Sarah Wiener: So
kämpft sie für die Grünen

Die prominente Fernsehköchin Sarah Wiener will für die Grünen ins EU-Parlament. Auch wenn die Chancen eher gering sind: Die 56-Jährige wahlkämpft sich derzeit mit Verve durch die Bundesländer

von Politik - Sarah Wiener: So
kämpft sie für die Grünen © Bild: Ricardo Herrgott

Der Marmeladeverkäufer ist verwirrt ob des plötzlichen Trubels. Eine Frau möchte seine Kriecherlmarmelade kosten. Das ist offenbar irgendwie bemerkenswert, denn sie wird dabei gleich von drei Fotografen, einem Kamerateam sowie einer Horde aufgeregter Menschen begleitet. Der Marmeladeverkäufer traut sich trotzdem zu fragen: "Wer isn des eigentlich?" Sarah Wiener, Köchin, Biobäuerin, EU-Wahl, aha. Immerhin kauft sie ihm ein Glas Marmelade ab. (Die Kerne, erklärt er seiner prominenten Kundin auf Nachfrage, hat er mit einer Katzenkloschaufel abgeschöpft.) Die meisten Ver-und Einkäufer auf dem Pflanzenmarkt im burgenländischen Riedlingsmarkt wissen, wer die Frau mit dem lila Shirt und den langen Haaren ist. So ungefähr zumindest. "Das ist eine Schauspielerin!", ruft eine passierende Mutter ihren Kindern zu. "Ihr müsst dem Papa nachher erzählen, dass ihr sie gesehen habt!"

Durch die Lande

Vor drei Monaten gab die bekannte Fernsehköchin Sarah Wiener ihre Kandidatur für die österreichischen Grünen bei der EU-Wahl bekannt, auf Platz zwei hinter Parteichef Werner Kogler. Nach anfänglichen Querschüssen durch die grüne Basis und öffentlichen Diskussionen über EU-Förderungen für ihren Biobauernhof in Deutschland tingelt sie nun also durch die Bundeslande, um das Wahlvolk von ihrer Mission zu überzeugen. Das Bad in der (wohlwollenden) Menge liegt ihr. In ihrer bekanntesten Fernsehsendung fuhr sie in einem roten VW-Käfer durch Europa und bestach durch unkomplizierte Anpassung an die hinterwäldlerischsten Küchenrituale des Kontinents. Nun also Burgenland. Ihre zugängliche Art kommt an: Sarah Wiener schlendert von Stand zu Stand, kauft hier Tomatensamen, die sie sich zu ihrem Hof nach Deutschland schicken lassen will, stellt sich dort gleich selbst hinter die Budel - die Inhaberin ist praktischerweise selbst grüne Politikerin -und verkauft einer älteren Dame wortreich einen Kürbis.

»Ich glaube, als ich vor zwei Monaten angefangen habe, war die Stimmung nicht so gut«

Die findet es zwar "super", dass Wiener für die Grünen antritt, ist aber leider in Österreich gar nicht wahlberechtigt, wie sich am Ende des mehrminütigen Kürbisverkaufsgesprächs herausstellt. "Man kann sich auch in Sympathie verbunden sein", befindet Wiener tapfer und widmet sich unverdrossen der weiteren Markterforschung. Mit der Kandidatur von Sarah Wiener, darin sind sich Beobachter einig, ist den Grünen ein Coup gelungen. Eine gestandene Geschäftsfrau, vom Fach, mit telegener Wirksamkeit -auch wenn die in diesem Wahlkampf kaum zur Geltung kommt -, die für Neuanfang steht. In der Vergangenheit ist einiges schiefgelaufen, jetzt wird alles besser: Wiener hat die Losung der grünen Wiederauferstehung rhetorisch drauf. "Ich glaube, als ich vor zwei Monaten angefangen habe, war die Stimmung nicht so gut", sagt sie. "Man muss auch benennen, dass die Grünen Österreichs sich selber zum Teil ins Knie geschossen und Fehler gemacht haben. Aber jetzt, und ich glaube, das merkt auch die Bevölkerung, weht ein anderer Wind. Junge, intelligente, engagierte Leute wurden in wichtige Positionen gehievt, es gab durch die Krise einen Reinigungsprozess."

