Präsident der Widersprüche

Ein Leben in der Politik, stetig nach oben, wenn auch nicht immer nach Plan: Wolfgang Sobotka, Nationalratspräsident von Seiten der ÖVP, galt immer als Parteisoldat und daher als erprobtes Feindbild der Linken. Doch nun eckt er an – und zwar bei der eigenen Partei. Ein Einzelfall?

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Noch vor etwas mehr als einem Jahr waren die Sympathien – oder die Antipathien – klar. Wolfgang Sobotka, damals Innenminister, war das erklärte Feindbild der SPÖ. In deren Augen war klar: Er tue alles, um die Regierung schlecht aussehen zu lassen. Mit dem Ziel, Sebastian Kurz zum ÖVP-Chef zu machen und Neuwahlen herbeizuführen.

Diese Agenda ist abgearbeitet und Sobotka seit Dezember Nationalratspräsident. Als solcher wird er wohl auch nicht zum „Präsidenten der Herzen“ der SPÖ werden, aber einiges, was er tut, überrascht – denn er, der Parteisoldat aus Niederösterreich, setzt nun auch Ak­tionen, die seine Partei und den blauen Koalitionspartner verärgern.

Etwa, als er den Schriftsteller Michael Köhlmeier einlud, bei einer Gedenkveranstaltung für NS-Opfer zu sprechen.

Im Vorfeld habe Sobotka es abgelehnt, Köhlmeier zu kontaktieren und den Inhalt der Rede zu erkunden, hört man. Im Nachhinein lehnt es der Präsident ab, das Gesagte zu kommentieren. Köhlmeier habe seine Meinung vertreten, nicht für den Präsidenten gesprochen.

Haben Sie die Aufregung um die Rede erwartet, Herr Präsident?
Ich halte es für nicht richtig, eine Gedenkveranstaltung für die Opfer Mauthausens darauf zu reduzieren. Die Tatsache, dass Zeitzeugen immer weniger werden, muss uns in Erinnerung rufen, wie wichtig es ist, das Geschehene kommenden Generationen zu vermitteln. Es geht darum, die Erzählungen lebendig zu halten. Die Schüler haben das bei der Gedenkveranstaltung auch eindrucksvoll zuwege gebracht.

Der Forscher

Sobotka hat sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus, mit den großen Tätern und den kleinen Mitläufern auseinandergesetzt. Sein Großvater war Nazi, sein Vater war kriegstraumatisiert und lehnte totalitäre Ideologien ab. Er selbst wuchs damit auf, „Nazi-Bua“ genannt zu werden. Er studierte Geschichte, forschte über den Widerstand in seiner Heimat im Ybbstal. Dass er geladen war, bei den Gedenkfeierlichkeiten der KZ-Opfer dabei zu sein, liegt nicht nur an seinem Amt als Nationalratspräsident. Sobotka und der niederösterreichischen ÖVP würde eine klare Haltung gegen den Nationalsozialismus zugebilligt, heißt es. Immerhin hat man sich hier geweigert, mit dem FPÖ-Mann Udo Landbauer zusammenzuarbeiten, in dessen Burschenschaft es ein Liederbuch mit den Holocaust verherrlichenden Liedern gab.

