen muss beziehungsweise das bereits getan hat. Wer sich Sorgen mache, dass Rendi-Wagner als Spitzenkandidatin bloß noch urbane Wählerschichten anspricht, vergesse, dass die Partei mehr als nur eine Person anzubieten habe: „Tatsächlich haben wir viele Rendi-Wagners in der SPÖ“, sagt Yilmaz. „Also kompetente Frauen, die wissen, was sie wollen.“ Zudem, so Bayr, habe sich die Sozialdemokratie von der Arbeiterpartei längst zur Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinnenpartei gewandelt. Die neue Parteichefin sei aber auch ein Angebot für die Wähler und Wählerinnen über die Wiener Stadtgrenze hinaus: „Als arbeitende Frau versteht man andere arbeitende Frauen, egal in welcher Branche und egal wo sie leben“, so Yilmaz.

Der Fahrplan

Die neue Chefin selbst hält sich derweil im Hintergrund. Pamela Rendi-Wagner nutzt die Tage abseits der Öffentlichkeit dazu, um ihre Vorstellungen für die Partei sowie ihr Team zu formen (mehr im Kasten auf Seite 34). Immerhin gilt es jetzt, sowohl ihre Unterstützer nicht zu vergrämen wie auch einen Fahrplan für die Zukunft zu erstellen. Immerhin kann sie bereits jetzt das für sich reklamieren, was sie ihren Genossinnen beim Parteitag im März 2017 zugerufen hat: „Frauen, nehmt euch das, was euch zusteht.“

Ihre neue Position bietet der ersten Parteivorsitzenden die Möglichkeit, Frauen weit stärker als bisher für den unter seinem schlechten Image leidenden Beruf der Politikerin zu motivieren. Ganz ohne irgendwelche Missverständnisse.

Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 39 2018