Gemeinsam mit Werner Kogler bildet sie nun ein ungleiches Spitzenduo. Kogler, selbsterklärter "Fundi", grünes Urgestein, ehemaliger Budget-und seit 2018 Bundessprecher der Grünen, arbeitet seit dem großen Crash im Zuge der letzten Nationalratswahl unermüdlich am Wiederaufbau der einstigen Über-10-Prozent-Partei. Ein Erfolg bei der Europawahl wäre eine wichtige Zwischenetappe. Wiener, die hemdsärmelige Quereinsteigerin, soll in die Breite wirken. Gemeinsam lachen sie grüngesichtig von den Wahlplakaten. "Mutig für Europa" steht darüber. Und: "Zurück zu den Grünen". Für Wiener ist ihre Unerfahrenheit Vorund Nachteil zugleich. Letzteres, weil die Sitten in der Politik rau sein können. "In den vergangenen Wochen habe ich wahrscheinlich mehr gelernt als in den letzten zehn Jahren", sagt sie. "Über Politik. Über das EU-Parlament. Über Regionalprojekte, von denen ich vor ein paar Wochen nicht einmal wusste, wie man sie buchstabiert. Und auch über die österreichische Kommunikation zwischen Politikern, die mich doch, um es einmal vorsichtig auszudrücken, erstaunt hat. Weil ich sie für unangemessen halte, mit Tendenzen zur Beleidigung und Diffamierung. Und das schadet unserer Gesellschaft."

»Es gibt das Bedürfnis, dass sich die Politiker wieder mehr mit dem Volk, mit den Menschen auf der Straße, verbinden«

Zugleich ist ihr Status als unverbrauchte, aber erfahrene Praktikerin ihr größtes Plus in diesem Wahlkampf. Sätze wie: "Ich bin keine Ideologin. Ich bin eine einfache Köchin mit Hausverstand", kommen auch bei latent politikverdrossenen Wählerschichten an. Eine Grüne ohne den Hautgout vergangener Funktionärszwistigkeiten. Eine, die sich engagiert, "nicht, weil mich irgendjemand indoktriniert hat oder weil ich bei irgendwelchen politischen Vorfeldorganisationen war. Sondern weil jeder, der ein offenes Auge hat und ein offenes Herz hat, sagt, er will sicher nicht zum Beispiel 450 Zusatzstoffe in seinem Essen haben." Der Politikbetrieb, glaubt Wiener, brauche Menschen wie sie, die komplexe Sachverhalte einfach vermitteln können. "Es gibt das Bedürfnis, dass sich die Politiker wieder mehr mit dem Volk, mit den Menschen auf der Straße, verbinden. Deswegen ist es wichtig, dass Quereinsteiger und Privatpersonen, die interessiert sind, sich in der Politik engagieren."

Thematische Enge

Grüne Kritiker warfen ihr bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur thematische Enge vor. Sie stehe dazu, nicht in allen Bereichen Expertin zu sein, sagt die 56-Jährige. Außenpolitische Zukunftsprognosen, wirtschaftliche Detailfragen, da könne man Fachleute konsultieren. Bei "ihren" Themen sprudelt es nur so aus ihr heraus. "Antibiotikaresistentes Fleisch, junge Ferkel, die ohne Betäubung kastriert werden. Schweine, die keine Schweißdrüsen haben, aber 24 Stunden in der Hitze durch Europa gefahren werden", ereifert sie sich, "ich meine, was ist denn mit uns los? Das ist ein System und deswegen glaube ich schon, dass es eine Graswurzelbewegung aus der Zivilbevölkerung braucht. Wenn sich niemand beschwert, dann wird auch nichts passieren. Aber natürlich braucht es vor allem entsprechende Rahmenbedingungen, die das Gute und Richtige befördern. Es muss politisch eingetütet werden und nicht von den Menschen alleine, die dann mit der Moralkeule niedergeknüppelt werden, weil sie für 29 Euro in den Urlaub fliegen."