Wenn es einen „Fall Landbauer“ im Nationalrat gäbe. Was würden Sie tun?
Es gibt klare moralische Grenzen, die weit vor dem Strafrecht anzusetzen sind. Ich würde in jedem Fall das Gespräch mit der betroffenen Fraktion suchen und Konsequenzen ­einfordern. Man muss solche Dinge lückenlos überprüfen. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung eines Abgeordneten kommt es ohnehin zu einem Mandatsverlust. Ich würde mir als Nationalratspräsident und Historiker einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz wünschen. Etwas anzuzeigen ist eine Sache, ich möchte aber, dass man Antisemitismus am Stammtisch, auf dem Sportplatz oder auf der Straße entgegentritt. Es braucht Resilienz in der Gesamtbevölkerung.
Machen Ihnen die deutschnationalen Burschenschafter in der FPÖ Sorgen? NS-Opfer sind deswegen beunruhigt. Zudem haben diese wohl ein anderes Verständnis der österreichischen Nation, als man es von einem Abgeordneten erwarten würde.
Ich habe noch bei keinem bemerkt, dass er ein anderes oder falsches Österreich-Verständnis hätte. Es liegt aber an der FPÖ selbst, das darzustellen. Jeder Abgeordnete, egal, welcher Fraktion, muss für sich entscheiden, ob er sich mit seinem Hintergrund im Hohen Haus einbringen kann. Bei Antisemitismus oder Rassismus darf es keine Toleranz geben. Nicht auf der Straße und nicht im Hohen Haus. Würde sich ein solcher Fall bestätigen, wird das Parlament reagieren.
Wie?
Mahnungen alleine reichen nicht. Man muss sich bei gewissen Entwicklungen auch konkrete Maßnahmen über­legen. Anpassungen beim Verbotsgesetz beispielsweise. Wir sollten auch die Frage ausländischer Uniformen prüfen, die für faschistische Regime stehen und bei Veranstaltungen immer wieder getragen werden. Wollen wir so etwas in ­Österreich? Ich nicht.
Die Ustascha-Uniformen, mit denen im Kärntner Bleiburg aufmarschiert wurde?
Ein Beispiel, ja. Es geht darum, zu zeigen, dass Zeichen von ­totalitären Regimen nicht gewünscht sind. Egal, ob links oder rechts.
Was muss gegen den in Österreich vorhandenen Antisemitismus geschehen? Das einfach hinzunehmen, kann es doch nicht sein.
Antisemitismus ist leider immer latent vorhanden. Es ist unsere Aufgabe, zu verhindern, dass er salonfähig wird oder neue Strömungen Raum gewinnen. Wenn ich an die Rede von Mahmud Abbas denke, der meinte, die Juden seien selber schuld am Holocaust, zucke ich zusammen. Hier muss auch die EU Zeichen setzen. Man muss die Verwendung von europäischen Steuergeldern in diesem Bereich kritisch betrachten und auf Transparenz achten. Das Verhältnis zur PLO muss historisch aufgearbeitet werden. Denn auch wenn solche Meinungen nicht in Österreich geäußert werden, fühlen sich vielleicht manche hier bestätigt.
Muss der Staat Flagge zeigen?
Absolut, man muss als Staat verhindern, dass solche Ideen nach Österreich einsickern.

Ein politisches Leben

Die politische Karriere von Wolfgang Sobotka begann 1982 im Gemeinderat von Waidhofen an der Ybbs. Diszipliniert, organisiert und fleißig nennt man ihn seither. Aber auch ehrgeizig, pedantisch und aufbrausend. Er wurde Bürgermeister. Erwin Pröll holte ihn als Mitarbeiter in die Landes-­ÖVP, später wurde er Finanzlandesrat. Dass er Landeshauptmann werden wollte, galt als offenes Geheimnis. Doch Pröll kürte Johanna Mikl-Leitner zu seiner Nachfolgerin und schickte Sobotka als Innen­minister nach Wien, um einen „Erbfolgekrieg“ zu vermeiden.

Minister wäre Sobotka dann wohl gerne geblieben, doch wieder fiel die Entscheidung anders. Sebastian Kurz schickte ihn ins Nationalratspräsi­dium. Immerhin. Andere, die auch gerne Minister geblieben wären, bekamen weniger als einen warmen Händedruck.

Der Empfang im Hohen Haus war wenig herzlich. Nur 61,3 Prozent der Stimmen bekam er bei der Wahl zum ersten Präsidenten. Das schlechteste Ergebnis in der Geschichte. Er wächst ins Amt, wiewohl sich die Oppositionsparteien darüber ärgern, dass er auf Regierungslinie ist und manche Themen für diese verhandelt.

Besucht man ihn in seinem Büro, meint man, wieder in der Regionalpolitik gelandet zu sein. Nicht nur wegen des kargen Charmes des Container-­Büros: Gleich beim Empfang steht ein großes Regal mit Gartenbroschüren. Denn Sobotka ist nicht nur ein ambitionierter Gärtner (bei Nacht), mit seiner Aktion „Natur im Garten“ hat er Spuren hinterlassen – und sei es nur mit den Hinweis­tafeln am Gartenzaun. Und Spuren will er nun auch im Parlament hinterlassen.

Haben Sie die Kritik, dass Sie nicht aus dem Parlament kommen, verstanden?
Kritik ist in der Politik ja nichts Ungewöhnliches. Aber auch andere wurden direkt in diese Funktion gewählt. Ich habe von Grund auf parlamentarische Erfahrung, egal, ob im Gemeinderat, als Landesrat oder jetzt im Parlament. Es geht darum, wie man sich zu einer Funktion bekennt. Welche Anforderungen gibt es – und kann ich sie erfüllen? Wenn ich zur Überzeugung gelange, dass mir das möglich ist, mache ich das auch. Und wenn jemand aufgrund meiner Biografie damit nicht kann, muss man das ohne Emotion zur Kenntnis nehmen. Der Unterschied zu früheren Funktionen ist, dass man in der Öffentlichkeit nicht so wahr­genommen wird. Auch die Abgeordneten nimmt man nur wahr, wenn sie abstimmen oder reden. Der lange Entscheidungsprozess dahinter bleibt weitgehend unbemerkt. Ich habe mir nun das Ziel gesetzt, diese Prozesse transparenter zu machen.
Sebastian Kurz hat für Aufregung gesorgt, weil er gemeint hat, wenn die Abgeordneten etwas arbeiten, soll es ihm recht sein.
Man soll nicht jede Aussage auf die Waagschale legen. Aus meiner Sicht respektiert der Bundeskanzler die Arbeit der Parlamentarier in hohem Maße.
Sie selbst haben ihn getadelt, weil er Anfragen unzureichend beantwortet.
Ich habe das nur klargestellt. Der Nationalratspräsident benotet, tadelt oder lobt nicht, er orientiert sich an der Sache. Das muss man sehr nüchtern sehen, egal, ob Regierung oder Opposition betroffen ist.
Würden Sie die Debattenkultur im Parlament loben?
Da ist immer Luft nach oben. Aber im europäischen Schnitt haben wir eine sehr gute Kultur. Sicher kann man beim respektvollen Umgang miteinander immer ansetzen. Man darf aber auch nicht zimperlich sein. In der Hitze des Gefechts wird manchmal härter formuliert, als man es bei kühlerer Überlegung tun würde.
Ministerin Bogner-Strauß war nach der ersten Debatte schockiert, sagt sie. Frauen im Parlament kritisieren, dass sie mehr Zwischenrufen ausgesetzt sind.
In meiner Vorsitzführung habe ich das so noch nicht bemerkt. Ich denke nicht, dass es am Geschlecht liegt, sondern daran, wie polarisierend ein Thema ist und wie eine Parlamentarierin oder ein Parlamentarier auftritt. Vielleicht erwarten Quereinsteiger einen versöhnlicheren Ton, als das oft der Fall ist.
Sie sind zu sensibel?
Nein, aber zu einem starken Parlamentarismus und einer mitreißenden politischen Rede gehört auch die Pointe. Ich kann mir vorstellen, dass das für manche anfangs nicht leicht ist.
Braucht man im Parlament eine dicke Haut?
Ich würde es nicht als dicke Haut bezeichnen. Man muss aber schon etwas aushalten, ohne sich gleich persönlich ­angegriffen zu fühlen. Da hilft ­sicher Erfahrung. Wir dürfen nicht zu beckmesserisch sein, was die freie Rede betrifft. Ich würde mir nur wünschen, dass sie kürzer und prägnanter ist. Man kann auch in drei Minuten starke Argumente vorbringen.
Vorbild Europaparlament?
Absolut, damit könnte ich gut leben. Im deutschen Bundesrat gibt es auch die Möglichkeit, die Rede eines Abgeordneten zu unterbrechen, um eine Frage zu stellen. Ich kann mir hier einiges vorstellen. Wir werden uns im Geschäftsordnungs­komitee damit auseinander­setzen. Die Geschäftsordnung ist derzeit etwas ausladend, ein sehr umfassendes Werk. Wir arbeiten daran.

Vom Amt geprägt

Sobotka steht auf, durchquert sein Büro, schwingt die Geschäftsordnung. Ob ihn das Innenministerium mehr verändert hat oder nun das Präsidentenamt? „Wenn ich mich als Landesrat mit Finanzen oder als Nationalratspräsident mit Parlamentarismus beschäftige, trete ich anders auf als beim Thema Rechtsstaatlichkeit, das den Innenminister betrifft. Es hat mich immer beschäftigt, wie und warum Verbrechen passieren. Jörg Baberowskis Analyse ,Räume der Gewalt‘ gibt hier gute Ansätze: Wo ein rechtsfreier Raum besteht, entsteht Anarchie. Das ist mir als Innenminister mehr denn je bewusst geworden. Ein Staat muss alles daransetzen, dass Recht in allen Bereichen durchgesetzt wird. Ich bin jetzt mit Leib und Seele Parlamentarier, weil es hier darum geht, gute Gesetze zu machen, die den Menschen einen sinnvollen Rahmen geben. Das halte ich für das Wesentlichste an der Demokratie. Das Innenministerium hat mich geprägt, verändert hat es mich nicht. Jetzt kann ich neue Seiten zeigen, die in den letzten Jahren vielleicht nicht so zum Vorschein gekommen sind. Kunst, Kultur und Geschichte beispielsweise.“

Themen für höhere Weihen. Schon wird gemunkelt, Sobotka strebe nach dem nächsten Präsidentenamt. Dem in der Hofburg. Wenn es nicht wieder anders kommt.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Printausgabe von News (Nr. 20/2018) erschienen.