Als EU-Parlamentarierin wolle sie versuchen, gegen die Machenschaften der großen Lebensmittelkonzerne vorzugehen, sagt Wiener. In der nächsten Legislaturperiode stünden wichtige agrarpolitische Weichenstellungen an, auf die sie Einfluss nehmen wolle. Der Klimawandel beschäftigt sie. Und natürlich, ihr Herzund Magenthema: Ernährung. "Die Ernährungsgewohnheiten haben sich in den letzten 40 Jahren so sehr verändert wie in 1,4 Millionen Jahren davor nicht. Ich habe Freunde, die haben mit 25 Jahren Morbus Crohn. Wir haben 25-Jährige, die an Darmkrebs sterben. Es gibt Altersdiabetes bei Sechsjährigen. Schlaganfälle, Fettsucht und gleichzeitig Mangelernährung. Viele Krankheiten, die mit Ernährung zu tun haben, mit stark verarbeiteten Nahrungsmitteln, mit Schwermetallen, mit Umweltgift, mit Feinstaubbelastung. Meine Mutter ist 82, die verbrutzelt gerade in Wien. Ich denke mir immer, hat nicht jeder ein Kind, eine Patentochter, eine Mutter oder einen Liebhaber, irgendeinen Mitmenschen, den er so sehr liebt, dass er ihm eine gute Zukunft ermöglichen will?"

Aufstehen und sagen: So nicht!

Bereut habe sie ihren Wechsel in die Politik noch nicht, sagt Wiener. "Es gibt Vorzeichen einer autoritären Demokratie, es gibt Auflösungserscheinungen von Menschenrechten in Nachbarländern, es gibt Einschnitte in die Meinungsfreiheit und natürlich die Klimakrise. Wann stehen wir denn sonst auf und sagen: ,So nicht!'? Ich möchte nicht zu denen gehören, die sagen, ich war überfordert oder es war mir nicht wichtig genug." Platz für Zweifel bleibt, bei allem Enthusiasmus, trotzdem. Sarah Wiener, die Biobäuerin, die sich gerne auf grünen Wiesen und Äckern herumtreibt und ebendort fotografieren lässt, ist als sprichwörtliche Brüsseler Bürokratin, die in nächtelangen Marathonsitzungen an Gesetzestexten feilt, nur schwer vorstellbar.

"Wenn ich nachts im Bette liege und mir denke, sag mal Sarah, was machst du da eigentlich, dann kann ich Ihnen nicht verhehlen, dass ich nicht frei von Bedenken bin", bestätigt sie. "Aber ich kann mich nur wiederholen: Ich bin nicht religiös, aber es hat etwas Schicksalhaftes. Wenn sich jemand wie ich so lange für ernährungspolitische Themen einsetzt und dann bekomme ich durch das Schicksal einen Ball zugeworfen, da konnte ich qua meiner Persönlichkeit nicht sagen, nein. Weil ich das Gefühl gehabt hätte, ich dürfte mich nie wieder öffentlich politisch äußern."

»Man muss anerkennen, wenn ein Teil der Bevölkerung sagt, dass Klimakatastrophe, vergiftete Wässer, Massentierhaltung und Ernährungswende alles nicht wichtig sei«

Wahrscheinlich ist ohnehin, dass sich Wiener nach dem 26. Mai wieder in Ruhe ihrer Fernsehkarriere und ihrem Brandenburger Gut widmen kann. Umfragen sehen die Grünen derzeit bei sieben Prozent, also bei nur einem Mandat. Und dann? "Ich bin jetzt aus dem Schatten ins Licht getreten und werde sicher danach wieder zurücktreten -das muss man anerkennen, wenn ein Teil der Bevölkerung sagt, Klimakatastrophe, vergiftete Wässer, Massentierhaltung, Ernährungswende, das ist uns alles nicht wichtig. Dann werde ich, wie bisher, eher im Verborgenen weitermachen."

Der Beitrag ist ursprünglich in der Printausgabe von News (19/2019) erschienen!